Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist die unter Historikern bis in die jüngste Zeit immer wieder diskutierte Frage nach den Ursachen der französischen Revolution, nach dem Zusammenhang zwischen philosophischer Aufklärung und politischer Entwicklung. Darnton geht diese Frage konsequent unter dem Blickwinkel der Buchgeschichte als Kommunikationsgeschichte an. Das Buch, seine Herstellung und noch mehr seine Verbreitung sind daher die zentralen Momente der Darstellung. Darnton warnt allerdings auch davor, mit modernen Vorstellungen eine Kausalkette von Ursache und Wirkung zu schaffen, an deren Ende der Sturz des ancien régime stand. Nur die Erforschung der Verbreitung kann mit relativer Sicherheit darüber Auskunft geben, wieweit die Wirkung der Aufklärung, und nicht nur der "großen" Autoren, reichte. Darntons Auswertung beruht zunächst auf den Papieren der Societé Typographique de Neuchƒtel, die ergänzt werden um eine Liste der Pariser Zollbehörden, eine Liste von Beschlagnahmungen bei Polizeikontrollen in Buchhandlungen in Paris, Straßburg, Caen, Lyon, Versailles für die Jahre 1773 - 1783, sowie 6 illegale Kataloge philosophischer Literatur. Daraus ergibt sich ein repräsentativer Bestand an Titeln, der nicht zuletzt durch die Zahl der Beschlagnahmungen erkennen läßt, daß es nicht immer eine klare Trennung zwischen legaler und illegaler Literatur gab.
Die Verleger und Buchhändler bedienten sich vor allem bei der Bestellung der begehrten philosophical books einer Tarnsprache. Mit speziellen Transportwegen, aber auch Bestechungen von Zöllnern und Zensoren, die aus legalen wertvollen Prachtausgaben bestehen konnten, wurde versucht, das Risiko von Haussuchungen, Beschlagnahmungen und direkten Bestrafungen so gering wie möglich zu halten. Die Verrechnung erfolgte im Tauschverkehr, wobei sich besondere Tauschraten für gefragte Titel ergaben, die natürlich auch auf die Preise durchschlugen. Bei allen Risiken blieben die Preise im Verhältnis zur Kaufkraft erschwinglich. Gerade der Tausch schuf einen ziemlich einheitlichen Fundus von Titeln, die über den Buchhandel verfügbar waren. Dieser Aspekt des Tauschhandels ist um so interessanter, als sich gerade in dieser Zeit in Deutschland der Übergang vom Tausch- zum Barverkehr im Buchhandel vollzog. Da diese Titel nicht offen feilgeboten werden konnten, wurden sie, um einen Terminus der Mangelwirtschaft vergangener Jahre zu verwenden, als "Bückware" gehandelt, neben den offiziellen Katalogen der Verleger und Buchhändler zirkulierten außerdem illegale Kataloge, die nur diese Literatur verzeichneten.
Darnton hat aber nicht allein die Akten studiert, er kennt auch diese facettenreiche Literatur und leitet aus dieser Kenntnis einige prinzipielle inhaltliche Überlegungen ab. So sieht er in den Attacken auf die Religion ebenso wie in den sogenannten pornographischen Schriften das Fortleben älterer literarischer Traditionen, für die Namen wie Boccaccio, Aretino und Rabelais stehen, dazu die spezielle französische Neigung für Zweideutigkeiten. Interessant ist die enge Wechselbeziehung zwischen Literatur und Buchillustrationen, die sich in einer voyeuristischen Sicht manifestiert: die Vorgänge werden geschildert aus der Sicht des Beobachters am Schlüsselloch oder hinter Vorhängen, Spiegelszenen in Illustrationen vermögen die gewünschten Effekte noch zu erhöhen.
Philosophische Abhandlungen umfaßten sowohl theoretische Ausführungen
als auch allgemeine Werke, die Mißstände kritisierten, ohne daß sie
ausgesprochen religiös oder politisch oder pornographisch waren.
