Der Hinführung zu den verschiedenen Strömungen im Feminismus und deren
Bedeutung für die Literaturwissenschaft kommt somit besonders im
hiesigen akademischen Bereich und zumal in einem progressiven
Literaturunterricht eine besondere Bedeutung zu. Lena Lindhoff hat
dies erkannt; sie will mit der Einführung in die feministische
Literaturtheorie die erste umfassendere deutschsprachige[1]
"Rekonstruktion der Entwicklung der feministischen Literaturtheorie"
vorlegen. "Mit dem Versuch, die Genese zentraler
poststrukturalistischer Termini nachvollziehbar zu machen und die
einzelnen Theorien unterscheidbar zu halten, [möchte sie dabei] der
verbreiteten Tendenz entgegenwirken, diese schwierigen Theorien zu
einem ununterscheidbaren und damit unangreifbaren Konglomerat
zusammenzuziehen." Stellt sich die Frage, wo diese Tendenz zu finden
ist. Auch wenn man sich Lindhoffs Einführung nicht unter den von ihr
selbst aufgestellten Prämissen anschaut, wird man keinen
differenzierten Überblick über die verschiedenen
Entwicklungsströmungen, noch weniger eine Erhellung von deren
teilweise komplexen Theoremen erhalten. Stattdessen durchleuchtet
Lindhoff die Schriften von Lacan, Derrida, Kristeva, Cixous und
Irigaray auf das Phänomen der Hysterie, von dem sie glaubt, daß es
einen Schlüssel zu zentralen Problemen feministischer
Literaturwissenschaft bietet. Als 'urweiblicher Lustgewinn'
verstanden, geistert 'Hysterie' ja bereits seit Ende des 19.
Jahrhunderts durch die Psychoanalyse. Als Phänomen ist sie Teil eines
phallogozentrischen Bedeutungssystems geworden, deren
hermetisch-elitäre Beschwörung im Stil einer ausgeuferten
Seminararbeit der Einführung in die Grundfragen feministisch
orientierter Literaturtheorie nur abträglich sein kann.
Die verschiedenen Strömungen im Feminismus und ihre Bedeutung für die
Literaturwissenschaft bleiben nicht zuletzt aufgrund dieses engen
Focus unklar, zentrale Begriffe wie doppelter Ort, schielender Blick,
Frauenbilder werden höchstens angerissen. Die Funktion literarischer
Verfahren und Gattungen als feministisch relevante Bedeutungsträger,
die Ansätze im Bereich der Literaturgeschichte, im besonderen der
Kanonrevision aber bleiben im Dunkeln.
Als Grundlage für einen progressiven Literaturunterricht können
bislang dagegen die leider noch nicht in deutschen Übersetzungen bzw.
Bearbeitungen erschienenen Einführungen von Pam Morris und Maggie Humm
dienen. Auch Humms gerade in 2. Aufl. erschienenes Lexikon der
Terminologie feministischen Gedankenguts kann bisher nur im Original
konsultiert werden. Die Werke der beiden Autorinnen setzen keine
Grundkenntnisse im Bereich der feministischen Literaturtheorie voraus,
beide bieten einen klar strukturierten Überblick über die tatsächlich
erheblich größere als bei Lindhoff dargestellte Bandbreite der
Strömungen nicht nur im Feminismus selbst, sondern auch im
literaturtheoretischen Niederschlag.
Die größere Aktualität besitzt dabei der Band von Maggie Humm. Jedes
Kapitel ihrer Einführung beginnt mit einem Überblick über die jeweils
vorgestellte Richtung, erklärt die zentralen Themen und
Arbeitstechniken, klärt über die Anliegen der herausragenden
Vertreterinnen und Vertreter auf und schließt mit einer nicht
unkritischen Zusammenfassung. Jeweils beigegeben sind eine
Bibliographie der zentralen Primärtexte sowie Vorschläge zur
vertiefenden Lektüre.
