Personalbibliographien : Heinrich BÖLL
Zu der Rezension des Bandes von Werner Bellmann Das Werk Heinrich Bölls : Bibliographie mit Studien zum Frühwerk (1995) in IFB 95-3-398 hat Viktor Böll in einem an den Rezensenten und "an die internationale Böll-Forschung" gerichteten Brief vom 9.1.1996 u.a. das im folgenden unter A Referierte ausgeführt. Unter B folgt eine kurze Stellungnahme des Rezensenten:
1. A. Es habe "wenig Sinn, mit Rezensenten zu streiten, die sich in einer Kontroverse einer Seite wohlwollend zuneigen und die andere erst gar nicht befragen."
1. B. Da V. Böll sich erklärtermaßen nicht vorstellen kann, daß eine Rezension ohne Befragung der einen und der anderen Seite zu einer Kontroverse Stellung nimmt, gibt seine Kritik in diesem Punkt nur die eigenen Vorurteile kund, ist also zu argumentativer Erwiderung nicht geeignet.
2. A. Der rezensierte Titel sei "das erste Ergebnis der Arbeit einer Forschungsstelle, die eingerichtet worden war, das Gesamtwerk Heinrich Bölls in einer Kritischen Edition vorzulegen ..."
2. B. Es ist die von V. Böll attackierte Forschungsstelle gewesen, die 1992 als ein Ergebnis ihrer Arbeit den Roman Der Engel schwieg aus dem Nachlaß veröffentlicht hat. Daß er dies verschweigt, ist die Art Polemik, die in der Rezension als "unfairer Hieb" bezeichnet wird, "der den nicht ehrt, der ihn führt."
3. A. "Im Rückentext der Bibliographie" heiße es: 'Vorgelegt wird ... die erste vollständige Bibliographie seiner [Bölls] veröffentlichten Werke [...]', tatsächlich gehe es aber "ausschließlich um den Versuch, das 'in Druckform vorliegende Werk' zu erfassen [...]".
3. B. Der vom Herausgeber zu verantwortende Text im Buch läßt keinen Zweifel, daß es sich um eine Bibliographie der gedruckten Veröffentlichungen handelt. Freilich hätte der Verlag dem Buch einen besseren Dienst getan, den Werbetext des Umschlags genauso sorgfältig zu formulieren wie der Herausgeber den seinen.
4. A. Die Bibliographie verspreche, "'sämtliche in Druckform publizierte Arbeiten des Autors - unabhängig von der Form der Veröffentlichung - chronologisch'" zu verzeichnen, gliedere aber stattdessen "'die Erstveröffentlichungen jedes Jahres unter gattungsspezifischen Aspekten'", um dem "'Benutzer Orientierungshilfe'" zu geben. Die Tatsache, daß die Bibliographie Erstdrucke chronologisch nicht nach dem Entstehungsdatum, sondern nach dem Erstdruckdatum verzeichne, widerspreche dem proklamierten Anspruch auf Dokumentation des Fortschreibungsprozesses des Werkes. Als Beispiel nennt V. Böll den 1949 entstandenen, aber erst 1992 postum publizierten Roman Der Engel schwieg.
4. B. Werner Bellmann beschreibt (S. 128) sein Vorgehen präzise (Ordnung zuerst nach Jahren, dann nach Gattungen, und zwar im Anschluß an die Unterscheidung der Textsorten in der von Bernd Balzer besorgten Böll-Ausgabe, drittens - soweit möglich - innerhalb der Gattungen wieder chronologisch). Ein Verfahren, das dem Befund angemessen ist und das dem Benutzer tatsächlich Orientierungshilfe bietet. Ja, der Roman Der Engel schwieg, hätte ohne die postume Veröffentlichung von 1992 in einer Bibliographie der gedruckten Werke Bölls gar nichts zu suchen. Seine frühe Entstehung hat eine Kritische Ausgabe in Einordnung und Kommentar zu behandeln, die Bibliographie hat - wie bei Bellmann geschehen - höchstens darauf hinzuweisen.
