Das kleine Staatslexikon will "in bündiger Kürze über eine Fülle wichtiger Institutionen, Personen und Ereignisse aus Politik, Geschichte, Diplomatie und Recht" informieren und erläutert ca. 5500 Stichwörter für "Studium und Praxis, für Menschen in Politik und Medien, in Staatsdienst, Wirtschaft und Kultur" (S. 9). Die sehr knappen Artikel betreffen Begriffe sowie Personen, und häufig handelt es sich lediglich um Übersetzungen von Fremdwörtern, wobei die fremdsprachige Herleitung nicht durchgängig geboten wird. Die Querverweisungen sind zuverlässig, die Kolumnentitel leider nicht. Eine Vielzahl von Hinweisen auf weiterführende Literatur markiert eine Besonderheit: man findet sie nur bei deutschen verfassungsrechtlichen Termini und dann wird stets nur auf ein einziges Werk verwiesen - auf das Wörterbuch zum Grundgesetz[3] desselben Verfassers. Zur Aktualität kann nur aus einigen Einträgen rückgeschlossen werden, da sich weder Autor noch Verlag zum Redaktionsschluß äußern: Er liegt zumindest teilweise noch vor Ende 1993, da die Apartheid noch nicht abgeschafft war. Rein juristische Definitionen sind zutreffend, doch bei Begriffen bundesdeutscher Verfassungswirklichkeit und des politischen Alltags stößt man schnell an Grenzen: Das kleine Staatslexikon kennt keinen Verfassungspatriotismus und Verfassungstreue nur als Grundsatz des Berufsbeamtentums. Bei (zeit-)historischen, kulturellen und politischen Begriffen sind die Auswahlkriterien unklar: Begriffe wie Ehrgeiz, Gentilhomme, Hippies, Homo sapiens, Weltwunder, Westwall oder Wille hätte man hier nicht vermißt, andernorts zudem besser erklärt bekommen (völlig unverständlich ist ein Eintrag wie Neger). Die Gewichtung einzelner Einträge ist häufig fragwürdig: in einem Staatslexikon sollte Jeanne d'Arc keinen größeren Eintrag erhalten als Aristoteles! Zudem kann und soll ein Fachlexikon nicht die Funktion eines allgemeinen Fremdwörterbuchs übernehmen, Einträge wie Neo...: (Neu) oder Interesse: Vorteil, Nutzen, Neigung sind überflüssig.
Schwerer wiegen die inhaltlichen Bedenken: Statt das Wesentliche präzise zu erfassen, wertet der Autor häufig bloß: über Carl Schmitt ("Autor glänzend geschriebener, ebenso wirkungsvoller wie umstrittener Thesen und Sentenzen" - das Warum bleibt verborgen), Emigration (ein "vom Standpunkt der Betroffenen oft höchst betrübliches Phänomen"), Kriegsverbrecherprozesse ("... deren Rechtsgrundlage nicht zweifelsfrei ist" - keine Erwähnung des Kellogg-Paktes!), APO ("bezeichnet die Protestbewegungen mit z.T. gewalttätigen Exzessen"). Ärgerlich sind auch einseitig wertende Erläuterungen von Begriffen, die doch nur durch die Nennung mehrerer Facetten, d.h. in ihrer Widersprüchlichkeit faßbar sind, z.B. Multikulturalität (hier wird in fünf von sechs Zeilen ausschließlich die "unerwünschte Multikulturalität" juristisch begründet). Geradezu empörend sind bestimmte euphemistische Definitionen, z.B. bei Ghetto ("Bezeichnung für räumlich abgegrenzte Wohnbezirke rassischer, religiöser und anderer Minderheiten" - der entscheidende Aspekt der Repression fehlt); über die Neue Rechte wird lediglich erläutert, daß sie nicht mit "Neofaschismus" verwechselt werden dürfe und auf Neokonservativismus verwiesen ("seit den 70er Jahren in Deutschland eine Art Gegenbewegung zur marxistischen Gesellschaftstheorie und zur politischen Praxis der Linken").
Resultat: Ein nur sehr eingeschränkt brauchbares, keineswegs empfehlenswertes Nachschlagewerk.
Klaus Ulrich Werner