Der Katalog verzeichnet alles in allem über 26.000 Titel. Mit berechtigtem Stolz weist Generaldirektor J. M. Smethurst in seinem Vorwort darauf hin, daß diese Sammlung der British Library, die "zu den wichtigsten außerhalb der deutschsprachigen Länder gehört", außerordentlich reichhaltig ist und in nahezu allen Gattungen wissenschaftlicher wie populärer Literatur zahlreiche seltene, ja unikale Titel bewahrt. "Keine deutsche Bibliothek hat bisher einen vollständigen Katalog ihrer Titel des 17. Jahrhunderts vorgelegt; so sind wir glücklich darüber, ein Beispiel zu geben und zugleich einen wertvollen Beitrag für den deutschen Gesamtkatalog der Drucke des 17. Jahrhunderts zu leisten, der sich gerade in seinem frühesten Stadium der Entstehung befindet."
Das Verzeichnis benennt sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht als Short-title catalogue, und in der Tat bietet die bibliographische Beschreibung Neuerungen, die über das bisherige Niveau hinausgehen. Barocke weitschweifige Titel müssen zwar in der Regel gekürzt werden, aber es geschieht in behutsamer Weise: niemals am Beginn des Sachtitels, selbst wenn es sich um Bestandteile handelt, die bei der Ordnung zu übergehen sind, möglichst unter Wahrung der Syntax und dazu sind Auslassungen immer durch drei Punkte gekennzeichnet. Eine Verfasserangabe, die auf der Titelseite steht, ist als Teil des Sachtitelfeldes erfaßt, ebenso Ausgabenbezeichnung und Erscheinungsvermerk. Auch ansonsten wird versucht, in der bibliographischen Beschreibung die Vorlage möglichst getreu wiederzugeben: in der Orthographie, durch Beibehaltung von Groß- und Kleinbuchstaben, Bindestrichwörtern und Druckfehlern; Rot-Schwarz-Druck der Titelseite ist vermerkt, ebenso Kupfertitel. Kolophone sind, soweit vorhanden, zusätzlich aufgenommen, und zwar nach den gleichen Regeln. Es folgt die Angabe der Sprache(n) des Werkes, bei Übersetzungen nach Möglichkeit auch die des Originals. Die Kollation bietet: Format; Blatt- bzw. Seitenzahl, sofern eine Zählung im Buch vorhanden ist, ansonsten nur die Signatur des letzten Bogens; schließlich den Hinweis, ob Illustrationen - innerhalb der Lagenzählung (illus.) oder außerhalb (plates) - vorhanden sind oder Noten, Karten, Portraits oder genealogische Tafeln, allerdings ungezählt.
Die Kataloge ausländischer Werke der British Library boten in der Vergangenheit an Registern gemeinhin nur solche der Drucker und Verleger. Inzwischen hat die Bibliothek erkannt, daß ein Sachregister die beste Möglichkeit darstellt, "um die verborgenen Reichtümer zur Gänze heben zu können und die Aufmerksamkeit auf bisher unbekannte Stücke zu lenken" (Vorwort), weshalb ein solches Sachregister erstmals diesen und den erwähnten Katalog der spanischen Drucke beigegeben ist. Es handelt sich um ein Schlagwortregister, das auf dem British Museum subject index basiert. Weitere Register existieren für: beteiligte Personen (Mitautoren, Herausgeber, Übersetzer usw.); Drucker und Verleger (mit Ortsindex), dazu falsche und fiktive Namen, Selbstverleger; Druckorte bei fehlender Drucker- und Verlegerangabe; Erscheinungsjahre für Werke ohne Ort, Verleger und Drucker; Gattungen für schöne Literatur; schließlich im Katalog schwer zu findende Sachtitel.
Es ist zu hoffen, daß dem gedruckten Katalog, wie in seiner Einleitung angekündigt, bald eine On-line-Datenbank folgen wird und möglicherweise auch eine CD-ROM. Durch Stichwortsuche und Felderkombination werden dann die vom Autor in Titelaufnahmen und Indices eingebrachten Informationen erst vollends auszuschöpfen sein, zumal diese Version die Stichwörter auch in normierter Orthographie anbieten wird.