Pam Morris ergänzt diese Vorgehensweise, bei eingeschränkterem
Spektrum, mit zusätzlichen, gut strukturierten Aufgaben zu den von ihr
vorgestellten Bereichen. Sie bietet darüber hinaus illustrierende
Exzerpte aus dem literarischen Schaffen, welche die Grundlage für ein
close reading im Sinne der jeweils zuvor dargestellten Sichtweise
bieten.
Jedoch gelingt beiden, Morris wie Humm, die Einführung in die Funktion
literarischer Verfahren und Gattungen als feministische
Bedeutungsträger. Sie zeigen ausführlich die Diskussion um
Literaturgeschichtsschreibung und Kanonrevision und klären
undogmatisch die Bedeutung der Psychoanalyse wie auch sozialkritischer
Ansätze für die feministische Interpretation. Die große Bandbreite der
von Maggie Humm vorgestellten Strömungen[2] entspricht dabei jedoch am
ehesten der Forderung nach dem Überkommen eklektischer Tendenzen.
Deshalb dürfte auch Lena Lindhoff diesen Band statt des ihrigen in
Lehrbuchsammlungen zu finden wünschen.
Aktionen wie theoretische Arbeiten des Feminismus erstrecken sich
heute auf eine Vielzahl von Brennpunkten, die für die
Lebensbedingungen der Frauen von zentraler Bedeutung sind.
Darüberhinaus durchdringen feministische Theoreme gegenwärtig immer
mehr auch den bundesdeutschen akademischen Alltag, wobei jedoch
Seminare zur feministischen Theorie anders als im angelsächsischen
Bereich oder in Frankreich oft noch ein Desiderat darstellen. Man
könnte also geneigt sein, zu glauben, das Dictionary of feminist
theory von Maggie Humm, Professorin für Frauenforschung an der
University of East London, sei für das hiesige Publikum seiner Zeit zu
weit voraus. Gerade dem Novizen jedoch bietet das hier aufgefächerte
Spektrum der Terminologie wie auch der Historie feministischen
Gedankenguts eine zeitgemäße Einführung in diese alle akademischen
Disziplinen stark befruchtenden Denkansätze.
Auf 373 Seiten, davon 27 Seiten Bibliographie zum Schluß, die den
Zitierapparat der Einträge sinnvoll entlastet, findet man in über 600
Einträgen das begriffliche Koordinatensystem wieder, wie es zur
Tagesordnung gegenwärtiger feministischer Theorie gehört. Obwohl nicht
als enzyklopädisches Wörterbuch zur Disziplin konzipiert, bietet Humm
einen kritischen Überblick über heute unterscheidbare, zentrale
Positionen, unterschiedliche Ziel- und Wegvorstellungen, ohne daß das
breite feministische Diskussionsspektrum auf die gängige Etikettierung
'liberal', 'sozialistisch', 'radikal'-feministisch reduziert wird. Die
zugrunde gelegte Begrifflichkeit erscheint damit nicht als statisch
fixiertes Konstrukt einer anonymen Masse, sondern als (kontinuierlich)
flektiertes, differenzierbares Hilfsmittel in einer auf Mitteilung und
Mitteilbarkeit hin angelegten Disziplin. Die feministische Theorie,
einerseits als (noch) akademische Subkultur, andererseits als Methode,
Kultur zu deuten, ist dabei nicht zu trennen von den Protagonistinnen
ihrer anhaltenden Genese. Personeneinträgen gilt daher das zweite
Augenmerk. So wie Humm durchgängig die Facettierung eines Begriffes
beachtet, wird auch die Rezeption der aufgenommenen DenkerInnen in
verschiedenen Denkrichtungen gewürdigt.
Humm ist ein kritischer Überblick über die Entwicklung der
feministischen Theorie gelungen, der die divergierenden Richtungen im
Zusammenhang darstellt, die ideologiekritische Auseinandersetzung, die
Frauen-Geistesgeschichte und die unterschiedlichen
poststrukturalistischen Lektüren nachvollziehbar und zum Einstieg in
deren Begrifflichkeit bereit hält.
Rudolf Nink
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