Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, doch muß es hier hervorgehoben werden, weil es gerade bei so bibliographisch intrikaten Gebieten wie Erotica nicht die Regel ist: Die vorliegenden Titelaufnahmen wurden nach Autopsie erstellt, bzw. an den Originalen überprüft. In Anbetracht der Seltenheit vieler Titel (ja tatsächlich: hier trifft die abgedroschene Standardbemerkung der Antiquare zu: Selten und gesucht!) ist das keine gering einzuschätzende Leistung. Ein Teil des Materials dürfte in öffentlichen Bibliotheken kaum zu finden sein. Stichproben, soweit sie möglich waren, haben die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Aufnahmen bestätigt, so daß nunmehr ein verläßliches Hilfsmittel für den Bibliographen zur Verfügung steht.
Die sachliche Anordnung folgt einem formalen Schema: Bibliographien der Bibliographien, Bibliographien [und Nachschlagewerke] (mit zahlreichen Untergruppen: Sachwörterbücher, Literaturgeschichte, Anthologien, Illustration, Fingierte Druckorte, Verbotene Bücher, Personal- und Werkbibliographien, Einzelne Sachgebiete), Kataloge (mit den Untergruppen: Gesamtkataloge, Kataloge einzelner [öffentlicher] Bibliotheken, Privatbibliotheken), Verlags- und Buchhandelsverzeichnisse. Den Abschluß bildet ein Kapitel Sittengeschichte, das mehr als Appendix gedacht ist. Haben die Autoren schon wegen des Mangels an Bibliographien im engeren Sinne eine größere Anzahl sonstiger Nachschlagewerke unter bibliographischem Aspekt behandelt, so erschien ihnen auch das Genre Sittengeschichte, das seit der Jahrhundertwende in Deutschland eine Büte erlebte, so ergiebig, daß sie die wichtigsten, allerdings ohne Annotation verzeichneten. Auch hier gibt es eine Untergliederung je nach thematischem oder regionalem Bezug.
Die Annotationen sind nicht nur deskriptiv, sondern auch wertend und kritisch. Von größeren oder allgemeineren Werken wird jeweils der Teil nachgewiesen, der für das Thema relevant ist. Zahlreiche Verweisungen stellen Zusammenhänge zwischen Titeln und Inhalten her. Neben gedruckten Werken werden in geringem Maße auch Manuskripte behandelt; es handelt sich dabei um Titel, die teils in der Literatur schon erwähnt wurden und die den Verfassern offensichtlich wenigstens auszugsweise vorlagen. So Nr. 21, ein über 2.000 Seiten umfassendes Manuskript einer Bibliographie zur Sexualwissenschaft von Alan Hull Walton, das sich nach dem Tode des Autors im Besitz des inzwischen ebenfalls verstorbenen Verlegers Skilton befand. Eine Seite daraus ist abgebildet.
Der Band bietet eine ganze Reihe von Trouvaillen, die neue Informationen bringen und teils bisherige Meinungen revidieren.
So galt es bisher als akzeptiert[2] daß Alfred N. Gotendorf die
Veröffentlichung der Bibliotheca Germanorum erotica et curiosa
finanziell ermöglichte, aus welchem Grunde eben auch sein Name aufs
Titelblatt gesetzt wurde, während der unermüdliche Hugo Hayn die ganze
Arbeit getan hätte. Hier zeigt sich und wird durch eine Abbildung
belegt, daß Gotendorf durchaus beachtliche bibliographische Beiträge
geleistet hat, wie sein üppig annotiertes Handexemplar der 2. Ausg.
von Hayns Bibliotheca Germanorum erotica[3] ausweist (Nr. 27).
Bérards (1783 - 1859) Catalogue de dessins, manuscrits et livres qu'on
est obligé … cacher, von H. S. Ashbee in seinem Index librorum
prohibitorum (S. 449 - 450) beschrieben, ist wohl seither noch nie
benutzt worden. Hier wird erstmalig das Titelblatt faksimiliert (Nr.
29). Das gleiche gilt für eine umfangreiche Kompilation von Edouard
Tricotel: Bibliographie érotique von 1871, von der eine Seite
reproduziert ist. Besonders reizvoll sind die Bibliographical notes
des Sammlers und Erotica-Autors James Campbell Reddie, dessen Sammlung
und Aufzeichnungen in den Besitz von Henry Spenser Ashbee gelangten
und ihm eine wertvolle Grundlage für seine drei umfassenden
Erotica-Bibliographien waren.
Ein Kabinettsstück besonderer Art ist die auf S. 176 abgebildete
Bücherliste des Marquis de Sade, mit der dieser von seinem Anwalt
Gauffridy einen Teil seiner Bibliothek erbat.
