Die Nützlichkeit von Initien-Sammlungen für die Mediävistik im allgemeinen und die Handschriftenkunde im besonderen muß hier nicht näher erläutert werden. Es genügt der Hinweis, daß trotz gewisser textlicher Schwankungen das Initium das sicherste und präziseste Instrument zur eindeutigen Identifikation von Texten mittelalterlicher handschriftlicher Überlieferung ist. In einer Zeit, die ein Titelblatt im modernen Sinn nicht kannte, die aber mit dem Initium eines Werkes dieses auch benannte, ist seine Zuverlässigkeit größer als die jeder Verfasser- und Titelangabe, im Falle kleiner und kurzer Texte sogar unersetzbar. Daher hat man natürlich in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Paris, sondern schon seit dem 19. Jahrhundert vor allem in den Bibliotheken Initienverzeichnisse in Zettelform angelegt und geführt, die von ihrem Umfang her sich natürlich mit dem Pariser Katalog nicht messen können. Angesichts dieser Sachlage ist es verständlich, daß vor einigen Jahren der Wunsch geäußert wurde, all diese versteckten Initienverzeichnisse durch internationale Zusammenarbeit in einer Datenbank zusammenzuführen. Da die Realisierung dieses Projektes jedoch utopisch sein dürfte, wird man in Zukunft mit mehreren konkurrierenden, sich allerdings nur teilweise überschneidenden Initien-Datenbanken leben müssen, von denen In principio zur Zeit die größte ist.
Während der Gesamtindex mittelalterlicher Handschriftenkataloge, der
seit Ende 1993 unter dem Namen Handschriften des Mittelalters als
DBI-LINK-Datenbank[3] angeboten wird, sich im wesentlichen auf die in
Deutschland nach 1945 erstellten Kataloge lateinischer und deutscher
Handschriften bezieht und damit zur Zeit regional begrenzt und
ausdrücklich bestandsbezogen ist, erhebt die Datenbank In principio
einen allgemeineren Anspruch. Für den zugrundeliegenden Zettelkatalog
wurden im Laufe seiner Geschichte Handschriftenkataloge, spezielle
Forschungsliteratur und - im Wege der Autopsie - Handschriften vor Ort
ausgewertet. Die Prinzipien, die diese Auswahl bestimmt haben, sind
angesichts der Fülle des Materials von einer Reihe von
"Zufälligkeiten" und persönlichen Vorlieben abhängig, so daß das, was
man in der Datenbank finden kann, nicht präzis zu definieren ist.
Schwerpunkte des ausgewerteten Materials liegen in Frankreich und im
Vatikan, wie einige willkürlich herausgegriffene Zahlen über die
Herkunft der aufgeführten Initien zeigen. So stammen von den 275.806
(148.697; in Klammern sind zum Vergleich die Zahlen für die erste
Lieferung genannt), in der zweiten Lieferung nachgewiesenen
Initien-Einträgen aus Aachen (4) 3, aus Amiens 945 (497), aus Augsburg
171 (108), aus Berlin 906 (483), aus Darmstadt 333 (182), aus Erfurt
632 (340), aus Frankfurt am Main 16 (11), aus Fulda 54 (30), aus
München 5.026 (2.253), aus Paris 17.357 (9.323), aus dem Vatikan
18.063 (9.184) und aus Wien 5.639 (3.268) Nachweise. Der Benutzer darf
also keine auch nur annähernd vollständigen Überlieferungs- oder
Exemplarnachweise von Werken und Texten in dieser Datenbank erwarten.
Die wissenschaftliche Literatur und die Handschriftenkataloge des
letzten halben Jahrhunderts sind für den Initien-Katalog des IRHT nur
selektiv ausgewertet worden.
