Das Lexikon Sportwissenschaft enthält um die zentralen Begriffe Leistung, Training und Wettkampf etwa 3.200 Lemmata, deren Auswahl auf Basis einer Aufteilung der Sportwissenschaft in 29 Themenbereiche erfolgte. Diese Terminologie vereint - unter Ausklammerung wesentlicher Teildisziplinen der Sportwissenschaft, wie z.B. der Sportgeschichte und des Schulsports - Begriffe der Praxissprache im Trainingsprozeß und der Wissenschaftssprache. Unter diesem Blickwinkel erhebt das Lexikon den Anspruch, eine Brücke zwischen Sportwissenschaft und Sportpraxis zu schlagen.
Ausgehend von der Hypothese der weitgehenden Übereinstimmung der Fachtermini der Sportpraxis und der Trainingswissenschaft im gesamten deutschsprachigen Raum will das Lexikon Sportwissenschaft einen Beitrag zur weiteren Vereinheitlichung der Terminologie der Sport- und Trainingswissenschaft leisten (S. 7). Dementsprechend wird darauf hingewiesen, daß die Ausarbeitungen im wesentlichen den Erkenntnisstand der gesamtdeutschen Sportwissenschaft und außerdem des internationalen Sports wiedergeben. Wie im Sportwissenschaftlichen Lexikon wird auch im Lexikon Sportwissenschaft den definierten Lemmata jeweils ein englischsprachiger Terminus zugeordnet.
Kritischer Vergleich
Die große Divergenz zwischen dem Sportwissenschaftlichen Lexikon und seinem dreisprachigen Pendant auf der einen und dem Lexikon Sportwissenschaft auf der anderen Seite hinsichtlich der Anzahl der aufgenommenen Begriffe macht deutlich, daß die Begriffsauswahl - wie bereits oben angedeutet - zu einem wesentlichen Problem sportwissenschaftlicher Lexikographie zählt. Dieses Problem wird vom Sportwissenschaftlichen Lexikon insgesamt überzeugender gelöst, indem auf inhaltlich orientierte Begriffe grundsätzlich verzichtet wird. Der Auswahl der Begriffe des Lexikons Sportwissenschaft liegt zwar eine systematische Gliederung des Gegenstandsbereiches in Themenkreise (Facetten, s.o.) zugrunde, nach welchen Kriterien einzelne Begriffe jedoch in diese Facetten aufgenommen oder ausgeklammert wurden, bleibt unklar. Da das Lexikon nicht zwischen wissenschaftlichen und technisch-inhaltlichen Begriffen differenziert, ergibt sich ein Sammelsurium von Termini, die auf unterschiedlichster Ebene liegen, das beim Rezipienten implizit immer die Frage entweder nach Ausklammerung (vor dem Hintergrund des im Titel formulierten wissenschaftlichen Anspruchs) oder aber nach Einbeziehung weiterer praktischer Begriffe aufwirft (vor dem Hintergrund der bereits aufgenommenen Begriffe und der damit erfolgten Grenzüberschreitungen zwischen Wissenschaft und Praxis). Sollten Begriffe wie beispielsweise Ball, Ballhalten, Beinarbeit, Beinschraube, Fallschirm, Halbzeit, Handstand, Hopserlauf, Kimme, Klimmziehen, Kniehebelauf (die weder im Sportwissenschaftlichen Lexikon noch im dreisprachigen Wörterbuch der Sportwissenschaft zu finden sind) zu Recht im Lexikon Sportwissenschaft enthalten sein, so stellt sich die Frage, warum viele andere, auf gleicher Ebene liegende Begriffe nicht aufgenommen wurden (wie z.B. Ballführen, Beinstellen, Beinkreisen, Fiberglasstab, Griffhöhe, Tiefsprung ... ). Aber auch hinsichtlich der im engeren Sinne wissenschaftlichen Begriffe weist das Lexikon Sportwissenschaft Lücken auf. So finden sich beispielsweise die sowohl im Sportwissenschaftlichen Lexikon als auch im Wörterbuch der Sportwissenschaft enthaltenen wichtigen Begriffe aerob-anaerobe Schwelle, Anthropometrie, Bewegungslehre, Leistungssport als Hauptlemmata nicht im Lexikon Sportwissenschaft.
