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Ein gutes Beispiel für die in der vorstehenden Komplexrezension
angesprochene Schwierigkeit der typologischen Einordnung der
Zitatenwörterbücher gibt die zuerst 1864 mit dem Zusatz "Der
Citatenschatz des Deutschen Volks" erschienene Sammlung Geflügelte
Worte von Georg Büchmann (1822 - 1884) ab. Es handelt sich dabei um
die am weitesten verbreitete, jetzt bereits in 40. Aufl.[1] vorliegende
Sammlung dieser Art in den deutschsprachigen Ländern, an der nach dem
Tode des Begründers zahlreiche weitere Bearbeiter gewirkt haben, deren
stattliche Liste, da in der Titelaufnahme auf den ersten Namen
verkürzt, hier angeführt werden soll: Walter Robert-tornow, Konrad
Weidling, Eduard Ippel, Bogdan Krieger, Gunther Haupt, Werner Rust,
Alfred Grunow und zuletzt nun Winfried Hofmann. Hierbei ist jedoch nur
die sozusagen "offizielle" Entwicklungslinie des Büchmann beschrieben
und nicht der zahlreichen anderen Bearbeitungen gedacht,[2] von denen
eine weiter unten kurz vergleichend erwähnt werden soll.
Die im Büchmann versammelten "geflügelten Worte" sind "allerdings ...
nicht Zitate im engeren Sinn, sondern solche, die, sozusagen losgelöst
von ihrem Autor und ihrem ursprünglichen Zusammenhang, in übertragenem
Sinne angewendet werden und dabei in den alltäglichen Sprachschatz
eingehen, wobei sie auch ihren Wortlaut ändern können" (Einleitung, S.
VII).
In Anlage und Präsentation der Zitate unterscheidet sich der Büchmann
signifikant von anderen Zitatenwörterbüchern: Anlage nach der Herkunft
der Zitate, angefangen bei der Bibel, folgen die volkstümliche
Überlieferung, sodann die Schriftsteller (nach Sprachen), die
Geschichte (nach Epochen und Ländern) und schließlich Zitate "Aus dem
Zeitgeschehen". In dieser Rubrik findet sich die Masse der von der auf
Aktualität bedachten Redaktion eingebrachten Neuaufnahmen.[3] Die Zitate
werden im verbindenden Text aufgeführt, sind allerdings durch
Fettdruck auf eigener Zeile hervorgehoben. Besonders positiv ist zu
vermerken, daß die Fundstellen sorgfältig und genau (bis hin zur
Seitenangabe in der zitierten Ausgabe) angegeben sind und daß häufig
sogar Sekundärliteratur zitiert wird.
Nicht nur wegen der hier gewählten Anlage sind Register zur gezielten
Benutzung erforderlich, wie überhaupt Art und Qualität der Register
wesentlich über den Nutzen von Zitatenwörterbüchern entscheiden. 1.
Namenregister (einschließlich biblischer Schriften und anonymer Werke)
mit Eintragungen nicht nur für die Urheber von Zitaten sondern auch
für die Namen sonstiger erwähnter Personen, ja sogar der Herausgeber
sowie der Autoren von Sekundärliteratur. 2. "Register der Zitate und
Schlagworte" und zwar sowohl unter dem ersten Wort als auch unter
sinntragenden Stichwörtern; zum Register der deutschen Zitate, das
unter deutschsprachigen Begriffen auch Eintragungen für fremdsprachige
Zitate enthält, "deren deutscher Text nicht geflügelt ist", treten
separate Register für englische, französische, italienische,
spanische, griechische und lateinische Zitate (letztere übertreffen
mit 4 Seiten die englischen bzw. französischen jeweils um das
Doppelte).
Die Taschenbuchausgabe der Geflügelten Worte aus dem Knaur-Verlag
nennt weder einen Bearbeiter noch einen Herausgeber. Die zusätzliche
Bezeichnung als Vollständige Taschenbuchausgabe bezieht sich wohl auf
eine zugrundeliegende gebundene Ausgabe mit Knaurs Copyright von 1959;
nach der Auflagenleiste liegt hier die 21. Auflage vor. Im Vorwort
bezeichnet sich das Werk zudem als Neue Ausgabe, im Waschzettel auf
der Rückseite als modernisierte Auflage. "Auf gängige Ausdrücke aus
der unmittelbaren Gegenwart wurde allerdings verzichtet, da erst die
Zukunft zeigen wird, welche zu 'geflügelten Worten' werden" (Vorwort,
S. 7). Nicht nur Gorbatschow hat da keine Chance, und sieht man
genauer hin, nämlich in den letzten Abschnitt "Aus der Geschichte, 20.
Jahrhundert", so enden die Zitate ziemlich genau mit dem Kriegsende
1945. Die Anordnung ist die oben beschriebene des klassischen Büchmann
- wobei sich die Taschenbuchausgabe nicht einmal die Mühe eines
Inhaltsverzeichnisses gemacht hat, sondern den Leser zwingt, sich
allein an den Kolumnentiteln zu orientieren - jedoch wurden "die
verbindenden Worte zugunsten der Übersichtlichkeit aufgegeben" (S. 7).
Die Fundstellen sind zwar bei Dramen mit Akt und Szene identifiziert,
ansonsten nur mit dem Titel des Werkes und seinem Erscheinungsjahr,
jedoch ohne Bezug auf eine spezifische Ausgabe und somit auch ohne
exakte Fundstelle. Daß auch keine Sekundärliteratur zitiert wird, ist
dann schon selbstverständlich. - Register 1. der Namen der Urheber der
Zitate und 2. der Anfänge und Stichwörter (erstere ordnen unter
Berücksichtigung des Artikels am Anfang!).
Fazit: Für Bibliotheken und ernsthafte Nutzer kommt nur die "große"
Ausgabe des Büchmann in Frage.
sh
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