Der im Manuskript zunächst konventionell und erst danach
maschinenlesbar erfaßte Katalog wurde in über zwanzig Jahren zur Gänze
von David L. Paisey erarbeitet. Der Autor, dem man für dieses
bewundernswerte Lebenswerk gar nicht genug danken kann, ist im
deutschsprachigen Gebiet bekannt und ausgewiesen durch das eingangs
erwähnte Supplement zum Katalog für die Drucke bis 1600, durch seine
Ergänzung und Fortsetzung der Verzeichnisse von Benzing,[2] die
Herausgabe der German studies[3] sowie durch Aufsätze und Referate zur
Barockliteratur. Lesenswert wäre es sicherlich, wenn er seine bei der
Katalogisierung des wichtigen Bestandes der British Library gewonnenen
Beobachtungen und Erfahrungen in einem eigenen Beitrag niederlegen
würde.
Seit Herbst 1994 läuft die Pilotphase des Verzeichnisses deutscher
Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17) an der Bayerischen
Staatsbibliothek, der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und der
Staatsbibliothek zu Berlin. In diesem Augenblick, in dem die Weichen
gestellt werden, ist zwangsläufig nach der Bedeutung des Katalogs von
Paisey für die zukünftige deutsche Nationalbibliographie des 17.
Jahrhunderts zu fragen, auf die ja auch das Vorwort von Smethurst
hinweist.
Vor allem ist das Werk eines einzelnen Mannes, der mit über 26.000
Titeln vermutlich fast ein Zehntel eines späteren VD 17 verzeichnet
hat, eine große Ermutigung. Es beweist nämlich, daß der viel zitierte
"barocke Eisberg" doch bezwingbar sein kann, wenn er mit finanzieller
Hilfe der DFG von mehreren leistungsfähigen Bibliotheken gemeinsam
angegangen wird, vorausgesetzt allerdings, daß die Verzeichnungsweise
mit Augenmaß erfolgt, wie es David Paisey mit bestem britischem
Pragmatismus demonstriert hat. Seit 1980 hat er übrigens aufgrund
seiner Erfahrung selbst beratend an der Wiege des VD 17 gestanden und
mit dazu beigetragen, daß dieses sich von seinem eigenen Werk in
einigen wesentlichen Punkten unterscheiden wird: Das VD 17 ist von
vornherein als Datenbank geplant worden; die Identitätsprüfung wird
durch den Fingerprint[4] erleichtert und maschinengerecht; eine
Bildspeicherung der Titelseiten und vermutlich weiterer
Schlüsselseiten des Buches soll die Titelaufnahme ergänzen, was
zugleich die Problematik der Sachtitelkürzung entschärft; schließlich
sollen alle literarischen Beiträger verzeichnet werden.
Manche Regelungen, die Paisey bereits praktiziert hat, sind vor kurzem
in die RAK-WB für alte Drucke[5] eingegangen und werden auch das VD 17
beeinflussen: vermutlich die orthographische Normierung der
Stichwörter, die doppelte Verzeichnung des Erscheinungsvermerks in
Vorlage wie in normierter Form, die Formatangabe, im
Illustrationsvermerk die Unterscheidung nach der Art der Abbildungen.
Fraglich ist allerdings, ob seine knappe Kollationsformel insgesamt
akzeptiert werden wird, obwohl sie zu Recht aus der Erfahrung geboren
ist, daß an dieser Stelle andernfalls vom Katalogisierer viel Zeit
geopfert werden muß, ohne daß sich zumindest im Retrieval ein Vorteil
ergibt. Für eine Sacherschließung hat Paisey stets plädiert und er
selbst hat sie für seinen Katalog leisten können - das VD 17 wird ihn
hierin vermutlich enttäuschen müssen.
Wolfgang Müller
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