Sinn und Zweck macht eine derartige historische Synopse eigentlich nur, um "... vor Besuch eines Theaterstückes mit wenigen Blicken das kulturelle und politische "Klima" seiner Entstehungszeit zu erfassen" (Vorwort). An diesem Punkt sei auf ein besonderes Charakteristikum des Stein hingewiesen: In der gesamten Tabelle werden keine Zeitangaben gemacht. Wollte man z.B. wissen, wann Albert Einstein gestorben ist oder wann die EXPO 92 in Sevilla von König Juan Carlos eröffnet wurde, führt das Register zu keinem genauen Datum sondern lediglich zum Jahr, und man ist gezwungen, alle in diesem Jahr aufgeführten Ereignisse durchzusuchen. Das heißt, daß bestimmte Fragen nach Daten "Wann war was" sich mit dem Stein in dieser Form nicht beantworten lassen.
Neben dem traditionsreichen Großen Kulturfahrplan gibt es eine ähnliche Publikation von Kurt M. Jung aus dem Ullstein-Verlag. Die Weltgeschichte in einem Griff liegt jetzt nach der Erstauflage 1986 in einer fortgeschriebenen und erweiterten Neuauflage 1994 vor. Der Zusatz zum Sachtitel - "vergleichende Zeittafeln von der Urzeit bis in die Gegenwart" - belegt bereits auf den ersten Blick die Verwandtschaft zu der synoptischen Darstellung des Großen Kulturfahrplans. Auch der Umfang (Stein 1980 S., Jung 1371 S.) deutet auf große Gemeinsamkeiten hin. Man könnte jetzt darüber streiten, ob es wichtiger ist, mit der Darstellung der Weltgeschichte vor 20 Millionen Jahren (Stein) oder vor 5 - 1 Millionen Jahren (Jung) zu beginnen. Bedingt durch das etwas spätere Erscheinen seines Werkes ist der Berichtsstand beim Jung Ende 1993 statt Anfang 1993 beim Stein. Aufbau und Struktur sind nahezu identisch, d.h. durchgehende synoptische Darstellung, erschlossen durch gute Personen- und Sachregister. Inhaltlich wartet Jung jedoch mit Besonderheiten auf. Z.B. finden sich häufiger genaue Zeitangaben mit Nennung zumindest des Monats oder sogar des Tages (so fast durchgehend bei Ereignissen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts). Dazu kommen Schwarz-weiß-Abbildungen und die Hervorhebung wichtiger Ereignisse, Begriffe oder Daten in Fettschrift. Beides trägt zu einer größeren Übersichtlichkeit des Jung gegenüber dem Stein bei. Bei einer Stichprobe kommt man zu dem Schluß, daß Jung versucht hat, aus möglichst unterschiedlichen Bereichen möglichst viele Informationen, auch Hintergrundinformationen, zusammenzutragen. Im Vergleich zum Stein leidet darunter aber die Informationstiefe. So findet man bei einem Vergleich der Zeiträume ab 1700 v.Chr. in beiden Chroniken, daß sich der Stein fast ausschließlich auf Informationen zur hellenistischen Epoche beschränkt, während Jung versucht, auch über andere frühe Hochkulturen, z.B. die indische oder die keltische, zu informieren. Die unterschiedliche Zielrichtung beider Chroniken erweist sich schon am Umfang der in einem Jahr stattgefundenen Ereignisse: Jung bietet für das Jahr 1905 nur 2 Seiten, Stein dagegen deren 4; auch fehlen bei Jung im Gegensatz zum Stein statistische Zahlenreihen; letzterer berücksichtigt auch mehr Personen, d.h. auch unbekanntere, während Stein weniger Personen berücksichtigt, dafür zu jeder aber mehr Informationen bietet. Die Weltgeschichte in einem Griff ist oftmals eher interpretierend als rein darstellend und geht selten so in die Tiefe wie der Große Kulturfahrplan. Somit haben beide Titel ihre Bedeutung für eine öffentliche Bibliothek und können sich, wenn es der Etat zuläßt, sinnvoll ergänzen. - Bei beiden Publikationen stellt sich allerdings die Frage nach der laufenden Aktualisierung, und das insbesondere nach dem Tod von Werner Stein 1993.
In den letzten Jahren hat sich zu der konsequent synoptischen
Darstellung eine weitere Form von Chroniken hinzugesellt. Die große
Chronik des 20. Jahrhunderts war nur der Anfang einer ganzen Reihe von
Chroniken aus dem Harenberg-Verlag, der diese Produkte inzwischen an
den Bertelsmann-Verlag abgegeben hat. Kennzeichen dieser Chroniken[2]
ist die sehr populäre und benutzerfreundliche Darstellung mit vielen
Abbildungen, Photographien und Graphiken. Die gesamte Aufmachung,
unabhängig davon ob es sich um eine der vielen Jahreschroniken oder um
eine Fachchronik handelt, erinnert stark an Zeitungsseiten. Natürlich
sind auch diese Publikationen mit guten, umfassenden Registern
ausgestattet, so daß die systematische Suche nach einem bestimmten
Sachzusammenhang möglich ist. Inhaltlich wird auch hier eine immense
Stoffülle verarbeitet, doch muß - zur Unterscheidung von Stein und
Jung - darauf hingewiesen werden, daß der Harenberg-Verlag erst in den
letzten zwei Jahren verstärkt daran arbeitet, den Verzeichniszeitraum
über das 20. Jahrhundert hinaus in die Vergangenheit hinein
auszudehnen.
