Angesichts der Breite und Themenvielfalt des Lexikons war sich die Redaktion im klaren darüber, daß eine Vollständigkeit im enzyklopädischen Sinne nicht zu erreichen ist, weshalb sie sich bei der Auswahl der Einträge durch die Tendenz zum Exemplarischen leiten ließ, bei der "einzelne Elemente nach subjektiver Beurteilung besonders zu betonen, andere in den Hintergrund zu rücken" seien (Vorwort). Von seiner Anlage und seinem Schwergewicht auf den verschiedenen Aspekten deutsch-jüdischer Geschichte erscheint das NLJ am ehesten mit dem Philo-Lexikon bzw. dem Lexikon des Judentums vergleichbar. Gegenüber den älteren Nachschlagewerken wesentlich Neues bietet das NLJ zunächst in der Fülle von Informationen über das deutsche Judentum nach 1945 (mit einer Reihe von Einträgen zur DDR), der knappen Darstellung neuer Forschungsergebnisse vor allem in den Essays, sowie mit den zahlreichen Einträgen zum sozialen und politischen Leben in Israel. Sehr umfangreich gehalten sind die biographischen Einträge, bei denen man sich häufig eine gezieltere und gestrafftere Auswahl und Beschränkung gewünscht hätte, da viele Angaben aus älteren Lexika oder neueren thematisch zusammengestellten Handbüchern bekannt bzw. dort ausführlicher behandelt sind.
Die zahlreichen begriffs-, lokal- und regional- sowie organisationsgeschichtlichen und biographischen Einträge zu Geschichte und Leben des deutschen Judentums sind im Hinblick auf die potentielle Leserschaft sicherlich gerechtfertigt; zu fragen ist allerdings, ob die getroffene Auswahl der Stichwörter speziell bei dieser Thematik nicht zu einer sachlich nicht immer nachvollziehbaren Sichtweise beiträgt. Die Herausgeber heben in ihrer Einleitung zu Recht die pluralistischen Bedingungen jüdischer Lebensverhältnisse hervor, denen sie jedoch in ihrer Auswahl der Beiträge nur bedingt Rechnung tragen. Während beispielsweise das seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nach Westen abwandernde Ostjudentum in zahlreichen Artikeln behandelt wird, findet man unter dem Stichwort Landjuden lediglich sechs Photographien aus der schwäbischen Gemeinde Ichenhausen, die ohne eine weitergehende Kommentierung nur wenig aussagekräftig sind. Wichtige, vor allem in der neueren Forschung zur Geschichte der jüdischen Minderheit in Deutschland zentrale Begriffe wie Akkulturation, Bürgertum, Judenfrage oder auch Vereinswesen sind nicht mit eigenen Einträgen vertreten. Schließlich erscheint es höchst ungleichgewichtig, wenn zwar dem Reformjudentum ein Essay gewidmet, den beiden anderen, ebenfalls in Deutschland entstandenen religiösen Strömungen, der Orthodoxie und dem konservativen Judentum, keine Artikel gewidmet sind. Unter Orthodoxie findet der Leser lediglich 4 Verweisungen auf andere Einträge, während speziell für die deutsche Orthodoxie relevante Einträge (z.B. Adass Jisroel, Halberstadt, S.R. Hirsch) zwar im Lexikon vorhanden, nicht aber unter Orthodoxie erwähnt werden. Die Auswahl nach "subjektiver Beurteilung" wird problematisch, wenn ganze Sozialgruppen und relevante religiöse Strömungen innerhalb des deutschen Judentums derart aus der Darstellung ausgeblendet werden. Eine wesentliche Schwäche aus der Sicht des Benutzers weist das NLJ beim Verweisungsapparat auf. Für die Benutzung von Lexika ist ein möglichst umfassendes System von Querverweisungen auf andere Stichwörter unerläßlich - nicht zuletzt deshalb, weil Lexika in der Regel nicht über eigene Register verfügen. Nach welchen Kriterien die Querverweisungen in dem NLJ erfolgen, ist nicht nachvollziehbar. Wird in vielen Fällen auf bestehende Einträge verwiesen, so fehlen solche Hinweise auf die gleichen Stichwörter in anderen Artikeln. Das erschwert die Benutzung dieses Lexikons bzw. setzt, wie am Beispiel des Eintrags Orthodoxie gezeigt, bereits weiterreichende Vorkenntnisse voraus.