Das Deutsche Schriftstellerlexikon behandelt in Bd. 1 für die beiden
ersten Buchstaben des Alphabets 1608 "Autoren, die im Zeitraum
zwischen 1830 und 1880 erstmals hervorgetreten sind" (S. 11), erstmals
wegen der bewußt vorgenommenen Vermeidung von Überschneidungen zur 2.
Aufl. des Goedeke: Wiederaufnahmen von dort bereits behandelten
Autoren sind - selbst dann, wenn der Schwerpunkt ihres Schaffens in
die Zeit von 1830 bis 1880 fällt - ebensowenig vorgesehen, wie
Nachträge zu solchen Autoren. Das auffälligste Kennzeichen der neuen
Konzeption[3] besteht zunächst einmal darin, daß alle poetae minores
lediglich mit Kurzartikeln bedacht sind, die äußerstenfalls umfassen:
den Kopf mit Namen, Vornamen, Pseudonymen, Geburts- und Todesjahr, und
als das Corpus des Artikels Hinweise auf bis zu sechs lexikalische
Standardwerke mit Angaben zum Autor bzw. seiner Literatur sowie
- sigliert mit W, U und L - Hinweise auf die im Archiv bewahrten
Nachweise selbständig erschienener Veröffentlichungen des Autors (W),
Anfangs- und Endjahr bisher festgestellter Beiträge und Abdrucke in
periodischer Literatur oder Sammlungen (U) und die Anzahl der im
Archiv vorhandenen Literaturnachweise zu Sekundärliteratur, Lexika und
zeitgenössischen Kritiken (L). Die Früchte der jahrzehntelangen
Sammelarbeit werden also nicht unterdrückt, aber auch nicht
ausgebreitet. Wer an das Material zu solch kleineren Autoren gelangen
will, muß sich an die Berliner "Arbeitsstelle"[4] wenden, an der der
neue Goedeke bearbeitet wird: eine pragmatisch-vernünftige
Entscheidung, um das Lexikon von Ballast zu entfrachten.
Für alle nicht in Form der Kurzartikel behandelten Autoren bietet das
Lexikon neben dem Kopf (diesmal mit Geburts- und Todestag und den
zugehörigen Orten) eine Kurzbiographie und als Hauptteil eine
Personalbibliographie. Die Personalbibliographie zerfällt in einen
formalen ersten Teil, der maximal aus fünf mit den Siglen P, L, S, B
und H gekennzeichneten Rubriken bestehen kann: Nachweis vorhandener
Personalbibliographien, i.d.R. bis zu drei Titel (P); Hinweise auf
Artikel in lexikalischen oder sonstigen Informationswerken (L);
Hinweise auf Bände von Fachbibliographien, in denen Sekundärliteratur
zum Autor verzeichnet ist (S); die in Briefbibliographien genannten
Korrespondenzen (B) sowie die in Handschriftenverzeichnissen
nachgewiesenen Nachlaßteile des Autors (H). Die Einträge unter L bis H
zitieren jeweils in Kurzform die Aufnahmen aus einer etwa 150 Titel
umfassenden Liste. Diese Liste umfaßt wichtige biographische Werke
(ADB, NDB, DBI, solche vom Typ Lebensbilder ... usw.), Literaturlexika
(Brümmer, Killy, Kosch usw.), abgeschlossene und laufende
Fachbibliographien, Nachlaßverzeichnisse (Denecke/Brandis, Mommsen,
Renner) u.a.m.
Dem formalisierten ersten Teil folgt dann jeweils eine subjektive
Personalbibliographie zum Autor, die - fortlaufend numeriert - die
folgenden Rubriken umfaßt: 1. Buchpublikationen (einschließlich
weiterer zu Lebzeiten des Autors publizierter Auflagen), von ihm
herausgegebene Periodika und andere Veröffentlichungen, Übersetzungen,
Bearbeitungen; 2. Veröffentlichungen aus dem Nachlaß; 3.
Wirkungsgeschichtliche Zeugnisse (z.B. Premieren von Bühnenwerken;
Besprechungen in periodischer Literatur); 4. Beiträge in
Zeitschriften,
Zeitungen, Sammlungen; 5. Gesamtausgaben von Werken und Briefen.
Die Titelaufnahmen lehnen sich an die Regeln der Preußischen
Instruktionen an, "weil sich mit ihnen möglichst viel vom Kolorit der
Vorlagen bewahren läßt". So richtig wie mutig fährt Jacob fort: "Der
'Grundriß' ist kein Katalogwerk, sondern ein Instrument der
literaturgeschichtlichen Forschung" (S. 13). Bei der Lektüre der
- solcherart sehr lesbaren - Aufnahmen beschleicht den Benutzer die
nostalgische Erkenntnis, daß sich in den PI noch beides verbunden hat:
Katalogregelwerk und Instrument der Forschung.
Man wird den Bearbeitern Dank dafür wissen, daß sie in die
Bibliographie der Werke auch ungedruckte Titel aufgenommen haben, z.
B. Theaterstücke, deren Aufführung zweifelsfrei nachzuweisen ist, oder
verlorengegangene Werke, die sich haben ermitteln lassen. Letztere
sind - bibliographisch korrekt - eben auch als solche ausgewiesen.
Bei der Verzeichnung von Beiträgen in Zeitschriften und Sammlungen
wird man das eine oder andere Fragezeichen anbringen dürfen: ob denn
der Nachweis eines Abdrucks in einzelnen der zahlreichen Auflagen von
Kommersbüchern sinnvoll sei oder ob nicht - wie es bei dem sonst sehr
konzisen Büchner-Artikel scheinen will - die Verzeichnung solcher
Beiträge um so arbiträrer wird, je näher ihr Publikationsdatum der
Gegenwart rückt. Als eindeutigen Gewinn registriert man die Hinweise
auf frühe Veröffentlichungen solcher Art.
Die Beiträge in Zeitschriften usw. sind nur mit verkürzter Kollation
nachgewiesen. Oft wird bei ihnen aber auf die großen von Alfred
Estermann bearbeiteten Zeitschriftenbibliographien verwiesen.[5] In der
Herstellung von solchen synergetischen Bezügen zwischen den
verschiedenen Erschließungsinstrumenten zur Literatur des 19.
Jahrhunderts liegt einer der großen Vorzüge des neuen Goedeke, den man
rechtens auch als Jacob zitieren könnte. Nicht alles selbst bieten zu
wollen, sondern Fingerzeige zu geben, wo weiter zu suchen ist: mit der
Entscheidung für dieses Prinzip hat Herbert Jacob - zusammen mit
seinen Mitarbeitern, allen voran der Redaktorin Marianne Jacob - die
Fortführung des Goedeke noch einmal so in Gang gebracht, daß sie in
überschaubarer Frist zum Abschluß kommen dürfte. Zum 19. Jahrhundert
wird der neue Goedeke dann das Schriftstellerlexikon sein. Zu der
Freude über die nach Methode und Resultat gelungene Leistung, die der
erste Band darstellt, gesellt sich die Genugtuung, daß die lebenslange
entsagungsvolle Arbeit, die einer der kundigsten Bibliographen des
Faches in den neuen Goedeke gesteckt hat, wider alle Erwartung zu
später, aber schöner Frucht gelangt ist.
Hans-Albrecht Koch
Zurück an den Bildanfang