Für die Art der inhaltlichen Auswertung der Informationsquellen gilt
ähnliches. Die Datenbank umfaßt die folgenden, für sich selbst
sprechenden suchbaren Felder: Incipit, Explicit, Author, Authenticity,
Work, Place, Library, Shelf mark, Date und Folio. Zur Erläuterung der
Erfassungskonventionen in der Datenbank ist in Bezug auf diese Felder
erwähnenswert, daß nicht aus der Handschrift stammende Autoren- oder
Titelangaben in [ ] gesetzt sind; bei Übersetzungen in das Lateinische
gilt der Übersetzer als Autor, der Autor der übersetzten Vorlage
dagegen ist Teil des Werktitels. Von diesen Feldern ist lediglich das
Feld Incipit in allen Datensätzen, in der vorliegenden zweiten
Lieferung in 275.806 Fällen, also zu 100% besetzt. Diese Rate, die zur
sinnvollen Kontrolle der eigenen Suchstrategien über eine vom
Hersteller implementierte einfache Datenbankabfrage in den jeweiligen
Feldern leicht feststellbar ist, beträgt beispielsweise für das Feld
Explicit nur 0,46%, für Author 35,83%, für Place 63,44% und für Date
18,57%. Diese Relationen muß man als Benutzer bei kombiniertem Suchen
über mehrere Felder berücksichtigen, um nicht zu völlig irrigen
Resultaten zu gelangen. Außer diesen suchbaren Feldern gibt es eine
Reihe nicht suchbarer Felder, die die Informationsquellen für das
Initium nachweisen (im Falle der Autopsie Institution, Person und
Datum, die die Angaben geliefert haben; ein Handschriften-Katalog;
eine sonstige Publikation mit der Angabe von Autor, Titel und
bibliographischer Information).
Diese Bemerkungen und Zahlen zeigen, daß das Alter des
IRHT-Zettelkatalogs seine Stärke, aber auch seine Schwäche ist. Wie
ein alter Baum ist er im Laufe der Jahrzehnte gewachsen, aber nicht
gleichmäßig, sondern in verschiedene Richtungen und mit verschiedenen
Verästelungen. Um so lobenswerter ist es, daß sich das IRHT nicht von
der ungleichmäßigen Datendichte bei den Zusatzinformationen zu den
Initien dazu hat verleiten lassen, eine gleichförmige und in allen
Feldern gleichmäßig besetzte, damit aber eine in der Zahl der Felder
und im Informationsgehalt erheblich reduzierte Datenbank anzubieten,
sondern die Chance der Datenverarbeitung genutzt hat, eine inhaltlich
offene Struktur zu wählen, die im Laufe der Zeit bei zukünftigen
Aktualisierungen sukzessive verbessert, ergänzt und erweitert werden
kann. Vergleicht man In principio mit dem Gesamtindex
mittelalterlicher Handschriftenkataloge bzw. den Handschriften des
Mittelalters, so springt ein grundsätzlicher Vorteil der
IRHT-Datenbank sofort ins Auge. Initium, Autor, Titel, Werk,
Fundstelle und bibliographische Angabe, diese zusammengehörigen
Informationen, die bei der traditionellen Registererstellung der
gedruckten Handschriftenkataloge mit ihren selbständigen Initien- und
Kreuzregistern und dem diese Struktur abbildenden Gesamtindex
auseinandergerissen werden, werden hier - zumindest potentiell - in
einem Datensatz einander zugeordnet. Damit ist In principio mehr als
nur eine Findehilfe, die zu gedruckten Materialien führt, sondern eine
für sich selbst sprechende Datenbank, die die für den Benutzer
notwendigen Informationen mit einem Zugriff anbietet. Die vertiefte
Sacherschließung der Handschriften jedoch, die in den deutschen
Handschriften-Katalogen die Personen-, Orts- und Sachregister leisten
und die daher auch der Gesamtindex anbietet, wird man in der
IRHT-Datenbank allerdings vergeblich suchen.
Die DOS-Software von Dataware, auf der CD-ROM selbst mitgeliefert und
leicht installierbar, entspricht in ihrem Leistungsumfang unter der
firmentypischen Benutzeroberfläche in den wichtigsten Funktionen der
oben beschriebenen Software derselben Firma für die CLCLT, so daß hier
einige Bemerkungen zu den wichtigsten Besonderheiten des neuesten
Dataware-Produktes ausreichen. Abfragesprachen sind nur Englisch und
Französisch; die Syntax der Kontextoperatoren ist
unverständlicherweise anders; das Markieren von Treffern und
Index-Begriffen liegt auf einer anderen Tastenkombination; die Anzahl
der Einträge pro Datenfeld ist sinnvollerweise, wie oben schon
bemerkt, mit all oder none abfragbar. Die meisten Änderungen betreffen
eine Vielzahl kleinerer Optionen, die es erlauben, die Nutzung des
Programms flexibel den eigenen Bedürfnissen anzupassen, sich zwischen
den verschiedenen Anzeige-Fenstern zu bewegen, diese Fenster auf
verschiedene Weise einzustellen, zu bestimmten Treffern direkt zu
springen, die Druckausgabe in Bezug auf die auszugebenden Felder
flexibel zu gestalten, die Daten in verschiedenen Formaten auszugeben
(Comma Delimited, Semicolon Delimited, formatierter Text, ASCII Text,
Wordstar Text, dBase III(+), Lotus, DIF usw.) sowie die Treffer nach
verschiedenen Kriterien zu sortieren. Die wichtigste Neuerung
allerdings, die die Abfragetechnik direkt betrifft und den Umgang mit
der Datenbank wesentlich erleichtert, ist die standardmäßig im
Programm implementierte Fähigkeit, durch die Gleichsetzung einiger
Vokal- und Konsonantenkombinationen sowie zweier Wortkombinationen
dasselbe Wort trotz abweichender Schreibweise durch eine einzige
Abfrage zu finden. Daher findet beispielsweise die Abfrage hymnus alle
Datensätze, die diesen Begriff in der Form hymnus, himnus, ymnus,
imnus, hympnus, himpnus, ympnus und impnus enthalten.
