1. Das "klassische Großinventar"
Einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Denkmälerverzeichnung
in Deutschland setzte noch das ausgehende 19. Jahrhundert mit der
Ausbildung des sog. "klassischen Inventars". Der Erfassung und
Beschreibung der Baudenkmäler ist eine topographische Ordnung
zugrundegelegt, d.h., daß die Ortsbindung des einzelnen Baudenkmals im
Vordergrund steht. Der Ortseintrag selbst folgt einem einheitlichen
Aufbau, beginnend mit der Darstellung der hervorragenden
Monumentalbauten des Denkmalortes (i.a. der Sakralbauten
einschließlich ihrer Ausstattung), gefolgt von prominenten
Profanbauten, über weitere Wohn- und Wirtschaftsbauten bis hin zu
verschiedenen Kleindenkmälern.[1] Geschichte und Beschreibung der
Baudenkmäler stehen in klarer Abfolge. Aber auch beim Großinventar ist
dabei im allgemeinen keine erschöpfende Darstellung beabsichtigt, wohl
aber die Publizierung aller Quellen und relevanten Daten und somit
aller für weitere Darstellungen grundlegenden Informationen. Risse und
Abbildungen bzw. Abbildungshinweise treten hinzu. Das klassische
Inventar sieht dabei eine flächendeckende Erfassung der Baudenkmäler
vor.
Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte in den einzelnen
Provinzen und Staaten des Deutschen Reiches die Publikation der ersten
Inventarbände ein. So erschienen als "1. Baudenkmalinventar mit
wissenschaftlichem Anspruch" für Hessen die Bände Kassel (1870) und
Wiesbaden (1880).[2] Das grundlegende Inventarwerk für die preußische
Rheinprovinz gab Paul Clemen von 1891 bis 1938 in 38 Bänden heraus. In
Bayern setzte die Verzeichnung 1895 mit Oberbayern als Band 1 der
Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern ein und wurde 1905 mit Band 2
als Kunstdenkmäler von Bayern fortgesetzt; nach 1950 in modifizierter
Form (als Kurzinventar) weitergeführt, stagnierte die Verzeichnung
schließlich in der 2. Hälfte der 70er Jahre, ohne daß ein
flächendeckendes und noch gültiges Großinventar für Bayern nach 100
Jahren zu seinem endgültigen Abschluß gefunden hätte. Jedoch kann an
dieser Stelle nicht der Stand dieser noch im ausgehenden 19.
Jahrhundert initiierten Inventarisationsprojekte und ihrer
publizierten Ergebnisse im Detail referiert werden. Die hier und im
weiteren Text zitierten Beispiele reichen aus, um die Problematik des
Typs Großinventar zu verdeutlichen. Erst vor diesem Hintergrund ist
die weitere Entwicklung der Denkmalinventarisation mit ihrer heutigen
Palette an Publikationstypen zu verstehen.
2. Der Dehio
2.1 Die 1. Auflage 1905 - 1912
Großinventare mit ihren notgedrungen langfristigen Bearbeitungszeiten
konnten schon immer nur bedingt allen Belangen der (praktischen)
Denkmalpflege genügen. Bereits 1899 hatte daher Georg Dehio die
Schaffung eines Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler angeregt und
für den Tag der Denkmalpflege 1900 in Dresden eine Denkschrift
vorbereitet: "Es gibt Aufgaben der Denkmälerstatistik, die durch die
offiziellen Inventare nicht gelöst sind, und nicht gelöst werden
können. Wir bedürfen eines Mittels zu schneller Orientierung. Ich
beantrage daher die Herstellung eines Handbuches, welches seinem
Begriff gemäß wenig voluminös, leicht transportabel, in seiner inneren
Einrichtung so übersichtlich wie möglich, ebenso bequem auf dem
Schreibtisch wie auf der Reise zu benutzen sein muß."[3] Zugleich sollte
es "ein urteilender und klärender Führer durch die Denkmälermasse"
sein.[4] Nach dem von ihm erarbeiteten Konzept veröffentlichte Dehio
schließlich 1905 - 1912 in 5 Bänden das Handbuch der deutschen
Kunstdenkmäler.[5] Das Werk erfaßte die bis etwa zum Jahr 1800
entstandenen Denkmäler auf dem Territorium des deutschen Reiches
einschließlich Elsaß-Lothringen.[6] Als Quelle wurden - soweit bereits
erschienen - die offiziellen Inventarbände zugrunde gelegt, für die
anderen Gebiete die ortsmonographische Literatur herangezogen oder die
Denkmäler nach Autopsie beschrieben. Damit war eine unvermeidliche
Heterogenität in der Erfassungsdichte gegeben. Vollständigkeit war im
Gegensatz zu den Inventaren auch von vornherein nicht angestrebt,
sondern vielmehr eine "Sichtung und Auswahl".[7] Die Anlage des
Gesamtwerkes gliederte sich innerhalb der Regionenbände strikt nach
dem Ortsalphabet, die Beschreibungsabfolge entsprach der für die
Großinventare skizzierten, wenn auch mit äußerster Straffung der
Ausführungen, ohne jedoch gänzlich auf eine knappe abschließende
Gesamtcharakterisierung der wichtigeren Denkmäler zu verzichten.
