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Für ihre Bibliographie Gustav Theodor Fechner konnte Irene Altmann für
die Primärliteratur auf das Chronologische Verzeichnis der Werke und
Abhandlungen G. Th. Fechners von Rudolph Müller[2] zurückgreifen, das
sie "überarbeitet und präzisiert" hat. In manchen Punkten vielleicht
etwas zu wenig, wenn man Fechners Mitarbeit am Conversationslexicon
der neuesten Zeit und Literatur betrachtet, nach Altmann 1833
erschienen (richtig: 1832 - 1834), oder das Conversations-Lexikon der
Gegenwart, nach Altmann (ohne Angabe der Bandanzahl) im Jahr 1838
erschienen (richtig: [März] 1838 - [Juli] 1841, 4 Bd. in 5). Nähere
Angaben zu Fechners Mitarbeit sucht man leider vergebens. Obwohl die
Bibliographie auf Autopsie beruht, ist sie vielfach reichlich ungenau.
Beim Hauslexicon : vollständiges Handbuch praktischer
Lebenserkenntnisse für alle Stände, 1834 - 1838 in 8 Bd. erschienen,
sucht man die Angabe der römischen Seiten am Beginn des ersten Bandes
vergebens, obwohl sich gerade in diesen das von Fechner (auf Seite VI)
unterzeichnete Vorwort findet. In dankenswerter Weise hat Frau Altmann
die Mikrofiche-Ausgaben von Fechnerschen Schriften im Saur-Verlag (S.
63 - 65) nicht vergessen, ohne freilich mitzuteilen, daß diese
innerhalb der Bibliothek der deutschen Literatur[3] erschienen sind und
man sie in dieser Sammlung nur dann leicht findet, wenn man die
Fiche-Nummern kennt, die hier, ebenso wie die ISBN, fehlen. Schade,
daß bei der Erwähnung der Originalausgabe der Leser nicht bereits auf
die immerhin leicht zugängliche Mikrofiche-Ausgaben hingewiesen wird.
Warum man bei der Primärliteratur nur manchmal, insgesamt aber eher
selten, Angaben zu Rezensionen findet, bleibt unerklärlich. Der erste
Eindruck, der dadurch dem Leser vermittelt wird, nämlich, daß
"zumeist" keine und nur in ganz seltenen Fällen zeitgenössische
Besprechnungen der Werke Fechners erschienen sind, ist auf jeden Fall
unrichtig, wenn man bedenkt, wie häufig sich die Kritiker allein des
Hauslexikons angenommen haben.[4] Mit einiger Berechtigung hat Frau
Altmann die 3. Aufl. des Hauslexikons (1858 - 1862, Bd. 1 - 6) in ihre
Bibliographie nicht mehr aufgenommen, da sie von Heinrich Hirzel in
größeren Teilen kräftig umgekrempelt wurde. Es würde sich gewiß
lohnen, in einer eigenen Untersuchung zu ermitteln, inwieweit auch
noch in der 3. Aufl. Fechnersche Texte weiterverwendet wurden. Auch
darüber, ob Altmann das Neue Hauslexikon hätte erwähnen sollen, könnte
man streiten. Dieses zwischen 1840 und 1860 bei C. B. Polet in Leipzig
erschienene Werk stützt sich zumindest am Anfang recht unverschämt auf
die 1. Ausg. des Hauslexikons. Fechner persönlich hätte sich
zweifellos dagegen verwahrt, das Poletsche Teilplagiat in seiner
Bibliographie zu finden, da es qualitativ weit hinter dem Vorbild
zurückbleibt.
Was die Sekundärliteratur betrifft, so wird wohl niemand ernstlich
erwarten, daß es gelungen ist, jede einzelne Auseinandersetzung mit
der Ideenwelt Fechners zu erfassen. So sollte man Frau Altmann
einzelne Lücken[5] nicht allzusehr anlasten. Wer weiterführende
Literatur zu Fechner sucht, wird mit immerhin nicht weniger als 456
Nummern bedient.
