Das vorliegende neue Lexikon Schriftstellerinnen in Berlin 1871 bis 1945 zeigt "die zentrale Funktion der Großstadt als Katalysator" (S. 7) für schreibende Frauen. Allerdings verzichten die Bearbeiterinnen auf eine Darstellung des literatursoziologischen Hintergrunds; das war Thema ihrer beider Dissertationen, aus denen dieses Lexikon hervorgegangen ist. Stattdessen dokumentieren sie den Werdegang und das literarische Schaffen von 200 ausgewählten Autorinnen. Mehr als 1000 Frauen seien im Berlin des Berichtszeitraums schriftstellerisch tätig gewesen, wegen des Recherche-Aufwands habe man sich aber beschränken müssen. Dies wird zum pragmatischen Kriterium einer letztlich subjektiven Auswahl: etliche Autorinnen sind in Berlin geboren, andere dort gestorben, viele aber, wie Marieluise Fleißer oder Ricarda Huch, haben nur eine Phase ihres Lebens in Berlin verbracht.
In einem längeren Vorwort sprechen die Bearbeiterinnen über die "Bedeutung des ausgewählten Zeitraums", sie erwähnen die spezifischen Probleme weiblicher Lebensdaten ("... jünger zu erscheinen, war Teil ihrer Selbstinszenierung als Künstlerin in einer männerdominierten Gesellschaft", S. 11) und die ebenso schwierigen Recherchen nach Geburts- und Ehenamen. Hinweise zu den Vorarbeiten in Archiven, deren Quellenlage beklagt wird, Erläuterungen zum Aufbau der Artikel, zu den Abbildungen und bibliographischen Angaben beschließen es. Nach den Schriftstellerinnen von A bis Z folgen eine - verdienstvolle - Aufstellung der Archive mit den dort vorhandenen Nachlässen und Sammlungen, Listen der, so ist zu vermuten, ausgewerteten Darstellungen, Handbücher, Lexika, Anthologien und Sammelwerke und - in Auswahl - der Zeitschriften und Zeitungen; hinzu kommen Abbildungsnachweise sowie ein alphabetisches Namensregister, in dem der Name, unter dem angesetzt wird, fett gedruckt ist.
In das Lexikon wurden Schriftstellerinnen aller Genres aufgenommen, die Kinderbuch- und Märchenautorin Lisa Tetzner ebenso wie die Vielschreiberin Hedwig Courths-Mahler und Helene Stöcker, die neben ihren sozial- und frauenpolitischen Büchern nur einen einzigen Roman geschrieben hat. Laut Vorwort wurden "Verfasserinnen von ausschließlich 'privater' Literatur wie Autobiographien, Memoiren, Tagebücher und Briefen einerseits und Autorinnen von theoretischen, politischen und journalistischen Texten andererseits" (S. 7) nicht berücksichtigt. Dennoch findet man einige, die neben ihrem eher unbedeutenden belletristischen Werk vor allem Sachbücher geschrieben haben, wie Elisabeth Gnauck-Kühne, die Begründerin des Katholischen Frauenbunds, die an Fragen der Sexualreform interessierte Gretel Meisel-Hess und die Kulturkritikerin Ella Mensch.
Fast jedem Eintrag ist ein Porträt beigegeben, die Frauen nehmen Gestalt an und treten aus der Vergessenheit heraus. Namen und Lebensdaten sind sorgfältig ermittelt; sofern ein Nachlaß existiert, ist der Aufbewahrungsort genannt. Die Bibliographie führt in ausführlichen Titelaufnahmen nur die selbständig erschienenen Werke in chronologischer Folge auf, einschließlich aller Nachauflagen und Titeländerungen. Bei Veröffentlichung unter Pseudonym wird dieses angegeben, auf vorhandene Personalbiographien vernünftigerweise verwiesen. Sekundärliteratur und biographische Darstellungen sind so knapp ausgewählt, daß man mitunter wichtige Titel vermißt, wie z.B. die Dissertation von Erika Seidl über Anselma Heine (1957), die der Kosch nennt. Mit Überraschung stellt man fest, wie produktiv und offensichtlich erfolgreich viele Schriftstellerinnen waren. Auf die Ermittlung unselbständiger Beiträge wurde verzichtet; stattdessen gibt es Hinweise auf ihre Mitarbeit an Zeitungen und Zeitschriften. Die Verzeichnung unselbständiger Beiträge hätte die Titelliste vieler Autorinnen verdoppelt und dazu ein differenzierteres Bild ergeben.
Das Lexikon enthält viele Schriftstellerinnen, die weder im Lexikon
deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800 -1945,[1] noch im Kosch[2] oder
im Killy[3] vorkommen; und wenn die Namen in den genannten Werken
vorkommen, so gehen die entsprechenden Artikel im vorliegenden Lexikon
oft weit über den dortigen Umfang hinaus. Daß Marie von Olfers fehlt
und ausgerechnet im Eintrag über Ricarda Huch mehrere kleine Fehler
stecken, schmerzt die Rezensentin, dämpft aber nicht ihre
Begeisterung, mit der sie dieses Lexikon wie ein Buch gelesen und
weiter empfohlen hat.
Jutta Bendt
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