Man kann nur wünschen, daß von diesem gelungenen Produkt die für 1995
angekündigte dritte Lieferung mit dem letzten Drittel der Initien so
bald wie möglich erscheinen möge.
Vergleichende Betrachtung
Ein Vergleich der drei hier vorgestellten Datenbanken ist auf Grund
der unterschiedlichen Zielsetzungen, die mit den einzelnen Produkten
verfolgt werden, nur zum Teil möglich. Die im einzelnen jeweils
legitimen Grundsatzentscheidungen, die für die Patrologia latina
database und die Cetedoc library of christian latin texts zu treffen
waren, nämlich abstrahierend vom editorischen Apparat und den
typographischen Eigentümlichkeiten der zugrundeliegenden Editionen und
von einigen weiteren, vor allem graphischen Elementen des gedruckten
Buches eine im wesentlichen exakten philologischen Anforderungen
genügende Volltextdatenbank zu schaffen oder eine berühmte historische
Edition mit all ihren Eigenheiten und Ausstattungsmerkmalen
elektronisch getreu abzubilden und sie gleichzeitig der
historisch-philologischen Forschung zugänglich zu machen, haben
weitreichende inhaltliche und technische Folgen. Während sich die
Migne-CD-ROM als ein in sich ruhendes und abgeschlossenes
Verlagsprojekt präsentiert, als ein elektronischer, die gedruckte
Ausgabe gänzlich ersetzender "Reprint", vertreten die Cetedoc- und
IRHT-CD-ROM, obwohl In principio als Initien-Datenbank mit den beiden
Volltext-Datenbanken letztlich nicht vergleichbar ist, ein offenes,
auf sukzessive Verbesserung und Erweiterung zielendes Konzept aus dem
wissenschaftlichen Geist der Philologie, womit beide die durch die
elektronische Datenverarbeitung eröffneten Möglichkeiten weit besser
nutzen, als die am traditionellen Medium orientierte Migne-CD-ROM.
Die technischen Konsequenzen der Grundentscheidung, die Entscheidung
für DOS oder Windows, betreffen im wesentlichen die
Benutzungsfreundlichkeit der verschiedenen Datenbanken. Entgegen dem
heute allgemein sichtbaren Trend zu graphischen Benutzeroberflächen
spricht der Vergleich der drei hier vorgestellten Datenbanken, was die
Schnelligkeit, die einfache und eindeutige Bedienbarkeit und die über
wenige Schritte erreichbaren Ausgabemöglichkeiten auf einem Drucker
oder einem magnetischen Speichermedium angehen, eindeutig für die
DOS-Datenbanken, also für die Dataware-Produkte. Der Leistungsumfang
der Datenbankabfragen ist dagegen in allen drei Datenbanken bis auf
kleine Unterschiede gleich. Ärgerlich bleibt allerdings auch hier, daß
sich die Datenbank-Anbieter nicht einmal bei Produkten derselben Firma
bei abfragetechnischen Grundoperationen wie den Bool'schen Operatoren
oder den Kontextoperatoren auf dieselbe Syntax und dieselben Symbole
einigen können, sondern lieber die individuellen Vorlieben ihrer
Programmierer pflegen. Wer täglich gleichzeitig mit mehreren
Datenbanken zu tun hat, wird diese Quelle unendlicher Abfragefehler
schon oft genug verflucht haben.
