Einen etwas anderen Anspruch verwirklicht das Handbuch der Oper. Der
umfangreiche Band, das mit seinen etwa 270 Werken ca. 90 Titel mehr
als Reclams Opernführer verzeichnet (darunter auch Verdis Attila),
wendet sich nicht ausschließlich an den Theaterbesucher. Das
Nachschlagewerk will ebenso dem praktizierenden Künstler, dem Kritiker
und Musikwissenschaftler nützlich sein. Den Erwartungen der Künstler,
vor allem der Sänger und Sängerinnen, wird gleich mehrfach Rechnung
getragen. Neben präziser Angabe der Orchesterbesetzung sind auch stets
die Stimmfächer der Gesangspartien angegeben. Ein entsprechendes
Fachpartien-Verzeichnis für alle Stimmgattungen faßt diese nochmals
gesondert zusammen - ein hilfreiches Instrument bei Besetzungsfragen.
Die Handlung wird ausführlicher als bei Reclam referiert,
"stilistische Stellung" und "Geschichtliches" beschließen auch hier
die einzelnen Werkbeschreibungen. Neuausgaben, Neubearbeitungen und
markante Textübersetzungen finden ebenfalls nur im Handbuch Erwähnung.
Entgegen Reclams Vorgaben werden ebenso Schöpfungen aus dem
Gegenwartsschaffen berücksichtigt, "die auf dem Gebiet des
musikalischen Theaters neue Entwicklungstendenzen aufzeigen und daher
ein aktuelles Interesse beanspruchen" (Vorwort). Solches Interesse mag
zwar nicht objektiv bestimmbar sein,[2] nichtsdestotrotz sind hier
Bühnenwerke von Bialas, Blacher und Nono zu finden. Register zu den
Werkbeschreibungen beschließen den Band (nach Komponisten und nach
Operntiteln getrennt). Die recht knapp gehaltenen "Hinweise auf
weiterführende Literatur" wurden seit der Neubearbeitung des Handbuchs
1985, auf der die vorliegende Ausgabe basiert, leider nicht
aktualisiert. Das Werk ist vergleichbar in Anspruch und Aufbau mit dem
Opernführer von Csampai und Holland.[3] Diese geben zusätzlich noch
diskographische Empfehlungen und nur hier findet sich eine Besprechung
von Ph. Glass' Satyagraha.[4] Als weitere Vergleichswerke zu Reclams
Opernführer und zum Handbuch, mit analogem - nicht lexikalischem oder
enzyklopädischem[5] - Anspruch, wären folgende Werke zu nennen: Pahlen,[6]
Schumann[7] (jeweils mit Notenbeispielen), Wagner[8] (sehr knappe
Werkbeschreibungen, dafür wohl die größte Zahl an Einträgen) und das
wenig empfehlenswerte Herder-Handbuch des Musiktheaters.[9]
Ähnlich dem Opern- und Operettenführer ist auch Reclams Musicalführer
angelegt: Daten zum Werk (hier auch Daten zur Aufführungsgeschichte),
Besetzung, Ort und Zeit, Inhaltsbeschreibung (Akt für Akt), gefolgt
von einer kurzen Wertung nach musik- und wirkungsgeschichtlichen
Prinzipien. Orchesterbesetzung und die Plattenaufnahmen der
Original-Broadway-Besetzung sind ebenfalls genannt. Die Musicals sind
unter ihrem Titel in chronologischer Folge, nach dem Jahr der
Uraufführung, verzeichnet. Wer dieses bei einem bestimmten Werk nicht
weiß, ist deshalb gezwungen, im Register nachzuschlagen. Dieses führt
nicht nur die Originaltitel auf, sondern verweist auch von den
teilweise eigenwilligen deutschen Textfassungen. Neben einem
Werkregister finden sich im Anhang ein Personenverzeichnis sowie ein
biographischer Teil (Autoren, Komponisten). Obgleich auch das
Herder-Handbuch des Musiktheaters Musicals berücksichtigt, ist doch
Reclams Musicalführer für den Theaterbesucher bei weitem informativer
und in den wertenden Anmerkungen zudem kompetenter. Pflichts
Musical-Führer[10] mit seinem relativ knappen Repertoire vorwiegend auf
dem "deutschsprachigen Theater heimisch gewordener" Stücke ist durch
Reclams Musicalführer völlig überholt.
Das Heyne-Musical-Lexikon bietet von allen Vergleichswerken den
umfassendsten Überblick und auch die reichhaltigste Information. Es
berücksichtigt nicht nur "das runde Hundert der bekanntesten Musicals
vom Broadway und Londoner West End" wie Reclams Mucialführer, sondern
verzeichnet ebenso akribisch Theaterwerke französischer und deutscher
Autoren. Der Verfasser führt die Werke alphabetisch unter ihrem
Originaltitel auf. Im Werkregister wird von den abweichenden
Titelfassungen verwiesen. Im Anhang finden sich eine Liste
deutschsprachiger Erstaufführungen, eine Zeittafel der Premieren, ein
Komponistenverzeichnis, eine Filmliste sowie eine ausführliche
Bibliographie. Die Einträge sind zweispaltig gesetzt und sehr
übersichtlich angeordnet. Die üblichen Daten wie Premierenort und
-zeit, deutsche Erstaufführung, Komponist, Texter u.s.w. ergänzen
ausführliche Personenlisten (selbst die Tänzer der jeweiligen Premiere
sind einzeln mit Namen aufgeführt!) und ein ebenso vollständiges
Verzeichnis der "Songs und Musiknummern", getrennt nach Bühnenstück
und Filmfassung. Letzteres dokumentiert die Stärke dieses
Nachschlagewerkes: So sind nicht nur die Bühnenwerke detailliert
verzeichnet, sondern ebenso alle weiteren Adaptionen, Bearbeitungen,
Verfilmungen, auch reine Film-Musicals bzw. Musikfilme. Im Gegensatz
zu Reclams Musicalführer enthält sich der Autor dieses Werkes
weitgehend wertender Anmerkungen. Ein empfehlenswertes Buch.
Renners Führer durch Oper, Operette, Musical verzeichnet für die
letzte Sparte verhältnismäßig wenige Titel - der Musical-Teil umfaßt
nur 40 Seiten -, gleichwohl sind hier auch Werke genannt, die in
keinem der anderen Führer auftauchen, vorwiegend italienische und
deutsche Produktionen. Eine Besonderheit bietet das sehr knappe
Kapitel "Musiktheater für Kinder". Insgesamt stellt das Werk im
Bereich der Musical-Führer eine eher kuriose Ergänzung zu den oben
genannten Standardwerken dar.
Reiner Nägele
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