Nun gibt es auch einen Beleg dafür, daß der Erotica-Katalog des
Verlegers Joseph Schoenebeck aus Meßkirch (1921, 25 Exemplare!)
tatsächlich existiert. S. 248 zeigt zwei Seiten des Kataloges mit
einer handschriftlichen Bemerkung von Schoenebeck, daß er das Exemplar
dem Verfasser der Geschichte der erotischen Literatur, Paul Englisch,
übereignete. Weitgehend unbekannt ist auch der Katalog der Bibliothek
Villalonga (Palma de Mallorca, 1923) (Abb. S.252).
Standardwerk der französischen Erotica-Bibliographie sind die
Kompilationen von Jules Gay: Bibliographie des ouvrages relatifs …
l'amour, aux femmes, au mariage ..., die von 1861 bis 1900 in vier
Ausgaben erschien. Hier werden die 3. und 4. Ausg. zur Benutzung
empfohlen - die 3. enthält mehr Material, ist aber wenig genau (so
sind ausländische Titel ohne nähere Kennzeichnung ins Französische
übersetzt!). Die 4. Ausg. dagegen, von J. Lemonnyer bearbeitet, hat
zwar eine Menge des früheren Materials ausgesondert, ist aber in
vielem verläßlicher.
Besondere Anstrengungen wurden unternommen, den Orient in die
Darstellung einzubeziehen, was als Novität zu bezeichnen ist. Man hat
selbst die Mühe nicht gescheut, chinesische und japanische
Schriftzeichen in den Text einzusetzen, was den Wert des Buches für
den Wissenschaftler erhöhen wird.
Viel Seltenes findet sich bei den Verlags- und Buchhandelskatalogen.
Zumeist wurden sie nach Gebrauch fortgeworfen; Bibliotheken sammelten
sie, zumindest früher, kaum, und so sind sie heute rar. Auf diesem
Gebiet konnte auch die vorliegende Bibliographie am wenigsten
Vollständigkeit erreichen.
Das Werk hat einige Anhänge: zunächst eine Liste von sieben Titeln,
die bei Redaktionsschluß veröffentlichungsbereit waren. Davon sind
inzwischen die folgenden erschienen: die Bibliographie der
viktorianischen Erotica von Peter Mendes (IFB 95-1-018), zwei Bände
aus der Reihe Arcana bibliographica[4] und die Bibliotheca erotica von
José Antonio Cerézo (IFB 95-1-017). Zu erwarten sind noch eine
Bibliographie des Gala-Verlags, eine Bibliographie der Aloisia Sigaea
(Meursius/Chorier) und die Edition der Bibliographical notes von
Campbell Reddie. Des weiteren gibt der Anhang eine Aufschlüsselung der
Anthologie Erotische Fantasien von Eberhard und Phyllis Kronhausen,
weil darin eine Anzahl wichtiger Texte (mit Kommentaren) einem breiten
Kreis zugänglich gemacht worden ist. Der Briefwechsel zwischen dem
Bibliographen Alfred Rose und dem Verleger George Redway belegt
eindeutig die Autorschaft der Bibliotheca arcana, während das Vorwort
zu einer anderen, bislang nicht veröffentlichten Bibliographie
Catalogus librorum prohibitorum britannica [!], or The library of
Venus des Kanadiers Lawrence Forster, ("Brussels", 1913) etwas mehr
Licht auf dieses wichtige Werk wirft.
Auch bei den Illustrationen befindet sich, wie erwähnt, allerlei
Interessantes. Besonders die Farbtafeln sind stark erotisch, aber von
künstlerischer Qualität. So zeigt ein Frontispiz von Paul-Emile Bécat
zu den Oeuvres libres von Paul Verlaine (Brüssel, 1948) ein Porträt
Verlaines als Teil einer erotischen Szene. Edouard Chimot zeichnete
auf Vortitel und Titel von Pierre Louys' Roman Trois filles de leur
mŠre die Heldinnen der Geschichte, einmal bekleidet, einmal
unbekleidet. Ein Einband der Erstausgabe von Verlaines Femmes von
George Miller darf als besonders gelungen gelten. Aber auch der nur
mit einem einfachen Design geschmückte Einband der Bibliotheca
scatalogica ist dem Thema angemessen, während ein Aquarell von Martin
van Maele in Sens devant derriŠre par le prince de [Ligne] (Brüssel,
1867) den talentierten Zeichner von einer neuen Seite zeigt.
Dokumentarischen Wert haben einzelne Photos, wie Porträts der
Bibliographen Jacques Duprilot und J. Rund und der Künstler Marcel
VertŠs und Franz von Bayros, des Verlegers Pauvert und des
Schriftstellers Sacher-Masoch.
Satzfehler wurden bei der Durchsicht nicht festgestellt; desgleichen,
ungewöhnlich wie es ist, keine offensichtlichen Fehler und
Unrichtigkeiten. Der Band ist außerordentlich solide ausgestattet,
Typographie und Druck sind vorzüglich. Zweifellos ein Meilenstein der
Bibliographie![5]
Hartmut Walravens
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