Das gleiche gilt für die Unterhaltungs- und Schallplattenindustrie, die ohne die technischen Errungenschaften eines Thomas A. Edison des Jahres 1877 und die dann folgenden Weiterentwicklungen und Diversifikationen kaum einen solchen Boom hätte erleben können und die im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu den stärksten und einflußreichsten Industrien neben der Automobilindustrie, der Rüstungsindustrie und der Energieindustrie zählt. Kaum waren die technischen Voraussetzungen geschaffen, Tondokumente herzustellen, zu vertreiben und zu archivieren, schossen die Plattenfirmen und Vertriebs- und Marketinggesellschaften wie Pilze aus dem Boden. Eine immer größer werdende Zahl von Tonträgerprodukten bis hin zur noch relativ neuen CD ließ Schallplattenkataloge, Diskographien und Handelsverzeichnisse und die ständig zunehmende Zahl der Plattenfirmen und der Trend zu independent labels Adressenverzeichnisse und Labelverzeichnisse und -diskographien entstehen. Die Weiterentwicklungen auf technischem Gebiet führten zu elektro- und nachrichtentechnischen Nachschlagewerken. Populäre Musiker, Popstars des Rock'n'Roll wurden mit Fanclubs und deren Fanzines sowie mit zahllosen Musikzeitschriften bedacht. Sobald ein Rockmusiker oder eine Band eine neue LP/CD auf den Markt bringt, kann er/sie davon ausgehen, daß in jeder Zeitschrift ein Artikel steht - auch wenn nur die Produktinfos der Plattenfirma abgedruckt werden. Alles eine Fundgrube für Industriearchäologen!
Es gibt jedoch kaum ein Nachschlagewerk, das alle diese verschiedenen
und weitere Aspekte und Facetten sinnvoll zusammenfaßte. Guy A. Marco[2]
hat zusammen mit Frank Andrews diesen Versuch unternommen. Es ist der
dritte Anlauf des Autors, jedoch der erste publizierte. Da er mit den
beiden ersten Versuchen an der Breite des Gebietes gescheitert ist,
konzentriert er sich mit seinem dritten - hier vorgestellten
- ausschließlich auf "sound recording in the United States up to about
1970". In der Enzyklopädie findet man demnach sehr unterschiedliche
Artikel: Plattenfirmen (A & M Records, Atlantic, EMI, Columbia),
Sachbegriffe (A & R Amplifier, Cylinder, Rhythm And Blues Recording),
Elektronikfirmen (A & R Cambridge), Länder (Australia, Canada),
Studios (Abbey Road Studios), Körperschaften (American Federation of
Musicians of the United States and Canada, AFM) sowie eine breite
Palette von Personennamen, die von der klassischen Musik über
Popmusik, Rock, Soul und Blues bis zum Jazz reicht.
Hier setzt die Kritik an der Enzyklopädie ein. Der Versuch, alles
unterzubringen und anzusprechen führt zu einem alphabetischen Allerlei
und sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit und Informationsdichte der
Artikel. Man vermutet das Motto: Hauptsache, der Begriff ist im
Lexikon, egal was dort steht.[3] Ob die Aufführung von Jazzmusikern und
Persönlichkeiten der klassischen Musik wirklich sinnvoll ist, kann man
bezweifeln, findet man doch in einem Jazz- oder Popmusiklexikon oder
in einer Diskographie alles besser und bedeutend ausführlicher, zumal
die Auswahl der Musiker überaus subjektiv ist. Bedauerlicherweise
fehlt auch die AACM (Association for the Advancement of Creative
Musicians), die für Plattenveröffentlichungen zahlreicher schwarzer
Musiker außerordentlich viel geleistet hat.
Wer Kritisches über Plattenfirmen, deren wirtschaftliche
Verflechtungen und Korruptionsaffären sucht, wird ebenfalls
enttäuscht. Die Artikel über EMI, Columbia (CBS), Sony oder Warner
Communications etwa sind eher deskriptiv als kritisch aufschlußreich.
Dem Titel des Werkes eher gerecht werden umfangreiche, über mehrere
Seiten gehende Artikel wie z.B. Canada (mit einer Übersicht über
kanadische Labels), Cylinder, Disc, Discography, Folk Music
Recordings, Country and Western Music Recordings, Opera Recordings,
Jazz Recordings, Piano Recordings, Rock Music Recordings, Orchestra
Recordings und Rhythm And Blues Recordings. Eine ausführliche
internationale Bibliographie mit 565 Titeln enthält der Beitrag Sound
Recording Periodicals; ebenso interessant: Sonic Restoration of
Historical Recordings, Preservation of Sound Recordings und
Pseudonyms.
Es bleibt, dem Werk eine überarbeitete, zweite (genau genommen,
vierte) Auflage zu wünschen.
Bernhard Hefele
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