Diese Entstehungsgeschichte ist dem Buch inhärent. Einem Teil der von ca. 150 Mitarbeitern stammenden 1440 nicht namentlich gezeichneten Stichwörter - sie behandeln nur Sachen, keine Personen - ist die West-Berliner Konzeption noch anzumerken, andere, die Ost-Berliner Seite kennzeichnende Stichwörter stehen unverbunden im ganzen Kontext. Die Stichwortlisten, beide Seiten betreffend, sind nicht genügend miteinander abgeglichen worden. Dafür spricht, daß ein Artikel Berliner Kurier aufgenommen wurde. Er bespricht die Geschichte der früheren Ost-Berliner Zeitung BZ am Abend ausschließlich nach der Wende. Ein eigener Artikel ist auch der Berliner Zeitung (Ost-Berlin) gewidmet, diesmal mit Vorgeschichte seit 1945. Eigene Artikel über West-Berliner Zeitungen, wie die BZ des Ullstein Verlages oder den Berliner Tagesspiegel, fehlen. Der Redaktionsschluß ist für einzelne Bereiche auch unterschiedlich gewesen, in manchen Teilen sind neuere Entwicklungen enthalten, beim Deutschen Bibliotheksinstitut heißt es nach wie vor, daß es seinen Sitz im Bezirk Wilmersdorf habe; dabei bleibt unberücksichtigt, daß das DBI inzwischen nach der Vereinigung mit zwei DDR-Institutionen ebenso einen Sitz im Bezirk Mitte (Luisenstraße) hat. Unter dem Stichwort Musikhochschule wird ausschließlich auf die Hochschule der Künste (HdK), d. h. die West-Berliner Hochschule, hingewiesen. Wissen muß man, daß die Ost-Berliner Musikhochschule als Hochschule für Musik "Hanns Eisler" gekennzeichnet ist und unter Hochschule ... im Alphabet aufgesucht werden muß. Die Beispiele ließen sich vermehren. Das spricht aber nicht gegen das Berlin-Handbuch, sondern für eine baldige verbesserte 2. Auflage. Dann könnten auch kleinere Mängel, die beim Gegenlesen durch nicht beteiligte Fachleute unschwer festzustellen sind, korrigiert werden. Der Architekt der Evangelischen Kirche am Hohenzollern Platz heißt Fritz Höger (nicht Hoger). Die Russische Kirche in Wilmersdorf mag zwar am Hoffmann-von-Fallersleben-Platz liegen, den Platz aber kennen nicht einmal Anwohner, denn er liegt unrealisiert nur auf dem Stadtplan vor. Dort, wo der Platz sein sollte, gibt es noch immer Kleingärten und die Kirche liegt umschlossen von drei Hauptverkehrsstraßen zwischen Hohenzollerndamm, Berliner Straße und Konstanzer Straße. Wenn zum Wilmersdorfer Rathaus geschrieben wird: "Als einzige der ehemals selbständigen Städte bezog W. sein heutiges Rathaus am Fehrbelliner Platz erst nach dem Zweiten Weltkrieg", ist das richtig, legt aber den schiefen Schluß nahe, Wilmersdorf habe kein Rathaus besessen. Ende des 19. Jahrhunderts hat es aber einen repräsentativen Backsteinbau an der Brandenburgischen Straße errichtet, der im Krieg ausbrannte. Heute steht an dieser Stelle die Öffentliche Bibliothek Wilmersdorfs. Dem Pressehistoriker fällt notwendig die etwas holzschnittartige Darstellung unter dem Stichwort Presse auf. Daß mit der Revolution 1848 "die Zensur abgeschafft und die Pressefreiheit eingeführt" wurde, ist zu schön um wahr zu sein. Und warum von den fünf Brüdern Ullstein nur Leopold als großer Verleger herausgehoben wird, wo der Verlag gerade durch das Zusammenwirken der auf unterschiedlichen Feldern des Druckerei- und Verlagswesens befähigten Brüder Weltgeltung erlangt hat, bleibt uneinsichtig. Ebenso mißverständlich ist die Darstellung der nationalsozialistischen Pressepolitik. Da heißt es: "Waren schon 1939 nur noch 29 Tageszeitungen erschienen, so ging die Zahl bis 1945 auf 5 zurück. Die noch verbliebenen Zeitungen unterstanden der Zensur durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda." Daran ist so gut wie alles falsch, denn das Propagandaministerium - eine Gründung des Jahres 1933 - hat sich gleich nach seiner Gründung mit verschiedensten Mitteln darum bemüht, daß die Presse in Deutschland zu einer Propagandaeinrichtung nationalsozialistischer Politik wurde. Es scheint, daß hier längere Texte zusammengekürzt worden sind. Doch auch solche kleinen Mängel können den positiven Gesamteindruck nicht mindern. Es ist richtig, ein umfassendes Nachschlagewerk zu schaffen, in dem alle wichtigen Berlin-Fakten sachlich korrekt rasch aufgefunden werden können. Das gilt besonders, weil die Berlin-Literatur außerordentlich umfangreich und detailliert ist, so daß sie kaum noch von Fachleuten überblickt werden kann.
Der eigentliche Schwachpunkt des Berlin-Handbuches ist seine
Handhabbarkeit. Es fehlen lebende Kolumnentitel. Man kann sich leicht
in den über 1.500 Seiten verirren und erkennt häufig erst durch
längeres Blättern, wo man sich eigentlich befindet. Die Verwirrung
wird noch dadurch gesteigert, daß neben den Lexikon-Stichwörtern, die
zweispaltig abgesetzt sind, einspaltig gesetzte Überblicksartikel
eingestreut werden.[3] Außerdem fehlen zur Verdeutlichung der
geographischen Beziehungen Karten. Zwar ist auf den Seiten 944/945
eine Karte abgedruckt, die das Stadtgebiet mit allen Bezirken und den
Ortsteilen wiedergibt, im Südwesten sind zusätzlich Teile von Potsdam
angefügt. Angesichts ihrer Größe muß diese Karte aber aussagearm
bleiben, sie gibt lediglich einen Eindruck der Verteilung von
Wald/Grünfläche gegenüber Industriegebiet und bebauter Fläche
insgesamt; ferner sind die wichtigsten Straßen und
Eisenbahnverbindungen eingezeichnet. Auch reicht die Karte aus, um zu
erkennen, daß Berlin in vielen Bezirken eine Stadt am Wasser ist, alle
Einzelheiten aber gehen unter. Übersichtskarten zu den Stadtbezirken
und einzelnen bedeutenden Siedlungen (Nikolaiviertel, Gropiusstadt,
Hansaviertel u. a.) fehlen. Die 68 Graphiken und 94 Tabellen sind
instruktiv, desgleichen die 253 farbigen und schwarzweißen
Abbildungen, auch wenn deren Auswahl vielfach recht willkürlich
erscheint. Das sachlich geordnete Literaturverzeichnis mit ca. 700
Titeln ist nützlich, doch kann es das Fehlen von Literaturangaben bei
den Artikeln nicht ausgleichen. Ein Schlagwort- und ein
Personenregister erschließen den Inhalt der Artikel.
Hans Bohrmann
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