Von seiner Konzeption her betrachtet, ist der Band freilich eher ein Zwitter: Als idealen Leser stellen sich die Verfasser einen "Buchfreund" und "neugierigen Grenzgänger" vor (S. 11), der sich, ohne Vorkenntnisse mitzubringen, ein Kapitel vornimmt und je nach Interesse von der Schriftentstehung zum "räuberischen Nachdruck" oder von der Buchmalerei zur "Lesewut" hinüberwechselt. Andererseits ist Das Buch vom Buch, wie im Vorwort betont wird, auch ein "Bilderbuch". Die Fülle der Abbildungen und die hohe Qualität der Reproduktion werden den Buchfreund ohne Zweifel dazu anregen, den Band als coffee-table book bereitzuhalten, in dem man blättern kann, ohne sich der Mühe der Lektüre unterziehen zu müssen.
Das weite Feld der Buchgeschichte von den ersten Zeugen der Bilderschrift bis zu den Literaturpreisen unserer Tage haben die Verfasser in überschaubare Epochen gegliedert, in deren Rahmen sie die für die Zeit charakteristischen buchtechnischen und buchkünstlerischen Neuerungen und Leistungen geschickt akzentuieren und gewichten. Die durchweg nationale Grenzen überschreitende Betrachtung des historischen Phänomens Buch wird angesichts der verfügbaren Materialfülle für das 20. Jahrhundert auf die Darstellung der innerdeutschen Entwicklungen beschränkt.
Obwohl Janzin und Güntner im Vorwort versichern, es sei nicht ihre
Absicht gewesen, eine Buchkunde "in der Manier eines
Nachschlagewerkes" zu verfassen, wird der verständige Leser schon beim
ersten Anlesen bemerken, daß ihr Werk auf den Fundamenten der
einschlägigen buchkundlichen Monographien Karl Schottenlohers, Fritz
Funkes, Richard Mummendeys und anderer entstanden ist. Leider haben
sich die Verfasser nicht dazu durchringen können, ihre Sekundärquellen
aufzudecken. Sie setzen zwar Zitiertes in Anführungszeichen, weisen
aber kein einziges Zitat nach. Wie im populären Sachbuch heute üblich,
flechten sie die Aussagen anderer in die eigene Argumentation ein
("Mit dem Schriftforscher Harald Haarmann ließe sich resümieren: 'Die
Entwicklung des Alphabets von der phönizischen Buchstabenschrift zur
Lateinschrift war ein langwieriger Prozeß...'." S. 34). Wer sich nicht
darauf einläßt, Passagen zu überfliegen und im Text kreuz und quer zu
springen (wie im Vorwort empfohlen), wird bald auf Textpartien stoßen,
die er schon andernorts gelesen hat. Insbesondere aus den Münchner
Vorlesungen von Reinhard Wittmann[1] schreiben die Verfasser munter
Passage für Passage ab, ohne ein Gänsefüßchen zu krümmen. Nur
gelegentlich bemühen sie sich, ihre literarische Konterbande durch
syntaktische Retuschen zu camouflieren, wobei ihnen freilich auch
Sinnentstellungen unterlaufen.[2] In einer zweiten verbesserten Auflage
Des Buchs vom Buch, die wegen der noch zu erwähnenden Schludrigkeiten
dringend erwünscht ist, sollte Wittmann auf jeden Fall als Mitautor
auf dem Titelblatt stehen.
Ähnliches gilt für den Einbandforscher Manfred von Arnim. Sämtliche
ausführliche Bildlegenden zu den Abbildungen von neunzehn Einbänden
aus der Sammlung Otto Schäfer Schweinfurt sind wortwörtlich aus dem
Katalog Europäische Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten von 1992
abgeschrieben worden, doch ein Hinweis auf den Autor von Arnim findet
sich nirgends. Der Lederschnittband des Fahrenden Kremsmünsterer
Meisters wird in der Bildlegende zweimal "um 1443" datiert, im
Abbildungsverzeichnis dagegen korrekt (und nach von Arnim) "um 1435".
Bei von Arnim sind die Schnitte zweier barocker deutscher
Pergamenteinbände "blau gespritzt", nach Janzin und Güntner hingegen
"blau bespritzt" (S. 201).
Diskrepanzen zwischen Text, Bild und Legende treten indessen des
öfteren auf. Vergils cognomen wird gegen die Titelabbildung in
Bildlegende (S. 123) und Abbildungsverzeichnis kleingeschrieben
("Publii Virgilij maronis opera"). "Shakespeares 'First-Folio', 1623
erschienen" lesen wir in Bildlegende (S. 208) und
Abbildungsverzeichnis; abgebildet ist aber das Titelblatt eines nach
1640 erschienenen Nachdrucks der zweiten Folioausgabe von 1632
(revised STC 22274 e.3). Janzin und Güntner rühmen zu Recht Göschens
Quartausgabe der Sämmtlichen Werke Wielands auf "vorzüglichem
Velinpapier", reproduzieren aber kommentarlos Titelblatt und
Textbeispiel aus der wohlfeilen Oktavausgabe auf gräulichem
Druckpapier (S. 271). Die Transkription älterer Titel bereitet ihnen
große Mühe. Ramellis Le diverse et artificiose machine verwandeln sich
in Le diverse et articiose macchine (S. 237). In der Wortfolge
Catalogue Universali, Designatio (S. 472) ist der Meßkatalogtitel
Catalogus Universalis, Sive Designatio... (Abb. S. 168) kaum noch
wiederzuerkennen. Die Legende zu dem auf S. 248 abgebildeten
Titelblatt des ersten Bandes von Georg Christoph Hambergers Gelehrtem
Teutschland (Lemgo 1767) führt den Leser in die Irre: "Das Gelehrte
Teutschland, herausgegeben von Johann Georg Meusel [...]. Das
Schriftstellerlexikon zählte im Jahre 1762 etwa dreitausend Autoren".