Die Bedeutung der drei hier vorgestellten Datenbanken für die
historische, theologische, philosophische und philologische Forschung
ist so offensichtlich und so unbestritten, daß alle drei zumindest in
den großen wissenschaftlichen Bibliotheken überregionaler Bedeutung
vorhanden sein sollten. Angesichts der teilweise außerordentlich hohen
Preise für diese Datenbanken, denen die immer knapper werdenden
Finanzmitteln der Bibliotheken gegenüberstehen, gilt es jedoch,
Kriterien zu entwickeln, die die Entscheidung für die eine oder die
andere Datenbank erleichtern. Eines dieser Kriterien ist meines
Erachtens die Nützlichkeit der Anschaffung für den eigenen
bibliothekarischen Gebrauch. Vorausgesetzt wird dabei allerdings, daß
die gedruckten Ausgaben, die den Datenbanken zugrundegelegt wurden,
vollständig vorhanden sind; denn für kleinere theologische
Bibliotheken beispielsweise, die keine oder nur eine unvollständige
Migne-Ausgabe besitzen, wird man die Entscheidung zwischen dem Erwerb
der gedruckten Fassung oder dem der CD-ROM-Edition sicherlich
zugunsten der elektronischen Version treffen. Sind die gedruckten
Ausgaben jedoch vorhanden, dann sind auf Grund der Datenbankinhalte im
wesentlichen die Handschriftenabteilungen der Bibliotheken betroffen,
für die sich die Frage nach dem Nutzen der drei CD-ROM-Datenbanken für
die Erschließung ihrer mittelalterlichen Handschriftenbestände stellt.
Wenn man die drei Datenbanken unter diesem zugegebenermaßen recht
engen bibliothekarischen Blickwinkel betrachtet, ist die
Initien-Datenbank In principio des IRHT für die
Handschriftenkatalogisierung mit Sicherheit die sinnvollste
Investition. Der in ihr nachgewiesene Handschriften- und
Initienbestand ist sehr groß und nur in geringem Maße mit den im
Gesamtindex mittelalterlicher Handschriftenkataloge verzeichneten
Handschriften identisch. Die beiden Volltext-Datenbanken haben bei der
Handschriftenerschließung im wesentlichen ihre Bedeutung nur bei der
Bestimmung und Identifizierung von Handschriftenfragmenten und
fragmentarischer Teilüberlieferung.[4] Denn die vollständig
überlieferten Werke in unseren Handschriften sind traditionell über
die gedruckten Initienverzeichnisse zum Migne von Vatasso und zum
Corpus christianorum von Clément ja leicht und schnell aufzufinden.
Unter diesem Aspekt ist die Anschaffung der beiden
Volltext-Datenbanken also auch abhängig von der Anzahl der
Handschriftenfragmente in einer Sammlung, und zwar derjenigen
Fragmente, die aus früh- und hochmittelalterlichen Handschriften
stammen. Denn nur sie sind auf Grund der Zeitgrenze 1216 mit der
extrem teuren Patrologia latina database überhaupt nachweisbar,
während die Masse der nationalsprachlichen und spätmittelalterlichen
lateinischen Fragmente beispielsweise aus der Predigt- und
Universitätsliteratur mit dieser neuen CD-ROM-Datenbank überhaupt
nicht zu bearbeiten ist. Daher erscheint mir auch unter
Gesichtspunkten des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Erwerb der Cetedoc
library of christian latin texts für die Bibliotheken, die die
gedruckte Migne-Ausgabe bereits besitzen und sich die Migne-Datenbank
aus finanziellen Gründen nicht leisten können, einer ernsthaften
Überlegung wert zu sein. Diese CD-ROM-Datenbank, die viele der im
Migne publizierten Texte ebenfalls bietet, und zwar in sehr viel
zuverlässigeren Ausgaben, und die bereits in der ersten Lieferung
einige der wichtigsten und wirkungsmächtigsten patristischen Autoren
(Augustin, Hieronymus, Gregor der Große) in guten Ausgaben vollständig
enthält und in der Aktualisierung von 1994 mit der Aufnahme
autoritativer Textbücher (Vulgata, Petrus Lombardus) den Weg zu einer
umfassenden mittelalterlichen Textdatenbank beschritten hat, ist durch
die Continuatio mediaevalis des Corpus christianorum auch an keine
Zeitgrenze gebunden. Die CLCLT wird daher in Zukunft mit der Aufnahme
weiterer spätmittelalterlicher Werke auch für die
Handschriftenbeschreibung noch mehr an Bedeutung gewinnen.
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