In alphabetischer Anordnung werden ca. 260 Begriffe europäischer und US-amerikanischer Geschichte in wenig komprimierten Artikeln ohne weiterführende Literaturhinweise erläutert, eine unzureichend gegliederte Bibliographie findet sich am Ende (u.a. Bücher zum Wieder- und Weiterlesen). Zum Auffinden des entsprechenden Artikels für eine Einzelfrage wird im Vorwort auf ein Register verwiesen, das jedoch gar nicht vorhanden ist! Gerade im Fehlen eines Registers liegt das Hauptmanko des Lexikons. So muß man z.B. bei der Suche nach dem Begriff Holocaust die Artikel Antisemitismus, Rassismus und Faschismus lesen - allerdings findet man nur im nicht gerade naheliegenden Artikel Bürokratie Namen von wichtigen Holocaust-Forschern (S. 117). Es fehlen z.B. Begriffsartikel zu Armut oder Pauperismus, den Sachverhalt bekommt man unter Bettler erläutert, von wo allerdings keine Verweisung zum Artikel Frömmigkeits-, Ketzer und Armutsbewegung führt. Ein Index wäre unverzichtbares Instrument der schnellen, zielgerichteten Suche, denn die vorhandenen Verweisungen können nur Ergänzung, kein Ersatz sein. Sie sind nicht nur völlig unzureichend, sondern teilweise absurd, ein wie auch immer durchdachtes Verweisungssystem ist nicht erkennbar. Hier nur einige beliebige Beispiele, wie in die Irre geführt wird: Im Artikel über den Absolutismus wird bei der Erwähnung der napoleonischen Kriege auf Krieg verwiesen - dort findet sich aber mitnichten etwas Spezifisches zum Thema. Bei Tyrannis wird nicht auf Diktatur verwiesen, in umgekehrter Richtung aber doch. Wenn man liest, daß ein Thema in der geschichtswissenschaftlichen Forschung "wieder einen breiteren Raum einnimmt" (S. 107) wird man auf den Artikel Raum verwiesen; ähnlich absurd die Verweisung im Artikel Film- und Tondokument bei der Erwähnung der ausgeprägten Mobilität der Einsatzmöglichkeiten moderner elektronischer Medien auf Mobilität.
Im Vergleich sind Begriffe, die sich auf den gesellschaftlichen
"Umgang" mit Historie beziehen, durchaus brauchbar, haben aber nicht
immer lexikalische Qualität. Im Artikel Geschichte in Comics ist u.a.
ausführlich von Asterix und Obelix die Rede, obwohl richtig
festgestellt wird, daß "Geschichte zu vermitteln gar nicht Absicht der
Comic-Serie ist" (S. 126); dennoch werden die "historischen
Kostümtrips" (?) als Ausdruck von "Geschichte von unten" und mit
Verweisung auf den Artikel über Imperialismus behandelt. In aller
Ausführlichkeit (auf immerhin 5 Seiten) wird über Donald Duck, Prinz
Eisenherz und Tintin geschrieben, doch fehlt ein Hinweis auf eine
völlig neue, ernste Ausprägung und Weiterführung des Genres: Art
Spiegelmanns KZ-Comics.[1]
Wichtige fachwissenschaftliche Termini fehlen, z.B. Pauperismus; für
Gender muß Matriarchat-Patriarchat sowie Frauengeschichte konsultiert
werden. Bei Begriffen mit geschlechtsspezifischem Erklärungsbedarf
wird das Lexikon (ohne dies zu thematisieren) eindimensional:
Prostitution hat historisch hier nur eine weibliche, Homosexualität
nur eine männliche Dimension. Artikel über Dienstmädchen und Vaganten
wird man eher durch Zufall entdecken (in vielen anderen Fachlexika gar
nicht erst vermissen) und auch auf Währungsreform 1948, Guerilla oder
Moralische Ökonomie wird man (ohne Index) nicht ohne weiteres stoßen;
diese Begriffe sind bei einer so geringen Anzahl von Artikeln
verzichtbar. Überraschend in ihrer Singularität sind der einzige
Personen-Artikel über Ranke und der einzige geographische
(Vertrags-)Ort, Rapallo. Teilweise sind die Beiträge, die einen
direkten Bezug zueinander haben, nicht ausreichend redaktionell
aufeinander abgestimmt, es fehlt z.B. bei Denkmal und Bild der Begriff
Ikonographie (und demnach auch die Verweisung), die Artikel Bild,
Fotografie und Film- und Tondokument sind kaum aufeinander bezogen.
Der interessierte Laie kann dieses Lexikon ohne Register als
Nachschlagewerk kaum sinnvoll benutzen; hier ist der Brockhaus der
schnellere und zuverlässigere Weg zur Begriffsklärung: ein so
zentraler Begriff wie Grund- und Menschenrechte haben im "anderen
Lexikon" drei Seiten, im Brockhaus vier und dazu einen Sonderbeitrag
von sechs Spalten für diesen Schlüsselbegriff. Studenten kann man das
Werk höchstens als Ergänzung zu den einschlägigen Begriffslexika von
Bayer,[2] Fuchs/Raab,[3] van Dülmen[4] empfehlen, um diese Informationen
dann mit den Geschichtlichen Grundbegriffen[5] zu vertiefen.
Klaus Ulrich Werner
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