Seemanns kleines Kunstlexikon enthält knapp 3000 Einträge aus allen Bereichen der Kunst (Architektur, Plastik, Malerei, Graphik, angewandte Kunst) mit Schwerpunkt auf der europäischen Kunstgeschichte. Anders als Seemanns Lexikon der Architektur ist es allerdings als reines Sachlexikon konzipiert. Als Materialbasis konnte das im selben Verlag veröffentlichte Lexikon der Kunst in 7 Bd. herangezogen werden, dessen Abschluß vorstehend angezeigt wurde. Auch hier ergänzen Graphiken und Abbildungen die Einträge in erforderlichem Umfang. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß die Artikel des Kunstlexikons in ihrer Qualität homogener sind als die des Architekturlexikons aus demselben Verlag. Sie zeichnen sich durch Sachbezogenheit in komprimierter Form aus und bringen auf vergleichbarem Raum ein Vielfaches an Informationen; als Beispiel stelle man nur die Einträge unter Gotik aus beiden Nachschlagewerken einander gegenüber. Bereiche, zu denen man in einem Speziallexikon aussagekräftigere Ausführungen erwartet hätte, sind im Kunstlexikon sogar umfangreicher, informativer und zudem gegenwartsbezogen abgehandelt; exemplarisch können hier die Artikel unter Denkmalpflege verglichen werden. Der Definition - wo notwendig auch mit kurzem Hinweis zu Begriffsbildung und Begriffswandel - folgt oft ein historischer Überblick unter Nennung wichtiger Werke; der Verweisungsapparat ist angemessen ausgebaut. Insgesamt überzeugt Seemanns kleines Kunstlexikon unter den Nachschlagewerken dieser Größenordnung; es dient nicht nur Kunstinteressierten, sondern kann auch darüber hinaus schnelle und handliche Nachschlagehilfe sein. In vieler Hinsicht macht es Seemanns Lexikon der Architektur überflüssig, selbst wenn ihm die dort enthaltenen biographischen Artikel fehlen. Dieser Verzicht muß dabei nicht unbedingt ein Nachteil sein, sondern kann auch als klar umrissene und konsequente Entscheidung zugunsten größeren Umfangs und größerer Vielfalt der Sacheinträge positiv gewertet werden.
Das gerade besprochene Seemann-Lexikon tritt in unmittelbare Konkurrenz zu dem Klassiker unter den deutschen einbändigen Kunstlexika, dem 1939 von Johannes Jahn begründeten Wörterbuch der Kunst, das - fortgeführt von Wolfgang Haubenreißer - 1995 in 12., erw. Aufl. erschienen ist. Es enthält ebenfalls rund 3000 Artikel zu allen Bereichen der Kunst, wiederum mit Schwerpunkt bei der europäischen Kunst, doch berücksichtigt es im Gegensatz zur Konkurrenz Personen. Bei den Sachbegriffen ist eine zeitliche Begrenzung und Einschränkung bis einschließlich der klassischen Moderne deutlicher als beim Seemann-Lexikon, das durchaus auch jüngere Kunstrichtungen behandelt. Im Jahn erfahren dagegen ikonographische Begriffe vergleichsweise stärkere Berücksichtigung; auch die Bereiche Restaurierung und Denkmalpflege sind breiter vertreten, im Vergleich zu den Vorauflagen wiederum aktualisiert und ergänzt. Insgesamt entspricht das Spektrum nach wie vor stärker traditionellen Bedürfnissen des Fachs Kunstgeschichte; nach wie vor dürfte denn wohl auch der primär anvisierte Benutzerkreis bei Studenten der Kunstgeschichte liegen. Die Einträge des Jahn sind von gewohnter Prägnanz. Was sie gegenüber fast allen kleineren Lexika einschließlich des Seemann-Lexikons auszeichnet, ist der kleine bibliographische Apparat, schließen doch die Artikel mit Literaturhinweisen, die sich nicht nur auf die Nennung einzelner neuerer Titel beschränken, sondern in geraffter Kürze herausragende Literatur seit Ende des 19. Jh. im Überblick bringen. Sie machen schließlich auch die Personeneinträge erst interessant, indem sie einen schnellen und unkomplizierten Zugriff auf Werkausgaben und Standardliteratur erlauben. Dies alles in einem nach wie vor kleinformatigen, wenn auch deutlich umfangreicher gewordenen, aber im Vergleich immer noch handlichen Nachschlagewerk unterzubringen, gelingt nur durch den bereits den Vorauflagen eignenden Verzicht auf Abbildungen und der auf das Allernotwendigste reduzierten Beigabe von schematisierten Zeichnungen.
Unter den handlichen Lexikonbegleitern haben sowohl das Seemann-Lexikon als auch der Jahn ihren Platz: Seemanns kleines Kunstlexikon wendet sich nicht zuletzt wegen der Illustrationen eher an den Kunstinteressierten, das Wörterbuch der Kunst dagegen insbesondere an den Studenten, dem es als Einstieg in die Kunstgeschichte dienen kann.
Angela Karasch
Die Bezeichnung von Reclams Künstlerlexikon als 2. Aufl. stimmt nur
dann, wenn man lediglich die Ausgaben im Reclam-Verlag zählt, in dem
1979 die 1. Ausg. unter dem vorliegenden Titel erschien, während die
eigentliche 1. Aufl. bereits 1961 im Francke-Verlag u.d.T. Kleines
Künstlerlexikon vorgelegt worden war. Da der Autor 1988 verstarb,
wurde die allfällige Überarbeitung, d.h. Fortschreibung der Artikel
und Aufnahme von ca. 380 neuen Artikeln (Zahl lt. Vorwort), durch die
Redaktion bzw. die nun an zweiter Stelle genannte Verfasserin
vorgenommen. Einige wenige Artikel sind auch ganz weggefallen.
