Die stattliche Seitenzahl des Bandes resultiert nicht aus der Vielzahl der Namen und Werke, die den Zeitraum nun einmal kennzeichnet, sondern aus einem durchaus mit dem Etikett "Weitschweifigkeit" zu belegenden Prinzip: "Die bedeutendsten Dichtungen [...] werden ausführlich nacherzählt und interpretiert, woran sich Hinweise auf die Umstände ihrer Entstehung knüpfen. Manches Geschichtliche, manches aus dem Leben und der Gedankenwelt der Autoren kommt dabei zur Sprache. Eingeflochten ist außerdem eine stattliche Zahl von Zitaten [...]" - In der Tat, es wird ausgiebig zitiert und dort, wo nicht zitiert wird, werden nach Kräften die Nacherzählungen der Texte mit solchen aus wenigen Titeln der Forschungsliteratur vermischt. Politik und Zeitgeschichte als Erklärungsfaktoren von Literatur kommen hingegen allzu kurz, zu schweigen von Themen wie Literaturkritik, Zeitschriften, Verlagswesen.
In vieler Hinsicht ist das Werk aus dem Lot: ängstliche Beschränkung auf die allergängigsten Schulautoren (Heimito von Doderer, der das Wesen der Erzählliteratur einmal dadurch bestimmt hat, daß sie nicht nacherzählbar sei, kommt konsequenterweise sowenig vor wie Hans Henny Jahnn); aus der DDR-Literatur fehlen die originelleren Köpfe, z.B. Johannes Bobrowski, Peter Hacks, Peter Huchel, Günter Kunert, Reiner Kunze, Erich Loest; allzuviel werkimmanente Interpretation, und zwar von der Art, wie sie Schüler und Studenten inzwischen ennuyiert, dagegen kein Blick darauf, wie Literatur mit Literatur zusammenhängt (vertane Beispiele: Bobrowski, Hacks).
Unbehagen bereitet vor allem dies: die gewollte Verknäuelung von langen Zitaten und ihrer auswalzenden Interpretation verlockt gerade nicht zum selbständigen Lesen der Werke, sondern suggeriert eher, man wisse nun Bescheid. Wie man es macht, ohne "Kompliziertheit und Weitschweifigkeit" knapp zu informieren und durch Kostproben zur eigenen Lektüre zu verlocken, das hat Reclam mit der Reihe Deutsche Literatur[1] gezeigt.
Hans-Albrecht Koch