Der Anspruch des Lexikons Sportwissenschaft, ein gesamtdeutsches Begriffsrepertoire wiederzugeben, wurde nicht eingelöst. Das Lexikon enthält zahlreiche Begriffe, die ganz offensichtlich nur die Sichtweise der Trainings- und Sportwissenschaft der ehemaligen DDR reflektieren. Ausdauerkonzept, intensitätsunabhängiges, Bestimmtheit des Trainings durch Leistungsprognose und -struktur, Voraussetzungstraining, Trainager, Popgymnastik sind hierfür nur einige Beispiele. Hierdurch macht das Lexikon eher auf Unterschiede als auf Gemeinsamkeiten aufmerksam. Auch die Definitionen bestimmter Begriffe weichen von denen im Sportwissenschaftlichen Lexikon oder im Wörterbuch der Sportwissenschaft in wesentlichen Punkten ab (s. z.B. die Begriffe Hochleistungs- bzw. Spitzensport, Trainingsmittel und Trainingsmethode). Literaturhinweise finden sich im Lexikon Sportwissenschaft nicht im Anschluß an die Definition der Hauptlemmata, sondern im Anhang zu jedem Themenkreis. Ein Überprüfen bzw. Vertiefen der einzelnen Definitionen ist daher unmöglich.
Besonders kritisch ist im Lexikon Sportwissenschaft die Übersetzung der Begriffe ins Englische zu sehen. Ohne Berücksichtigung der englischen Sprachrealität wird meist wörtlich übersetzt, was zu kuriosen Ergebnissen führt: Absprunggeschwindigkeit wird mit jump-off velocity übersetzt (korrekt: take-off velocity), Abwurf mit throw-off (korrekt: release oder delivery), Anlaufgeschwindigkeit mit in-run velocity (korrekt: approach oder run-up velocity), Angstgegner mit anxiety-opponent (korrekt: bogy opponent) usw. Die internationale Kommunikation wird auf diese Weise nicht gefördert, Mißverständnisse sind vorprogrammiert. Das Sportwissenschaftliche Lexikon ist hinsichtlich der englischen Terminologie zwar grundsätzlich besser, doch auch hier finden sich einige Fehlübersetzungen: Autogenes Training wird mit autogenious training übersetzt (korrekt: autogenic training); Haltungsschaden mit lesion of attitude (korrekt: postural defect); Herz-Kreislauf-System mit heart circulation system (korrekt: cardiovascular system). Auch diese Reihe ließe sich fortsetzen. Besonders ärgerlich ist, daß selbst diese Begriffe im Vorwort des Sportwissenschaftlichen Lexikons implizit als termini technici der englischen sportwissenschaftlichen Fachsprache charakterisiert werden.
Übersetzungsdefizite finden sich auch im Wörterbuch der
Sportwissenschaft, wobei diese hier sicherlich schwerer ins Gewicht
fallen, da sich dieses Wörterbuch ja die Auflösung internationaler
Verständigungsschwierigkeiten ausdrücklich zum Ziel gesetzt hat. So
wird Sportherz wörtlich mit Sport heart übersetzt. Zusätzlich wird
durch die Kennzeichnung mit zwei Sternchen darauf hingewiesen, daß die
englische bzw. französische Fachterminologie keinen entsprechenden
Begriff anzubieten hat. De facto jedoch ist der Begriff athlete's
heart in der englischsprachigen Sportmedizin gängig und folglich auch
in einschlägigen einsprachigen Wörterbüchern verzeichnet.[2] Auch andere
Begriffe werden unberechtigt mit Sternchen versehen. Auf diese Weise
wird der sinnvolle Ansatz, durch besondere Markierung auf ein vom
Deutschen abweichendes fremdsprachliches Begriffsverständnis
hinzuweisen, zumindest teilweise konterkariert.
Diese Schwächen machen deutlich, daß auch bei Übersetzungen zumindest
in potentiell strittigen Fällen Quellenangaben unverzichtbar sind.
Ausgesprochen verwirrend ist in den untersuchten Nachschlagewerken
auch der Umgang mit der Synonymie. So besteht nur in wenigen Fällen
Einigkeit hinsichtlich der einem bestimmten Begriff zuzuordnenden
Synonyme. Selbst in eindeutigen Fällen differieren die
Synonymverweisungen. So werden dem Begriff Erholung in dem ansonsten
mit Synonymverweisungen recht großzügig umgehenden Lexikon
Sportwissenschaft keine Synonyme zugeordnet, während unter dem
gleichen Begriff im Sportwissenschaftlichen Lexikon immerhin auf drei
Synonyme, nämlich Regeneration, Relaxation und Entspannung verwiesen
wird. In anderen Fällen werden im Lexikon Sportwissenschaft
offensichtliche Synonyme zugeordnet (z.B. Knochenbruch zu Fraktur),
während dies beim gleichen Begriff sowohl im Sportwissenschaftlichen
Lexikon als auch im Wörterbuch der Sportwissenschaft unterbleibt.
