Pünktlich zum 10. Todestag hat die mit der kritischen Edition befaßte Böll-Forschungsstelle der Bergischen Universität Wuppertal eine seit langem entbehrte subjektive Personalbibliographie vorgelegt. Die Bibliographie nimmt knapp zwei Drittel eines von Werner Bellmann, dem Leiter der Wuppertaler Forschungsstelle, herausgegebenen Sammelbandes ein. Er enthält außerdem sechs Aufsätze, deren Themen bibliographischen Fragen teils näher, teils ferner liegen. Bibliographischen Bezug im weiteren Sinne von Textgeschichte haben zumindest solche Beiträge in dem Band, die sich auf den Nachlaß (W. Bellmann), auf Varianten als verlagspolitisch bedingte Texteingriffe (G. Sander) oder unbekannte Zeugnisse zu Bölls künstlerischem Selbstverständnis (B. Schnepp) beziehen. Vielleicht hätten Autoren und Verlag die beiden Teile des Bandes besser separat publiziert.
Die Bibliographie gehört zu den erfreulichen Exemplaren ihrer Gattung. Dies sei angesichts der publizistischen Angriffe, die sie, kaum erschienen, von Viktor Böll, dem Neffen des Autors und Leiter des Kölner Böll-Archivs, und von Bölls Sohn René, erfahren hat, gleich zu Beginn näherer Betrachtung gesagt.
Sie weist in fünf Gruppen folgende Schriftengattungen nach: 1. Schriften: Erstveröffentlichungen und Buchausgaben; die Veröffentlichungen eines Erscheinungsjahres sind durchlaufend numeriert, aber unterteilt in die Blöcke I. Erstveröffentlichungen (diese wieder untergliedert in die Kategorien fiktionale Erzählprosa, Gedichte, Dramen/Hörspiele usw., Essays/Reden usw.) und II. Sammelausgaben, Neudrucke in Buchform usw. 2. Gedruckte Briefe von und an Böll (nach dem Alphabet der Briefpartner; nicht aufgenommen sind auszugsweise in der Forschungsliteratur veröffentliche Briefe). 3. Interviews und Gespräche, soweit sie - auch auszugsweise - gedruckt vorliegen in chronologischer Ordnung. 4. Herausgeberische Arbeiten Bölls. 5. Übersetzungen von Annemarie und Heinrich Böll.
Auf jeder Seite ist der große Fortschritt zu bemerken, den das neue
Werk gegenüber den seinerzeit verdienstvollen Böll-Bibliographien von
Lengning[1] und Martin[2] darstellt. Der Qualität kommt zugute, daß die
neue Wuppertaler Bibliographie sich auf bestimmte Felder konzentriert,
andere - etwa die Verzeichnung von Übersetzungen - bewußt
zurückstellt, statt auf ihnen nur Unzulängliches zu bieten. Wer sich
je an solche Arbeit gemacht hat, mag ermessen, welchen Aufwand allein
die Ermittlung der gedruckten Interviews und Gespräche die Bearbeiter
gekostet haben dürfte.
Die Titelaufnahmen sind, einschließlich der Kollationsvermerke,
sorgfältig gearbeitet. Erfreulich ist die große Zahl bibliographischer
Notizen, seien es z. B. Inhaltsangaben, Verweise auf die bislang
gültigen Leseausgaben oder Hinweise auf die spätere Aufnahme einzelner
Titel in Sammlungen.
Erschlossen wird die Bibliographie durch ein Register der Namen, ein
Verzeichnis der Titelvarianten (auch solche von nicht erfaßten
Nachdrucken, etwa Ausgaben in Buchgemeinschaften) sowie zwei
Titelregister (je eines zur fiktionalen Prosa/Dramatik/Lyrik und eines
zu Essayistik/Reden usw.). Leider werden Artikel am Anfang eines
Titels in den entsprechenden Registern mitsortiert.
Die beste Bibliographie dürfte nicht fehlerfrei sein. Der Herausgeber
ist sich dessen bewußt und bittet selbst um Korrektur. Ausgerechnet
beim Irischen Tagebuch ist den Bearbeitern im Bemühen, an der Stelle,
die eine Sammlung zum erstenmal anführt, frühere Teilabdrucke
nachzuweisen, ein Fehler unterlaufen. Die Sammlung wird unter Nr. 57.5
nachgewiesen; als bibliographische Notiz folgt der Hinweis, daß
Teilvorabdrucke unter den Nummern 55.2,4,7-9; 56.2-6 zu finden seien.
Richtig hätte es heißen müssen: Nr. 54,3; 55.3,5,7-10; 57.1,4. An den
Stellen sind die Erstdrucke korrekt verzeichnet, ja es wird jeweils
vermerkt, ob der Text verändert usw. in das Irische Tagebuch
eingegangen ist. Alle diese Nummern der Erstdrucke sind auch im
Titelregister korrekt erfaßt.
Wenn Viktor Böll der Wuppertaler Bibliographie vorwirft, diese Titel
seien auf dem "Weg vom Buch des Autors in die Bibliographie seiner
Werke verschwunden",[3] schießt er weit über das Ziel billiger Kritik
hinaus; wenn er der - in ihren selbstgesteckten Grenzen, an denen sie
füglich zu messen ist - vorzüglich gelungenen Personalbibliographie
gar attestiert, "daß nach sechs Jahren Forschungstätigkeit in
Wuppertal noch nicht einmal eine Übersicht über das Lebenswerk des
Autors existiert" (ebd.), so ist das nichts als ein unfairer Hieb des
Kölner Antipoden auf die ungeliebte Wuppertaler Forschungsstelle, ein
Hieb, der den nicht ehrt, dessen Hand ihn führt.
Die Böll-Forschung wird die neue Bibliographie dankbar zur Hand nehmen
und sich wünschen, daß die Wuppertaler Böll-Forscher noch verbleibende
Lücken, wie etwa die erwähnte Bibliographie der Übersetzungen,[4] in
vergleichbarer Qualität schließen mögen. Auch eine umfassende
Bibliographie der Forschungsliteratur[5] ist erwünscht, an der seit
längerem in Köln gearbeitet wird.
Hans-Albrecht Koch
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