Hans-Jürgen Arendt hat sich eines in der einschlägigen
Sekundärliteratur bis heute fast unbeachtet gebliebenen und damit
besonders wenig erforschten Allgemeinlexikons angenommen, nämlich des
Fechnerschen Hauslexikons[6] und liefert damit zugleich einen Beitrag
zur Erforschung "unterliterarischer Texte" bzw. der
"Infraliteratur".[7]
Neben den beiden Lexikongiganten Brockhaus und Meyer sowie dem
vergleichsweise ein Schattendasein führenden Pierer (und deren mehr
oder weniger plumpen Nachahmungen) konnte von vorne herein nur ein
Werk mit einer besonderen Schwerpunktsetzung Aussicht auf Erfolg
haben. Das Hauslexikon, eine alphabetisch geordnete Sammlung von
Artikeln zu haus- und landwirtschaftlichen, ökonomischen und
medizinischen Themen, sollte sich als Haus- und Familienbuch
unentbehrlich machen und seinen Platz nötigenfalls neben einem
Vertreter der vorhin genannten Lexikontrias behaupten. Der Verleger,
Hermann Härtel, war eine bedeutende Verlegerpersönlichkeit, und unter
seiner Patronanz wurde das Hauslexikon keineswegs eine geistlose
Kompilation und ein flüchtig zusammengestoppeltes Sammelsurium Marke
Billigsdorfer, wie dies bei vielen literarischen Produktionen, die für
eine breite Masse gedacht waren, der Fall war. Das praktische
Realienwissen wurde von den traditionellen Bildungsinstitutionen etwas
vernachlässigt, und diese Lücke suchte Härtel mit einem achtbändigen
Werk zu füllen. Als Redakteur engagierte er keinen geringeren als
Gustav Theodor Fechner, der später (1860) das Webersche zum
Weber-Fechnerschen Gesetz erweitern sollte und als der oder zumindest
als einer der Begründer der experimentellen Psychologie angesehen
wird.
Arendt zeichnet die Entstehungsgeschichte des Lexikons nach und geht
mit großem erzählerischem Geschick auch auf Fechners Persönlichkeit
und seine freundschaftliche Beziehung zu dem Verleger Hermann Härtel
ein. Fechner war für seine wissenschaftliche und literarische
Doppelbegabung bekannt, und davon ließ sich Arendt offensichtlich
beflügeln: Er schuf mit dem vorliegenden Werk kein schwer verdauliches
Wissenskonzentrat, sondern ein flüssig geschriebenes und spannend zu
lesendes Buch, für das er in akribischer Kleinarbeit recherchierte.
Damit leistet er auch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge.
Arendts Werk hätte sich wahrlich ein besseres Gewand verdient als das
eines thermogebundenen ephemeren Skriptums, das sich nur mit Mühe
öffnen und aufgrund der ungleichen Blattgröße oft nur schwer
umblättern läßt.
Daß sich einige kleinere Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, sei nur
am Rande bemerkt, der günstige Gesamteindruck wird dadurch nicht
gestört.[8] In dankenswerter Weise hat der Verfasser ein wenig Licht in
das Dunkel der Affaire gebracht, die durch die Herausgabe eines
Plagiates durch den Verlag von Christian Benjamin Polet entstand. Der
gegenwärtige Stand der Ermittlungen in dieser Angelegenheit ist
freilich noch lange nicht befriedigend. Der Rezensent besitzt ein
Exemplar des Polet-Lexikons, das in seinen späten Bänden, die nicht
1858, sondern 1860 erschienen sind und ausdrücklich als dritte Auflage
bezeichnet werden, keineswegs als Plagiat des bei Breitkopf & Härtel
erschienenen Lexikons anzusehen ist. Dies kann als weiterer Beweis
dafür gelten, wie wenig die Geschichte der Allgemeinlexikographie des
19. Jahrhunderts noch erforscht ist. Umso wichtiger ist Arendts
Beitrag zu diesem interessanten Thema.
Otmar Seemann
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