Trotz identischer Thematik bleibt das Gemeinsame beider Werke auf
einige wenige Aspekte begrenzt: Nach Anspruch und Anlage verstehen
sich beide als Nachfolger des Topographical dictionary of ancient Rome
von Samuel B. Platner und Thomas Ashby,[1] also eines anerkannten
Standardwerkes in diesem Bereich.[2] Ferner bedienen sich beide
Nachschlagewerke derselben Vorgehensweise für die alphabetische
Ordnung: Überreste sakraler Bauwerke findet man z.B. hier wie dort
unter der dazugehörigen Gottheit bzw. verehrten Person, also etwa die
Ara pacis Augustae unter Pax Augusta, ara usw. Die Abfolge der
Einträge ist infolgedessen direkt und leicht vergleichbar. Beide geben
darüber hinaus am Ende der Einträge Literaturhinweise, z.T. in einer
Kurzform, die mittels der jeweils beigefügten Bibliographie aufgelöst
werden kann, oder mit vollständigen Angaben bzw. unter Verwendung
gebräuchlicher Abkürzungen. Allerdings verzichtet das Dictionary
insbesondere bei kürzeren Artikeln völlig auf bibliographische
Angaben, was seinen Wert als Hilfsmittel und die Überprüfbarkeit der
Inhalte nicht unerheblich beeinträchtigt. Hier liegt der erste
wichtige Unterschied.
Ein weiterer hängt mit der zeitlichen Eingrenzung der Thematik
zusammen, obwohl beide Werke als Obergrenze den Eintritt der Stadt Rom
ins Mittelalter, etwa die Zeit um 600, angeben. Hierbei sind bei
Richardson allerdings die frühchristlichen Bauwerke im Anschluß an
Platner/Ashby ausgelassen, während es das Lexicon als eines seiner
Ziele formuliert hat, die Grenzen zwischen klassischer und
christlicher Archäologie zu überwinden.[3]
Im direkten Vergleich der Inhalte ergeben sich dann freilich noch mehr
Differenzen, bei deren Bewertung man aber nicht vergessen darf, daß
das Dictionary mit 434 Seiten, die noch um ein zehnseitiges Glossar
und eine knappe Chronologie der römischen Baugeschichte erweitert
sind, abgeschlossen ist. Das Lexicon belegt dagegen nur 100 Seiten
weniger allein für die Artikel von A bis C - und bietet auf weiteren
140 Seiten bibliographische Hinweise und reichliches Bildmaterial
- Photos, Pläne, Skizzen, Rekonstruktionen usw.[4] Es versteht sich
daher
von selbst, daß die ganz überwiegend italienisch verfaßten Beiträge
(einige wenige sind englisch, französisch oder deutsch) im Lexicon
ausführlicher sein können.
Aber das erklärt die Unterschiede nur sehr formal und äußerlich. Es
wird vor allem auch deutlich, daß sich für das Lexicon die derzeitige
Prominenz zur topographischen und archäologischen Forschung des alten
Rom zusammengefunden hat. Insbesondere da, wo Kapazitäten wie
Coarelli, Palombi oder Torelli selbst Beiträge geschrieben haben,
treten qualitative Vorzüge des Lexicon deutlich hervor. Dann nämlich
spiegelt das Lexicon viel eher den aktuellen Forschungsstand als das
Dictionary, wobei nicht allein die fachliche Kompetenz der Mitarbeiter
des Lexicon ins Gewicht fällt.[5] Auch die grundsätzlich breiter
angelegte Diskussion aller relevanten Quellengattungen zu einem
Begriff wirkt sich letztlich vorteilhaft aus. Mögen sich auf den
ersten Blick die Einträge im Dictionary auch leichter überfliegen
lassen, den besseren Einstieg in die Forschung erlaubt zweifellos das
Lexicon, ganz besonders dann, wenn Lage, Zuordnung und Gestalt von
Monumenten schwer bestimmbar und deshalb gründlicher zu diskutieren
sind.[6]
Auch unter dem Aspekt der Aktualität bleibt das Dictionary hinter dem
Lexicon zurück, wie ein Vergleich der Artikel zur Basilica Hilariana
zeigt. Hier liegen seit einigen Jahren die Ergebnisse der Forschungen
von Carignani, Gabucci u.a. vor, die die bisherige Kenntnis dieses
Bauwerkes erheblich verbessert haben. Daß die entsprechenden
Ergebnisse im Lexicon enthalten, im Dictionary dagegen kaum angedeutet
werden, dürfte wohl kaum befriedigend damit erklärt sein, daß
letzteres ein Jahr vor dem Lexicon publiziert wurde, denn immerhin
zitiert Richardson eine Veröffentlichung der o.g. Archäologen von
1990.[7] Die Literaturauswahl im Lexicon ist vielmehr durchweg
aktueller. Bedenkt man außerdem noch, daß für den fünften Band dieses
Werkes eine bibliografia generale vorgesehen ist, dann wird der
Interessent mit dem Lexicon auch hierin besser bedient.
Zusammengefaßt: Stand der Forschung, Präzision der Angaben,
Informationsgehalt, Hinweise auf Quellen und Einstiegsmöglichkeiten
für weitere Recherchen sind im Lexikon höher zu bewerten. Gegenüber
Platner/Ashby nimmt es sich zudem deutlich selbständiger aus als das
Dictionary, dessen Artikel zwar alle neu verfaßt wurden, sich aber
doch z. T. noch eng an die Vorbilder bei Platner/Ashby anlehnen. Das
Lexicon darf deshalb als neues Standardwerk für die altrömische
Topographie angesehen werden, zu dessen Niveau es derzeit keine
Konkurrenz gibt. Für Richardson und seine mühevolle Arbeit ist es
dagegen fast tragisch, daß das Dictionary kurz nach seinem Erscheinen
schon wieder überholt ist. Es kann sich zwar mit anderen
Nachschlagewerken zum Thema - nicht zuletzt mit Platner/Ashby - messen
und vorhandene Literatur zu diesem Themenbereich sinnvoll ergänzen,[8]
aber keine Alternative zum Lexicon sein.
Joachim Migl
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