Die Anlage ist ungleich. Die Abschnitte zur Germanistischen Linguistik und zur Älteren deutschen Sprache und Literatur verwenden z. B. Anmerkungen nur sparsam oder gar nicht. Die zugehörige Literatur wird in jeweils auf die einzelnen Abschnitte bezogenen Bibliographien am Ende des Bandes zusammengefaßt und beschränkt sich auf grundlegende Werke. Der Abschnitt zur neueren deutschen Literatur bringt es auf über 300 Anmerkungen mit Nachweisen zum Text, und die zugehörige Bibliographie am Schluß des Bandes rekapituliert ebendiese Titel in alphabetischer Folge. Grundlegende Titel - wie z. B. Autorenlexika oder Fachbibliographien - finden sich dagegen nur in den fortlaufenden Text eingestreut.
Ärgerlich ist, daß die Bibliographien am Schluß des Bandes verschiedenen Prinzipien folgen: diejenige zur Linguistik folgt angelsächsischem Modus (Name - Jahr - Titel), die anderen gliedern in der Folge Name - Titel - Jahr, dafür wird aber in der Bibliographie zur neueren Literaturgeschichte die Auflagenbezeichnung ganz an den Schluß hinter das Impressum gerückt. Wie soll ein Studienanfänger bei solcher Mixtur in einer Einführung das Bibliographieren lernen?
Inhaltlich erstrecken sich die Einführungen zur Linguistik sowie zur
Älteren deutschen Sprache und Literatur auf die jeweiligen
Hauptgebiete (also auf Phonetik/Phonologie, Morphologie, Syntax,
Semantik und Pragmatik im Kapitel Linguistik, das allerdings der
Sprachphilosophie keine Aufmerksamkeit schenkt; auf die historischen
Sprachstufen Germanisch, Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutsch in der
Sprachgeschichte und auf die Perioden der älteren deutschen
Literatur). Im Abschnitt zur neueren Literaturwissenschaft steht
dagegen der Methoden- und Theorienpluralismus so im Vordergrund, daß
man für den Anfänger einige Verwirrung befürchten muß. Besonders
ausführlich wird die Analyse von Erzähltexten erörtert, aber
ausgerechnet zu dieser Thematik fehlt in der Literaturliste E.
Lämmerts "klassisches" Buch Bauformen des Erzählens[1] und die
Generalattacke darauf durch J. H. Petersens Erzählsysteme.[2] Auch K.
Hamburgers Logik der Dichtung[3] fehlt, obgleich sich Erzählforschung an
dem Buch noch immer kräftig stößt.
Zur neueren Literaturgeschichte selbst wird nur wenig Information
geboten; die drei (!) Literaturhinweise S. 2506[4] können doch nicht
ernsthaft als hinreichendes Angebot zur neueren Literaturgeschichte
genommen werden!
Die große Diskrepanz zwischen den Teilen des Buches schlägt auch bei
den Literaturhinweisen durch: Für das Mittelalter werden die einzelnen
Bände der großen, von de Boor und Newald begründeten Geschichte der
deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart sowie die
einschlägigen Darstellungen von Wehrli, Kartschoke/Bumke/Cramer und
Haubrichs/Vollmann-Profe/Heinzle genannt, auch die Altdeutsche Metrik
von W. Hoffmann. Nichts Entsprechendes dagegen für die neuere
Literaturgeschichte, nichts zu den Grundlagen von Metrik und
Stilistik; auch die Rhetorik kommt lediglich knapp im Rahmen der
mittelalterlichen Literatur zur Sprache.
An Nachlässigkeiten fällt u. a. auf: S. 237 W. Koch als Begründer des
Kosch; Bd. 15 des von W. Killy hrsg. Literatur-Lexikons enthalte
Register und Nachträge - Register ja, Nachträge nein. Einfach falsch
dargestellt wird die Tragödiendefinition des Aristoteles mit der
Furcht- und Mitleid-Frage (S. 282). Hier ist die altphilologische
Forschung der letzten 30 Jahre nicht rezipiert worden, die - u. a.
aufgrund peripatetischer Interpretamente zur aristotelischen Poetik
- zu klaren Ergebnissen gelangt ist. "Schauder und Jammer" ist die
einzig richtige Übersetzung, die falsche Übersetzung "Furcht und
Mitleid" durch Lessing hat freilich als produktives Mißverständnis
spezifische Folgen, die aber eine Sache für sich sind. Kircher stützt
sich hier - dies die Ursache des Fehlers - ausweislich des
Literaturverzeichnisses auf die alte Poetik-Übersetzung O. Gigons (in
der Reclam-Ausgabe), die der Verlag längst durch die neue von M.
Fuhrmann ersetzt hat, in deren Nachwort auch die Ergebnisse zu der in
Rede stehenden Frage ausgebreitet sind.
Zum Mittelalter-Kapitel bleiben nur kleinere Wünsche offen: So sollte
das grundlegende Phänomen der Typologie erklärt werden. Das
Auslegungsprinzip des mehrfachen Schriftsinns wird nur einmal en
passant erwähnt (S. 202); dabei kann dem Anfänger nicht deutlich
werden, was es mit litteraler, allegorischer, moralischer und
eschatologischer Auslegung auf sich hat.[5] Vielleicht sollte der
Abschnitt Mittelalter-Rezeption (S. 225 - 227) wenigstens um einen
Hinweis auf R. Wagner ergänzt werden.
Das Kapitel zur neueren Literatur bedarf größerer Überarbeitungen, ehe
man es vorbehaltlos etwa neben der bewährten Einführung in die neuere
deutsche Literaturwissenschaft[6] empfehlen kann. Eine Überarbeitung
sollte auch die Beziehungen der Literatur zu Musik und Bildender Kunst
erörtern.
Hans-Albrecht Koch
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