Pornographie, ein Begriff, den es im 18. Jahrhundert so nicht gab,
wird bei Darnton eher als Metabegriff für die verschiedenen
Ausprägungen erotisch gefärbter Literatur denn als eine Wertung
verwendet. Knapp und deutlich setzt er sich dabei gegen die prüden
Tendenzen des 19. Jahrhunderts ab, deren Reinheitsgebot auch vor den
Klassikern nicht halt machte und in denen Bibliothekare diese Texte
unter Verschluß nahmen: "Strictly speaking, pornography belonged to
the bowdlerization of the world undertaken in the early Victorian era"
(S. 88). Diese Ausführungen über ein Gebiet, das nicht nur bei
Sammlern, Bibliographen und Bibliothekaren Interesse findet, sollten
angesichts immer wieder aufflammender Diskussionen dazu ebenso
sorgfältig gelesen werden wie z.B. das Buch von Jean Marie Goulemot.[3]
Zu den Schlüsseltexten, die sowohl aufklärerisch-philosophisch als
auch erotisch wirkten, rechnet Darnton die 1748 erschienene ThérŠse
philosophe,[4] mit der die Phase libertinärer Literatur in Frankreich
eingeleitet wurde, an deren Ende der Marquis de Sade stand. Neben
diesen Texten finden sich auch utopische Phantasien wie L'An 2440 von
Louis-Sebastien Mercier (1771), in denen sich in die Visionen einer
neuen Gesellschaft auch Momente mischen, die den heutigen Leser an
George Orwell erinnern.
Politische Bücher, die rund 26% der verbotenen Titel ausmachten,
behandelten in der Regel laufende Ereignisse, aber auch das Schicksal
der Gefangenen in der Bastille, die als Ort des Schreckens mit einem
Hauch des zeitgenössischen Schauerromans versehen wurde. Eine andere
Kategorie waren die Werke der libellistes, die ihren Stoff vom
Insiderklatsch erhielten. Ihre Schriften, die sich als zeitgenössische
Geschichte oder Biographie tarnten, trugen nicht wenig dazu bei, das
Königtum Ludwigs XV. und Ludwigs XVI. in Mißkredit zu bringen, Zweifel
an seiner Legitimation zu nähren und es auszuhöhlen. Die Beispiele
sind durchaus vergleichbar mit jenem publizistischen Coup von 1688 in
England, als der Thronerbe James' II. als das untergeschobene Kind
eines Müllers bezeichnet und damit die herrschende Stuart-Monarchie so
nachhaltig diskreditiert wurde, daß es zum unblutigen Machtwechsel
- der "Glorreichen" Revolution von 1688 - kam.
In einem zweiten Teil bringt Darnton ausführliche Auszüge eigener
Übersetzungen von ThérŠse philosophe, Merciers L'An 2440 und Anecdotes
sur la Mme la Comtesse du Barry (1775) als Beispiele sogenannter
philosophischer Bücher.
Im Begleitband, The Corpus of clandestine literature in France, 1769
- 1789, wird zunächst eine alphabetisch nach Titeln geordnete und
bibliographisch verifizierte Grundliste von 720 verbotenen Büchern mit
den Belegen aus Katalogen und Beschlagnahmeprotokollen aufgeführt. Auf
ihrer Basis erstellt, folgt dann eine Liste von 74 Büchern, die am
meisten gefragt waren. An ihrer Spitze steht Merciers L'An 2440, an
letzter Stelle die Erzählungen La Fontaines. An der Spitze der
Autoren, deren Werke besonders gefragt waren, steht Voltaire, gefolgt
von Holbach. In der Aufteilung der gefragten Literatur nach
Sachgebieten steht die Politik mit 29,5% an der Spitze, wobei
innerhalb dieser Gruppe Schmähschriften und Satiren auf höfische
Verhältnisse fast die Hälfte ausmachen. Es folgt, fast gleichauf, die
Religion mit 29,4%, allerdings mit solchen Untergruppen wie Satiren,
Polemiken (11,4%) und antireligiösen und pornographischen Schriften
(8%). Mit sex klassifizierte Schriften kommen auf 12,9%.