Aber die untersuchten Nachschlagewerke differieren nicht nur
untereinander hinsichtlich der Synonymverweisungen, auch isoliert
betrachtet ist in keinem der untersuchten Wörterbücher der Hinweis auf
Synonyme stringent gelöst. Es werden zwar Begriffe zu anderen synonym
gesetzt, diese Begriffe ihrerseits werden jedoch nicht immer
zurückverwiesen (in diesem Punkt ist das Lexikon Sportwissenschaft
grundsätzlich konsequenter und damit logischer als das
Sportwissenschaftliche Lexikon und das Wörterbuch der
Sportwissenschaft). Auch werden im Falle mehrerer Synonyme eines
Begriffes diese Synonyme nicht untereinander verwiesen. In einigen
Fällen wird sogar der Hinweis auf Synonymie unter dem angeblichen
Synonym wieder zurückgenommen.[3] Grotesk ist auch das künstliche
Erzeugen von Synonymen im Wörterbuch der Sportwissenschaft. Hiermit
ist das reine Übersetzen der einem deutschen Schlüsselbegriff
zugeordneten deutschen Synonyme ins Englische gemeint (z.B. sind die
dem englischen Begriff Lead-up games zugeordneten Synonyme Rough and
tumble games, school games und Variety games ledigliche Übersetzungen
der dem deutschen Begriff Kleine Spiele zugeordneten Synonyme
Tummelspiele, Schulspiele und Bunte Spiele). Dies ist besonders
störend, wenn einem deutschen Begriff, der mit einem als unenglisch
gekennzeichneten Begriff übersetzt wird, ein angebliches Synonym
zugeordnet wird, das ebenfalls als in der fremden Sprachrealität nicht
existent charakterisiert wird. So wird im Wörterbuch der
Sportwissenschaft Herzleistungsquotient mit Quotient of cardiac work
capacity (zwei Sternchen) übersetzt; als englisches Synonym wird
Cardiac performance quotient angegeben (ebenfalls zwei Sternchen).
Sicherlich kann man die Meinung vertreten, daß eine logische und
konsistente Synonymie kein entscheidendes Kriterium einer sauberen
sportwissenschaftlichen Lexikographie darstellt. Die hier aufgezeigten
Schwächen verweisen jedoch auf das einleitend angeführte
grundsätzliche Problem sportwissenschaftlicher Terminologiearbeit,
nämlich die bislang noch nicht erreichte Festigkeit und
Standardisierung der Fachterminologie.
Fazit
Wie nicht anders zu erwarten, schlagen sich die
wissenschaftstheoretischen Probleme der Sportwissenschaft auch in den
entsprechenden Lexika nieder. Wesentlich sind in diesem Zusammenhang
die unklaren Grenzen der Sportwissenschaft zu ihren
Mutterwissenschaften sowie zwischen Sportpraxis und Sporttheorie.
Definitorische Divergenzen, vor allem jedoch das in allen drei
untersuchten Nachschlagewerken mehr oder weniger offensichtliche
Problem der Synonymie, machen deutlich, daß auch viele Begriffe
hinsichtlich ihrer Bedeutung noch der weiteren Klärung bedürfen. Ein
besonderes Problem sind in diesem Zusammenhang die teilweise noch
bestehenden Unterschiede zwischen der Fachterminologie der alten und
der neuen Bundesländer. Einer Angleichung, aber zumindest
vergleichenden Klärung, sollte in Zukunft besondere Aufmerksamkeit
gewidmet werden. Hinsichtlich der Erleichterung der internationalen
Kommunikation liefert das dreisprachige Wörterbuch der
Sportwissenschaft gute Ansätze. Allerdings stellen die deutschen
Begriffe unbegründet die Ausgangsbegriffe dar. Die Aufschlüsselung
müßte idealerweise von allen drei Sprachen her geleistet werden. Sonst
besteht die Gefahr, daß wichtige Begriffe in anderen Sprachen, die im
Deutschen keine Entsprechung haben, nie Eingang in ein derartiges
Wörterbuch finden. Fremdsprachige Begriffe sollten unbedingt durch
Quellentexte belegt werden, und fragwürdige Begriffsübersetzungen
sollte man weglassen und nur die Inhalte der Begriffe in der
jeweiligen Sprache definieren.
Grundsätzlich ist festzuhalten, daß keines der drei untersuchten
Wörterbücher das jeweils andere ersetzt. Am ausgereiftesten
hinsichtlich Konzeption und praktischer Umsetzung ist das
Sportwissenschaftliche Lexikon. Dem - mit DM 298.00 übrigens erheblich
zu teuren - Lexikon Sportwissenschaft und dem dreisprachigen
Wörterbuch der Sportwissenschaft sind eine ebenso große Chance zur
Ausreifung zu wünschen.
Jürgen Schiffer
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