Abbildungen, Risse etc. spielten für die Urfassung noch keine Rolle.
2.2 Der Dehio-Gall 1935 - 1956
Der Erfolg des Dehio machte mehrere Nachauflagen und schließlich eine
vollständige Neubearbeitung notwendig, die nach Dehios Tod 1932 durch
Ernst Gall vorgenommen wurde. Ab 1935 erschienen die ersten Bände der
Neubearbeitung, des sog. Dehio-Gall. Dabei wurde das Konzept des
Grundwerks durch Gall erheblich verändert: Statt des strikten
Ortsalphabets innerhalb der Regionenbände wurde jetzt eine
weitergehende topographische Anordnung gewählt, und zwar eine
Beschreibungszentrierung um "Hauptorte". Der Nachschlagecharakter
eines Handbuchs konnte damit nur noch über Ortsregister und später
über Situationspläne gerettet werden. Von diesem Anordnungsprinzip
wich allerdings die Abt. 2, Österreich ab; hier blieb das
alphabetische Prinzip Dehios erhalten; in der Einarbeitung von Plänen
war diese Abteilung sogar vorbildlich.[8] Der Dehio-Gall erschien in 11,
sich inhaltlich teilweise überschneidenden Bänden[9] von 1935 bis 1956
(mit späteren unveränderten Nachdrucken) und brachte eine erhebliche
Erweiterung in der Verzeichnung von Kunstdenkmälern gegenüber dem
Dehio, nicht zuletzt auch ermöglicht durch die verbesserte Quellenlage
aufgrund der fortschreitenden Großinventarisierung, ohne jedoch die
Neubearbeitung insgesamt völlig zum Abschluß gebracht zu haben.
2.3 Die Neubearbeitung des Dehio durch die Dehio-Vereinigung
(Wissenschaftliche Vereinigung zur Fortführung des
Kunsttopographischen Werkes von Georg Dehio, e.V.) seit 1965
Kriegszerstörungen, die Teilung Deutschlands , ein gewandelter
Denkmalbegriff und die damit verbundene Notwendigkeit, auch nach 1800
entstandene Denkmäler einzubeziehen, führten nach dem Tod von Ernst
Gall 1958 zu einer Revision der Konzeption. Die Richtlinien,
erarbeitet von der Vereinigung zur Herausgabe des Dehio-Handbuches,
sahen ein Abgehen vom Kunstlandschaften-Konzept Galls und die Rückkehr
zum Ortsalphabet Dehios vor, allerdings in modifiziertem
Regionenrahmen, der jetzt für die Teile der Bundesrepublik Deutschland
den Grenzen der Bundesländer folgen sollte. Die ersten Bände
erschienen ab 1965. Für den Bereich der Deutschen Demokratischen
Republik wurde seit 1965 - in bisher 6 nach Bezirken geordneten Bänden
der Denkmälerbestand neu bearbeitet und publiziert; zuletzt erschien
1987 der Band zu den Bauten der Bezirke Cottbus und Frankfurt/Oder.[10]
Wenn im folgenden auf die neuesten Bände des Dehio-Handbuchs näher
eingegangen wird, so kann summarisch vorausgeschickt werden, daß es
sich dabei meist um stark erweiterte, z.T. auch neubearbeitete
Auflagen bereits erschienener Bände handelt. Noch weniger als der
Dehio-Gall stellt das Dehio-Handbuch ein einheitliches,
abgeschlossenes (mehrbändiges) Nachschlagewerk dar, da bereits vor
Abschluß des Gesamtwerkes jeweils die zuerst erschienenen Bände
wiederum teils im Nachdruck, teils in so stark veränderten oder
erweiterten Nachauflagen erschienen sind, die gänzlichen
Neubearbeitungen gleichkommen. Eine geschlossene Charakterisierung und
Wertung des gesamten Dehio-Handbuchs, so wie es sich insbesondere für
den die alte Bundesrepublik betreffenden Bände darstellt, ist damit
nicht mehr in allen Aspekten möglich. Davon abgehoben werden kann das
Urteil für die Bände zu den Baudenkmälern der DDR. Hier erschienen die
entsprechenden 6 Bände des Dehio-Handbuchs in relativ rascher Folge
und sind vergleichsweise homogener und noch stärker der Konzeption des
alten Dehio verpflichtet.
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