Meusel setzte das Hambergersche Lexikon erst nach dessen Tod im Jahre
1773 fort.
Mit den Fremdsprachen stehen die Verfasser auf dem Kriegsfuß. Den
lateinischen Zweizeiler im Christophorus-Holzschnitt aus der Kartause
Buxheim haben sie frei "nach Meisner und Luther" (S. 104) übersetzt,
deren Gutenberg-Monographie aber weder im Abbildungs- noch im
Literaturverzeichnis auftaucht. Ludwig Hains Repertorium soll die Zeit
"ad arte typographica inventa useque ad annum MD" umfassen.
"Edingburgh", "Cambrigde", "Nieuwkopp" und "Montoype" sind typisch
deutsche Setzfehler, über die man hinweglesen sollte. Eine
Schriftgießerei ist allerdings keine "Type-Loundry" (S. 475 und 476),
sondern eine Type-Foundry, und eine Fünferlage im Folioformat ist in
der Druckersprache eine Quinternione und nicht ein männlicher
"Quinternio" (S. 111). Die 'livres de peintres' (Malerbücher) werden
durchweg als "livres des peintures" bezeichnet (S. 10, 428 f., 430).
Daß Pierre Philippe Choffard sich "besonders in der Illustration zu
Lafontaines 'Fermiers généraux'" einen Namen errungen habe (S. 259),
ist ein hübsches Märchen. Die Fermiers généraux (Generalpächter) waren
die Financiers der hochkarätigen Ausgabe der Contes et Nouvelles von
1762.
An vergleichbaren sachlichen Ungenauigkeiten mangelt es nicht. Wie man
eine "zweiseitig bedruckte Seite" (S. 111) erzeugt, bleibt das
Geheimnis der Verfasser. Die Monatsunterredungen, die Johann Rist
"1641/42 gemeinsam mit Erasmus Francisci" herausgebracht haben soll
(S. 228), sind nicht der Gattung der periodischen Zeitschrift
zuzurechnen. Als Gesprächsspiele stehen sie in der Tradition der
Dialogliteratur. Rist hat die ersten sechs Bände in großen Abständen
in den Jahren 1663 bis 1668 verfaßt, Francisci nach dessen Tod die
restlichen Stücke in den Jahren 1668 bis 1671. Das Noth- und
Hülfs-Büchlein für Bauersleute (nicht "Hilfsbüchlein") Rudolf
Zacharias Beckers ist keineswegs "der größte Verkaufserfolg von Georg
Joachim Göschen" (S. 242) gewesen. Göschen war nur für die erste
Auflage des ersten Teils von 1788, die aus den 30.000 subskribierten
Exemplaren bestand, als geschäftsführender Verleger verantwortlich.
Danach übernahm Becker das Verlagsobjekt und das verlegerische Risiko.
Die Fehldatierung "1787" (S. 242) geht auf Wittmann zurück. Hätten die
Verfasser ihren Gewährsmann Carl Berend Lorck genau gelesen, wäre
ihnen aufgefallen, daß nicht Augustus Applegath, sondern Robert Hoe
jun. und Peter Smith Hoe 1846 die epochemachende 'Lightning Press'
gebaut haben. Die Maximilian-Gesellschaft (S. 370) zählte nach ihrer
Gründung im Jahre 1911 nicht "etwa 350", sondern 107 Mitglieder. Die
in der Satzung festgelegte Obergrenze von 300 Mitgliedern wurde erst
im Jahre 1926 erreicht. Das "Signet William Caxton" (Abb. S. 150) ist
offensichtlich eine Nachahmung, die in keinem Detail mit den sechs
Zuständen der bekannten Druckermarke übereinstimmt. Die farbige
Abbildung aus Boners Edelstein von 1461 wird dem Gutenberg-Museum in
Mainz zugeschrieben, das jedoch überhaupt nicht über ein Exemplar der
Inkunabel verfügt.
Dem Band ist eine Liste einschlägiger Sekundärliteratur beigegeben,
die nicht "weiterführend", sondern weitgehend veraltet ist. Das
umfangreiche Register scheint mit einem nicht ganz ausgereiften
Programm generiert worden zu sein; es ist zudem mit Eingabefehlern
übersät. "Heinrich der Löwe" wird von "Heinrich von Bayern und
Sachsen, Herzog" getrennt, "La Fontaine" zwischen "Lautzeichen" und
"Laurentii" versteckt. William Thorowgood ist bei W zu finden, Virgil
Solis bei V. Den Kartographen "Dauckerts" sucht man vergebens in den
Fachlexika. "Meusebach, Freiherrn von" führt uns nicht zu einer
Adelsfamilie, sondern zu Jacob (nicht "Jakob") Grimms Briefpartner
Karl Hartwig Gregor von Meusebach, dessen Vornamen die Verfasser
unterdrücken. Luise Mejers und Thomas Harriots können ihr Endungs-s
getrost an Francis Quarle, Johann Conrad Hinrich und Ephraim Chamber
abgeben, Arthur Rüman (S. 468) und Max Herrman-Neisse haben dagegen
einen Anspruch auf ihr angestammtes Doppel-n.
Aufs Ganze gesehen haben die Autoren und nicht zuletzt der im
Impressum genannte Lektor dem Leser eine Menge Stolpersteine in den
Weg gelegt. Als Bilderbuch wird Das Buch vom Buch von selbst
reüssieren; als Buchgeschichte sollte man es freilich erst in der
zweiten gründlich überarbeiteten Auflage erwerben.
Horst Meyer
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