Diese Entwicklung findet seit kurzem ihre Fortführung durch das
Angebot einer Chronik des 20. Jahrhunderts in Form einer multimedialen
CD-ROM-Publikation als BeeBook (Bertelsmann encyclopedic electronic
book). Dabei handelt es sich um nichts anderes als um die multimediale
CD-ROM-Ausgabe der Chronik des 20. Jahrhunderts, des Harenberg
Personenlexikon 20. Jahrhundert, der Chronik des Sports und der
Harenberg Schlüsseldaten 20. Jahrhundert. Schon anhand dieses
inhaltlichen Umfanges ist die CD-ROM nicht nur eine technische
Neuentwicklung des Verlages, sondern auch eine inhaltliche Erweiterung
gegenüber den entsprechenden Druckausgaben. Was die Aktualität angeht,
fällt zumindest der Vergleich zwischen der gedruckten Ausgabe und dem
elektronischen Jahreskalender der CD-ROM-Ausgabe zugunsten der
ersteren aus, da diese um ein halbes Jahr - bis Mitte 1993 - aktueller
ist. In der gesamten Datenbank finden sich aber dennoch in einzelnen
Kategorien, wie z.B. Personenlexikon und Regierungswechsel, Fakten mit
Bezug auf 1993. Ursache dieses nicht eindeutig feststellbaren
Berichtsstandes sind die oben erwähnten unterschiedlichen Quellen.
Die technischen Anforderungen sind die für solche multimedialen
Daten-banken üblichen, d.h. Betriebssystem Windows, Graphikkarte mit
hoher Farbauflösung (möglichst 256 Farben), Soundkarte und mindestens
4 MB Speicherplatz. Im Zuge der rasanten technischen Entwicklung
gerade im Bereich der CD-ROM-Datenbanken kann man den Umfang der hier
vorhande-nen multimedialen Elemente nur als normal und nicht etwa als
revolutionär bezeichnen. Von den 5500 biographischen Einträgen sind
1230 mit einem Photo ausgestattet. Die Photographien können leider
nicht mit ausgedruckt oder abgespeichert werden und kommen auch nur
bei den Biographien vor; auch Tabellen finden sich nur in der Sparte
Statistik: hier zeigt sich der nagative Effekt der weiter unten
erläuterten Zerstückelung von Informationen in der CD-ROM-Ausgabe
gegenüber der Druckausgabe. Graphiken fehlen ganz. Interessant sind
die 75 Tonaufnahmen von Personen mit einem biographischen Artikel. Es
handelt sich dabei um Originalaufnahmen; bei ausländischen
Persönlichkeiten wurden möglichst entweder deutschsprachige
Radioberichte von Staatsbesuchen oder Reden mit Übersetzung ins
Deutsche ausgewählt.
Die graphische Benutzeroberfläche ermöglicht den ersten Sucheinstieg
ohne weitere Kenntnis der Bedienungsanleitung. Jeder Benutzer sieht
relativ schnell, daß er sich zwischen einer thematisch unabhängigen
Recherche durch Anklicken einer Jahreszahl oder einer themengebundenen
Recherche, in der erst im zweiten Schritt die zeitliche Eingrenzung
möglich ist, entscheiden muß. Folgende Themen sind durch Anklicken
eines icons aufrufbar: Buchneuerscheinungen, Filme, Uraufführungen,
Regierungen, Kriege und Krisenherde, Personenlexikon, Statistiken,
Wetter und Sport. Von den einzelnen Einträgen wird zum Teil über
farbige Hervorhebung oder spezielle Zeichen auf einen zusätzlichen
Eintrag verwiesen. Einen weiteren Suchweg bieten die Felder Index,
womit die Stichwortsuche in den Themenüberschriften gemeint ist,[3] und
Suchen, eine durch Bool'sche Operatoren unterstützte Recherche, sowohl
im Gesamttext als auch in einzelnen Eintragsüberschriften. Vor allem
an dieser Stelle zeigt sich der Vorteil der kombinierten Recherche
gegenüber dem eindimensionalen Zugriff in der gedruckten Ausgabe. Für
diesen mehrdimensionalen Recherchezugriff bedarf es bereits eines
genauen Studiums des Bedienungshandbuches. Neben den bekannten
Bool'schen Operatoren kann auch mit Platzhaltern bzw. Trunkierung
gearbeitet werden, um dadurch die Trefferzahl zu reduzieren bzw. zu
erweitern. Die Anzeigeformate - z.B. Anzeigetexte verkleinern oder
Schriftbild ändern - sind nicht veränderbar. Man hat jedoch die
Möglichkeit, von Tag zu Tag, Monat zu Monat oder von Jahr zu Jahr zu
blättern, ohne eine neue Suchanfrage starten zu müssen. Zudem gehen
die bisher erfolgten Recherchen - maximal die letzten 40 - nicht
verloren, sondern können durch das Aufrufen der Funktion Bisher an
jeder beliebigen Stelle der Recherche wieder aktiviert werden.