Insgesamt sind lt. Waschzettel ca. 4700 Künstler (und Künstlergruppen)
aller Epochen, Nationen und Kunstgattungen berücksichtigt, wobei der
Zuwachs bei den Künstlern der Gegenwart am deutlichsten ausfällt; auch
außereuropäische Künstler, insbesondere solche der Moderne, sind gut
berücksichtigt. Was die Auswahl der Namen betrifft, so nannte das
Vorwort zur 1. Aufl. "die Beschränkung auf ... eine kritisch-strenge
Auswahl", d.h. "auf die Künstler ..., die den Kunstfreund im deutschen
Sprachraum interessieren". Ein Vergleich mit gängigen
deutschsprachigen Kunstlexika[3] ergab, wie vage Auswahlkriterien bei
der riesigen Menge der potentiell zu berücksichtigenden Künstler
letztlich sind: der als "Hauptquelle" genannte Thieme/Becker[4] wurde
erst gar nicht zur Überprüfung herangezogen.
Das Layout wurde, unter Beibehaltung des Formats, modernisiert und der
frühere feste Einband durch eine Broschur erstzt, deren Klebebindung
der zu erwartenden Benutzung nicht lange standhalten wird. Die Auswahl
der relativ wenigen Abbildungen ist zwangsweise so willkürlich, daß
diese nichts Wesentliches beitragen.
Die fast identische Seitenzahl beider Auflagen (die neue hat sogar 4
S. weniger) bei gleichzeitiger Vermehrung der Artikel wurde durch den
Wegfall der in der Vorauflage noch zitierten Forschungsliteratur
möglich. Diese Entscheidung bekommt dem Werk allerdings nicht: da die
Artikel insgesamt sehr knapp sind - für mehr als Lebensdaten,
Wirkungsorte, eine Charakterisierung und Einordnung, die in der Regel
nicht mehr als einen Satz umfaßt, sowie eine kurze Liste der
Hauptwerke mit Standort ist kein Platz -, wäre man für jeden Hinweis
auf weiterführende Literatur dankbar. Da jedoch die Literaturangaben
bereits in der 1. Aufl. wenig zahlreich waren, auch nicht immer dem
damaligen aktuellen Stand entsprachen und zudem in der
bibliographischen Beschreibung gelegentlich bis zur
Informationslosigkeit verkürzt waren (nicht einmal Werkausgaben waren
als solche zu erkennen, es sei denn, man erkannte bereits die
Verfasser als diejenigen einer Werkausgabe), war es sicher der klarste
und zugleich bequemste Weg, diese Angaben in der 2. Aufl. gänzlich zu
streichen.
Welcher Informationsverlust damit allerdings eingetreten ist, wird
augenfällig, wenn man die Artikel in Reclams Künstlerlexikon mit den
bibliographisch ergänzten Artikeln im weiter unten besprochenen
Wörterbuch der Kunst von Jahn/Haubenreißer vergleicht. Ist im ersten
Fall nun der schnelle Zugriff auf Informationen über das Gesamtwerk
eines Künstlers, besonders wichtige Forschungsansätze usw. verloren,
bietet dies der Jahn mit seinen Literaturhinweisen in sinnvoll
abgekürztem Überblick. In der kontinuierlichen Fortschreibung auch des
bibliographischen Apparates zeigt sich auf unspektakuläre und damit
leider auch schnell zu übersehende Weise ein gutes Stück bester
lexikographischer Leistung des Jahn, dem man unter den Handlexika
nicht genug Wertschätzung zollen kann. Gleichwohl macht dieses Urteil
Reclams Künstlerlexikon nicht überflüssig, bietet doch der Jahn
innerhalb des klassischen Fachspektrums nur eine Auswahl
biographischer Artikel, die rein quantitativ nicht mit Reclams
Künstlerlexikon konkurrieren kann. Auch hinsichtlich des zeitlichen
Rahmens liegen die Schwerpunkte unterschiedlich, da Reclams
Künstlerlexikon relativ breit auch Künstler der Gegenwart
berücksichtigt. Beide Lexika ergänzen sich also mit unterschiedlichen
Qualitäten im Bereich der Künstlerbiographie. Zur Information über
Sachen und Personen aus Kunst und Architektur reicht dagegen für einen
eher klassischen Kanon oftmals schon das Wörterbuch der Kunst.
Umgekehrt machen die wenigen Sachbegriffe (es handelt sich zumeist um
Stilbegriffe), die auch Reclams Künstlerlexikon verzeichnet, dieses
noch nicht zu einem vollgültigen Kunstlexikon. Für die Sachartikel muß
Seemanns kleines Kunstlexikon oder eben das Wörterbuch der Kunst
herangezogen werden. Dieses sind die Werke, welche die als Zielgruppe
von Reclams Künstlerlexikon anvisierten "Kunstfreunde ..., die für
ihre Handbibliothek nicht das vielbändige Spezialwerk und doch mehr
als eine Namensliste wünschen" (Waschzettel) zur Ergänzung heranziehen
müssen. Evtl. besitzen diese aber auch bereits eines der weiter oben
genannten Lexika. Für Bibliotheken, die diese mit Sicherheit besitzen
und die "vielbändigen Spezialwerke" natürlich auch, ist der Band
entbehrlich.
Angela Karasch / sh
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