Ab 1747 erschien beinahe jährlich ein neuer Quartband und 1765 ist das große topographisch-historische Nachschlagewerk mit dem 20. Band abgeschlossen. Auf 11.368 Seiten in (geschätzten) rund 20.000 Stichwörtern wurde "alles" beschrieben was die Schweiz betraf und was damals für wichtig gehalten wurde. 21 Jahre später (1786) ergänzte und verbesserte der Zürcher Apotheker Hans Jakob Holzhalb (1720 - 1807) mit einem sechsbändigen Supplement (zusammen 3.826 Seiten) die Erstausgabe. Angekündigt und beabsichtigt wurde dieser Nachtrag aber noch von Leu selbst.
Daß dieses Werk heute noch Beachtung findet, wird in vielen
schweizerischen Bibliotheken offensichtlich, gehört es doch zur
Handbibliothek eines jeden Lesesaales. Ergänzt und fortgesetzt wurde
dieses Nachschlagewerk erst 1902 - 1910 durch die Herausgabe des
Geographischen Lexikons[2] und 1921 - 1934 durch den Druck des HBLS.[3]
Leus Werk - alphabetisch geordnet - nennt vorwiegend schweizerische
Orte, Familiennamen und einzelne Personen, ferner Bistümer, Gemeine
Herrschaften (= Untertanengebiete), Stifte, Klöster, Schlösser, Berge,
Täler, Seen oder Bäder. Wesentlich seltener findet man Begriffe aus
dem damaligen Recht, aus Politik und Handel oder zur Ethnologie.
Ergänzt werden viele Beiträge durch Urkundenabschriften oder durch
ausführliche Namenlisten von Amtsinhabern. Die Auswahl der
Familiennamen beschränkte sich auf regimentsfähige Geschlechter, denn
das Ancien régime gehorchte noch feudalistischen Grundsätzen, ganz im
damaligen Zeitgeist. Da zur damaligen Eidgenossenschaft auch das
Veltlin und die zugewandten Orte Mülhausen (Elsaß) und Rottweil
(Württemberg) gehörten, sind Informationen über die heutigen Grenzen
hinweg verfügbar. Die Beziehungen zu Rottweil werden z.B. auf
12ÿSeiten beschrieben, darunter die wörtliche Abschrift des
Bundesbriefes von 1519.
Wer war nun Johann Jacob Leu, der Verfasser dieses Werkes? Er
entstammte einer angesehenen Zürcher Familie. Mit 20 Jahren trat er in
den Staatsdienst und wurde mit 70 Jahren als Bürgermeister des
Stadtstaates Zürich gewählt. Er war gerade 16 Jahre alt, als sein
erstes Werk in Druck ging: der alljährlich erneuerte Durchleuchtige
Weltbegrieff (1705 - 1745). Danach erschien sein eidgenössisches
Staatsrecht (Respublica Helvetiorum) und von 1727 - 1746 das Stadt-
und Landrecht in vier Bänden mit eigenem Kommentar. Leu trat weniger
durch schöpferische Arbeiten hervor; er war vielmehr sein Leben lang
ein eifriger Sammler und Registrator mit Ausdauer und
Beharrungsvermögen.
Diese Sammeltätigkeit bildete die Voraussetzung für sein Hauptwerk,
das Helvetische Lexikon, das er auf eigene Kosten herausgab.
Korrespondenten und Mitarbeiter in der ganzen Schweiz lieferten ihm
Artikel und mehrten seine Schriftensammlung. Seine politischen Ämter
erlaubten ihm eine rege Reisetätigkeit, und sein Ansehen öffnete ihm
manche Tür. Trotz zahlreicher Fehler ist das Lexikon im allgemeinen
zuverlässig und reicht überraschend nahe an die Vollständigkeit heran.
Vorbehalte betreffen in erster Linie unhaltbare und beschönigte
genealogische Artikel, die ihm auf Anfrage von den Familien zugespielt
wurden. Besonders sorgfältig erscheinen aber die bei den Biographien
beigefügten Literaturangaben (z.B. bei Leonhard Euler oder Konrad
Gessner). Sie rechtfertigen abermals, daß dieses Werk neu
herauskommt.
Die Form des Lexikons galt damals als die beste, wenn nicht die
einzige Möglichkeit, ein Land in allen Bereichen zu beschreiben. Diese
starre Ordnung muß dem unermüdlichen Sammler recht willkommen gewesen
sein, denn wiederum fällt die schöpferische Leistung gegenüber der
Sammeltätigkeit kaum ins Gewicht. Leu hatte Vorbilder[4] für sein
Lexikon und selbst in Zürich wirkten vor ihm mehrere
Geschichtsschreiber mit ähnlichen Projekten,[5] von denen aber kaum
eines vollendet wurde. Leu hat also die Idee eines Lexikons nicht
vollkommen selbständig entwickelt und ausgearbeitet, ihm ist es aber
als einzigem geglückt, sein Werk zu verwirklichen. Er alleine hätte
das alles aber wohl kaum bewältigen können. Bester Mitarbeiter wurde
sein Sohn Johannes (1714 - 1782). Nach Schulen in Zürich und einem
Studium in Halle an der Saale bekleidete auch er staatliche Ämter.
Das aufwendige Werk hatte zu Lebzeiten Leus nur geringen Erfolg, und
Emanuel von Haller stellte (1785) sogar fest, daß "der größte Theil
des Publici ... viele Verachtung" dagegen bezeuge.[6] Viele Zwiste
wurden durch gekürzte oder ausgebliebene genealogische Artikel
hervorgerufen. Die Höhe der Auflage läßt sich leider nicht mehr
bestimmen. Bekannt ist dagegen, daß der Sohn 1775 (10 Jahre nach dem
Erscheinen des letzten Bandes) immer noch etwa 30 Käufer für die
übriggebliebenen Exemplare suchte. Erst im 19. Jahrhundert würdigten
schweizerische Historiker und Lexikographen Leus Werk.[7]
Die handschriftliche Sammlung, die der Vater begründete und die der
Sohn um mehr als das Doppelte erweiterte, ist uns erhalten geblieben.[8]
Sie befindet sich in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek
Zürich und ist durch einen Handschriftenkatalog erschlossen.[9]
Zusammenfassend darf bemerkt werden: Das Helvetische Lexikon war über
100 Jahre das wichtigste Nachschlagewerk der Schweiz und repräsentiert
das Ancien régime und den Geist jener Epoche. Es war über mehrere
Jahrzehnte absolut aktuell und zeitgemäß. Viele Tatsachen wurden nur
damals gewertet und viele Fakten wurden seither niemals mehr
aufgezeichnet. Wertvoll ist das Lexikon auch heute noch und es
erleichtert manchen Einstieg in die Vergangenheit und dient vielleicht
als Wegweiser durch Archive. Die Neuausgabe ist deshalb zu begrüßen,
ermöglicht sie doch den Bibliotheken die Anschaffung, die die
Originalausgabe bisher nicht besaßen, ebenso wie sie es den Besitzern
der Originalausgabe ermöglicht, diese durch den Einsatz des
Mikrofiches zu schonen.
Mario von Moos
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