Die Ausgabe der Ergebnisse über Drucker ist grundsätzlich
zufriedenstellend. Nur ist es - wie schon oben erwähnt - leider nicht
möglich, die in der Datenbank enthaltenen Portraits mit zu übernehmen.
Der Export der Daten auf Diskette ist ebenso problemlos wie auch
eingeschränkt. Das elektronische Nachschlagewerk ermöglicht dem
Benutzer einen individuellen Umgang mit den Ergebnistexten. Dazu
gehört die Funktion Anmerken, d.h., einem recherchierten Artikel
eigene Informationen hinzuzufügen, und das Lesezeichen, einer
Softwarekomponente, durch die der Benutzer bestimmte Artikel mit
Lesezeichen versehen und somit jederzeit schnell wiederfinden kann.
Der Wortlaut des Handbuches ist, abgesehen von einigen zusätzlichen
Erläuterungsbeispielen, nahezu identisch mit dem Text der
Online-Hilfe, so daß sich der Benutzer entsprechend seines Interesses
und seiner Gewohnheit der einen oder anderen Form der Hilfestellung
bedienen kann.
Selbstverständlich stehen bei beiden Publikationsformen Ereignisse des
20. Jahrhunderts im Vordergrund. Trotzdem finden sich im Vergleich
beider Publikationsformen große Unterschiede, die sich sowohl durch
die Quellenvielfalt der CD-ROM-Ausgabe als auch durch die technischen
Möglichkeiten einer CD-ROM-Datenbank im allgemeinen erklären lassen.
Multimedia-Lexika ermöglichen einen mehrdimensionalen Zugriff auf die
Inhalte, weil sie "... das enthaltene Wissen in zugriffsfähigen
Informationshäppchen anbieten".[4] Auf den ersten Blick sehen somit
einzelne Beiträge relativ "mager" aus, aber bei einer korrekten
Recherche in allen relevanten Indizes ist es möglich, sich diese
"Informationshäppchen" zu einem Gesamtbild zusammenzustellen. Dies
setzt natürlich eine genau überlegte Suchstrategie voraus und nicht
eine Suche nach dem Zufallsprinzip, zu der die gedruckten Chroniken
aufgrund ihrer zeitungsähnlichen Aufmachung verleiten. Auch diese
Tatsache hat Gödert mit einer Bewertung auf den Punkt gebracht. Eine
mehrdimensionale Recherche "... punktualisiert die enthaltenen
Informationen", z.B. durch die Recherche im Index Kriege/Krisenherde,
Regierungen, Fakten, Personenlexikon etc. Grundsätzlich unterscheiden
sich die Inhalte beider Publikationsformen nicht, es ist also nur die
Technik, durch die verschiedene Formen der Nutzung ermöglicht werden.
Zur Zeit üben CD-ROM-Enzyklopädien und -Lexika auf alle Anwender noch
einen faszinierenden Reiz aufgrund ihrer multimedialen Elemente aus.
Aber durch die umfangreiche Werbemaschinerie und die rasante
technische Entwicklung auf diesem Gebiet steigen bei den Anwendern die
Erwartungen an CD-ROM-Datenbanken. Meist zeigt sich die wahre Qualität
eines solchen Nachschlagewerkes erst, nachdem der erste Spieltrieb und
die besagte Faszination nachgelassen haben. Auch die Technik kann dann
nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei den Chroniken nicht
um solch umfangreiche Darstellungen handelt, wie bei den oben
beschriebenen Synopsen, sondern eher um ein ausschnittartiges
Zeitarchiv. Das bedeutet aber nicht, daß diese Chroniken für
allgemeine, populäre Auskünfte, nach dem Motto "was war in welchem
Jahr", nicht einzusetzen wären. Sie haben ihren Stellenwert für
öffentliche Bibliotheken genauso wie die etwas wissenschaftlicher
aufgemachten Werke von Stein und Jung. Den Einsatz einer solchen
zeitgeschichtlich Datenbank könnte man sich besonders gut im Bereich
der Schul- und Jugendbibliotheken vorstellen.
Der Preis der CD-ROM-Datenbank ist auf den ersten Blick relativ hoch.
Man muß jedoch berücksichtigen, daß sich die Inhalte von vier
gedruckten Publikationen in ihr wiederfinden, die zusammengenommen
denselben Preis ergeben.
Silke Tychsen
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