Das Titelmaterial wird darauf nach den Buchhändlern gruppiert, die
verbotene Literatur bestellten. Die geographische Streuung der Firmen
und ihre Bestellungen zeigen, daß es dabei keine wesentlichen
regionalen Unterschiede gab, "The same general corpus of forbidden
books penetrated every corner of the kingdom" (S. 212).
Es folgt eine Liste der heimlichen Kataloge von Firmen in Genf,
Lausanne und Bern, dazu die ausführliche Wiedergabe eines
handschriftlichen Kataloges der Societé Typographique de Neuchƒtel aus
dem Jahre 1775 mit Ergänzungen von späterer Hand. Ebenfalls mit Titeln
genannt werden die bei Polizeirazzien und bei Zollkontrollen in Paris
beschlagnahmten Werke. Für die praktische Arbeit ist es allerdings
nachteilig, daß die Grundliste nicht durch ein Register der Autoren,
Herausgeber, Bearbeiter usw. erschlossen wird.
Darnton breitet vor dem Leser - und das Buch verdient es, gelesen und
nicht nur als Informationsmittel genutzt zu werden - eine Fülle von
Fakten aus, ohne in ermüdende Faktenhuberei und Detailverliebtheit
abzugleiten. Er setzt den Vertrieb des klandestinen Buches in
Beziehung zur französischen Geschichte und Literatur, reflektiert
seinen Aussagewert im damaligen Kontext und aus heutiger Sicht. Aus
den Fakten ergibt sich auch, einem Mosaik gleich, das Bild der
alltäglichen Arbeit der Verleger und Buchhändler, die in einer
juristischen Grauzone arbeiteten und, auch das verschweigt oder
beschönigt Darnton nicht, natürlich Geld verdienen wollten. Mit
wissenschaftlicher Exaktheit, aber, wie es die übersetzten Auszüge im
ersten Band verraten, wohl auch mit einem gewissen inneren Vergnügen,
widmet er sich den "Niederungen" des Buchwesens, der Literatur und
Publizistik und zeigt schlüssig, wie dieser Bereich zur Erosion und
letztlich zum Sturz des französischen Königtums beitrug.
Die Materialfülle verbietet es von selbst, daß Darnton auch den Blick
auf außerfranzösische Vorgänge wirft. Dafür sind viele seiner
Erkenntnisse selbsterklärend wie etwa im Falle des Verschwindens des
fiktiven Impressums Pierre Marteau[5] in französischen Schriften, im
Unterschied zu Deutschland, wo es als Peter Hammer zu dieser Zeit noch
immer in Blüte stand - daß hierunter eine Reihe der verbotenen und bei
Darnton aufgeführten Titel in deutscher Übersetzung erschienen, sei
nur am Rande bemerkt. Für die Forschungen zur Aufnahme französischer
Literatur des 18. Jahrhunderts in Deutschland ergeben sich neue
Impulse, denn die Existenz größerer Mengen dieser Literatur in
Bibliotheken, deren Bestände auf Schloß- und Hofbibliotheken
zurückgehen, deutet auf ein nationale Grenzen überspringendes
Vertriebsnetz subversiver Literatur außerhalb der offiziellen und
kontrollierbaren Kanäle hin. In diesem Zusammenhang dürfte ein
erneuter Blick in das Standortverzeichnis der Französischen Drucke des
18. Jahrhunderts in den Bibliotheken der Deutschen Demokratischen
Republik[6] aufschlußreich sein. Begleitende Forschungen in deutschen
Archiven lassen weitere relevante Funde zum Vertrieb dieser Literatur
in Deutschland erwarten. Das Werk sollte daher schon aus methodischen
Gründen in keiner Bibliothek mit umfangreicheren älteren Beständen
fehlen.
Karl Klaus Walther
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