Die Werke selbst sind nicht kommentiert, allerdings in Einzelfällen
durch Sternchen als empfehlenswert bzw. besonders empfehlenswert
markiert. Die drei Verfasser streben, so das Vorwort, keinen
"Lektürekanon", sondern "eine Orientierungshilfe" an, die einen
"Überblick über die interessantesten Texte der englischen und
amerikanischen Literatur sowie der englischsprachigen Literaturen der
Länder des früheren Commonwealth" gibt, und betrachten "die durch
Sternchen angedeutete Gewichtung der Texte ... als Vorschlag zum
Erwerb eines gewissen Fundaments an Texten, die alle Anglisten und
Amerikanisten kennen sollten" (S. 9). Um die Listen aufzulockern, sind
an vielen Stellen kleine Textzitate eingestreut. Das Buch hinterläßt
einen zwiespältigen Eindruck, da es, um die wesentlichen drei Punkte
zu nennen, in seiner Betonung der wichtigen Autoren nicht verläßlich,
in seinem Nachschlagewert, abgesehen vom Aufbau der Autorenlisten, an
sich recht gut, letztlich freilich in seiner Zielgruppe unklar ist.
Dem Studenten ist nämlich durch die seit längerem üblichen
Minimallisten wohl eher gedient als durch die Überfülle der hier
genannten Autoren und Titel, deren Auswahlkriterien nicht hinreichend
erläutert sind und deren Schwerpunkte zum Teil nicht nachvollziehbar
erscheinen. So sind, um einige gravierende Beispiele zu nennen,
einerseits Werke von A. S. Byatt (1936 - ) oder Alice Thomas Ellis
(1932 - ) durch Sternchen markiert, andererseits so bedeutende Lyriker
wie George Herbert oder W. H. Auden ohne jede Hervorhebung geblieben.
Damit wird, wie auch an Beispielen aus Afrika, Indien oder Neuseeland
belegbar,[2] keine für den Studenten verläßliche Grundlage der
Lektüreauswahl angeboten, so anregend und mutig die Liste der modernen
Autoren auch sein mag. Andere positive und negative Punkte der
Auswahl, die auffielen, seien kurz an Beispielen belegt: Die Vielfalt
der modernen Literatur Großbritanniens ist durch Autoren wie John
Banville (1945 - ), Sarah Daniels (1957 - ), Kazuo Ishiguro (1954 - ),
Anthony Minghella (1954 - ), Timothy Mo (1950 - ), Winsome Pinnock
(1961 - ) oder Jeannette Winterson (1951 - ) gut getroffen. Allerdings
überrascht, daß die Schottinnen Carol Ann Duffy (1955 - ) und Jackie
Kay (1961 - ) fehlen, da Autoren wie Chris Hannan (1958 - ), Charlotte
Keatley (1960 - ), Rona Munro (1959 - ) oder Tim Parks (1954 - ) Raum
gegeben wurde. Bemerkenswert ist auch die relativ geringe
Berücksichtigung der frühen Frauenliteratur[3] Großbritanniens und der
USA, man denke nur an die fehlenden Eliza Haywood (?1693 - 1756),
Delariviere Manley (1663 - 1724), Clara Reeve (1729 - 1807) oder
Catharine Sedgwick (1789 - 1867). Gewiß trifft es zu, daß "bei den
Literaturen außerhalb der Britischen Inseln und Nordamerikas ... noch
kaum von einem festen Kanon gesprochen werden kann" (S. 10), dennoch
hätte man gerne auch Namen wie Margaret Avison (1918 - ), Michelle
Cliff (1946 - ), Cyprian Ekwensi (1921 - ), Robert D. Fitzgerald (1902
- 1987) oder Gwen Harwood (1920 - ) gesehen, nachdem gerade in diesem
2. Kapitel viele wichtige, in der deutschen Anglistik noch kaum
rezipierte Namen auftauchen.
Auch auf dem für die Auswahl auf knappem Raum nicht minder schwierigen
Feld der amerikanischen Gegenwartsliteratur und der ethnischen
Literaturen wird der erkennbare Anspruch, die Kanondiskussion der
letzten Jahre in die Autorenauswahl einzubeziehen, nicht ganz
erfüllt.[4] So hätte man, dies nur als Beispiel, in der amerikanischen
Literatur gerne auch Marge Piercy (1936 - ), in der Literatur der
Indianer Gerald Vizenor (1934 - ), bei der mexikanisch-amerikanischen
Literatur Sandra Cisneros (1954 - ) oder Ana Castillo (1953 - ), sowie
in der osteuropäisch-amerikanischen Literatur eine Autorin aus dem
Band How we found America[5] erwartet.
Der zweite Punkt der Problematik liegt in der Anordnung der
Autorenlisten. Die Ordnung der Autoren nach dem Geburtsjahr erschwert
die Benutzung erheblich, da ein Autorenregister fehlt und ein Umweg
über biobibliographische Lexika gewählt werden muß, bevor der Autor
gefunden oder vermißt wird. Die Listen selbst sind trotz der
geschilderten Desiderata von hohem Wert.
Die dritte Überlegung gilt der Zielgruppe des Buches: Es erscheint,
wie schon oben bemerkt, weniger für den Studenten geeignet zu sein als
für den Dozenten oder den Bibliothekar, dem es für die Titelauswahl in
der Gegenwartsliteratur oder die Sichtung der Bestandstiefe gute
Hinweise geben kann. Der eigentliche Nutzen des Bandes für den
Studenten liegt, so die zusammenfassende Bewertung, in den im Vorspann
bzw. am Ende der jeweiligen Abschnitte genannten Sekundärmaterialien
und Anthologien. Denn wenn auch kleine Ergänzungen nötig sind, stellen
diese Hilfsmittel und Überblicke sowie die Anthologien[6] bereits jetzt
eine brauchbare, mit kundiger Hand getroffene und bibliographisch
meist korrekte[7] Auswahl der wesentlichen Literaturgeschichten, Lexika
und Forschungsberichte des Faches dar. Damit der Band allerdings die
immer noch bestehende Lücke bei den bibliographisch orientierten
deutschsprachigen Einführungen zur anglistischen Literaturwissenschaft
schließen kann, wären in einigen Punkten noch Erweiterungen nötig: Da
bei den Allgemeine(n) Hilfsmittel(n) und Überblicke(n) praktisch nur
Literaturgeschichten und Lexika genannt sind, wäre die Aufnahme der
einschlägigen Werke von Fabian[8] oder Hanowell[9] bei eventuellen
Neuauflagen zu überlegen. Zu denken wäre auch an die Berücksichtigung
grundlegender bibliographischer Einführungen, wie etwa die von
Bracken[10] und Harner.[11] Das zur "Ergänzung der vorliegenden
Auswahlbibliographie" angefügte Werk von Kranz[12] ist für diesen Zweck
kaum brauchbar, da es in seinen Annotationen nicht präzis genug, in
seiner fast völligen Vernachlässigung der englischen Literatur
außerhalb Großbritanniens und der USA, sowie der Nichtberücksichtigung
der überseeischen Varianten des Englischen thematisch unausgewogen und
stellenweise nicht sorgfältig genug gearbeitet ist.
Was die Lücken in den einzelnen Gebieten und in der Sekundärliteratur
betrifft, können aus Platzgründen hier nur einige, jedoch
unverzichtbare Titel aufgeführt werden.[13]
Sebastian Köppl
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