5. A. Die Bibliographie stelle den Fortschreibungsprozeß nicht dar, der zwischen den Titeln 52.32 und 53.17 bestehe.
5. B. Der Leser muß dies im Detail selbst durch Lektüre der Texte nachprüfen. Es handelt sich hier nun wirklich nicht um eine Fortschreibung, sondern um ein fragmentiertes Autoplagiat, das in einer kritischen Ausgabe kommentiert werden sollte, nicht aber in einer Bibliographie. - Im übrigen darf man den von H. Böll verwandten Begriff der "Fortschreibung" nicht so unkritisch verstehen, daß man das ganze Werk als ein durchkomponiertes Netzwerk nimmt und sich darüber täuschen läßt, wieviel der "Fortschreibung" einfach auf das Konto einer - auch durch die von H. Böll beauftragte Agentur gelenkten - Mehrfachvermarktung geht.
6. A. V. Böll kritisiert, daß das Titelregister der fiktionalen Texte die Gattungszugehörigkeit kennzeichnet, das Titelregister der nicht-fiktionalen Texte dies nicht tut.
6. B. Man kann darüber streiten, ob der zusätzliche Hinweis bei den fiktionalen Texten erforderlich ist. Nicht streiten kann man darüber, daß die Vielfalt der zu unterscheidenden Textsorten bei den fiktionalen Arbeiten weit größer ist als bei den nicht-fiktionalen, erstere im Zweifelsfalle des Zusatzes eher bedürfen. Es handelt sich um eine Quisquilie.
7. A. V. Böll bemängelt, daß das Namenregister sich nur auf den numerierten Hauptteil der Bibliographie bezieht, nicht jedoch auf die Teile II. (Gedruckte Briefe), III. (Interviews und Gespräche), IV. (Herausgegebene Titel) und V. (Übersetzungen).
7. B. Diese Kritik trifft uneingeschränkt zu. Der Mangel sollte in einer Neuauflage behoben werden. Ggf. könnten die nicht numerierten Partien durch Seitenverweis registriert werden, auch wenn das zu unschönen Registereinträgen führte, die zuerst Nummern, dann Seiten auflisten müßten. Freilich ist bei den ohnehin nach dem Alphabet der Partner geordneten Briefen der Informationsverlust gering.
8. A. Wie bereits in seiner (in der Rezension angeführten) Polemik in der Frankfurter Allgemeinen, listet V. Böll wiederum aus dem Irischen Tagebuch die einzelnen Kapitel auf und führt diejenigen an, die er im Register der Titel oder der Titelvarianten nicht findet.
8. B. Zum einen belegt diese Kritik, daß V. Böll das System von
Verzeichnung und Register nicht durchschaut (die von ihm u.a. als
"nicht nachgewiesen" angeführten Beispiele Blick ins Feuer und
Abschied stehen bei Bellmann auf S. 266 bzw. S. 277. Zum zweiten - und
das ist wichtiger - verwechselt V. Böll Vorabdruck und separate
Veröffentlichung auf der einen und Kapitel auf der anderen Seite.
Natürlich und richtigerweise verzeichnet die Bibliographie solche
Kapitel des Irischen Tagebuchs nicht als separate Veröffentlichungen,
die zum erstenmal in dem Buch gedruckt sind. Oder meint V. Böll, das
Irische Tagebuch sei eine reine Buchbindersynthese von
Einzelbeiträgen? Die Böll-Forschung zumindest hat dem Werk bisher die
Ehre angetan, es als Einheit anzusehen; so spricht etwa Jochen Vogt[1]
beim Irischen Tagebuch von "Kapiteln" eines Buches. Schließlich noch
einmal zu dem, was die neue Böll-Bibliographie leistet: die Balzersche
Werkausgabe, an der seinerzeit V. Böll beim Nachweis der Erstdrucke
beteiligt war, führt zum Irischen Tagebuch 9 Vorabdrucke an, W.
Bellmann weist dagegen 14 (freilich nicht die 18 Kapitel) nach. Was
soll also die - ich wiederhole: unfaire - Polemik gegen Bellmann?
9. A. V. Böll vermißt den Namen Heinrich Vormweg im Namenregister und
findet dies um so anstößiger, als er [Vormweg] "von Heinrich Böll
testamentarisch damit beauftragt [ist], einer der Herausgeber der
Kritischen Ausgabe seiner Werke zu sein."
9. B. Zum Fehlen des Namens im Register vgl. oben 8. Zum zweiten Teil
der Kritik soviel: H. Bölls Testament steht der Öffentlichkeit nicht
zur Verfügung, dafür aber eine publizierte Äußerung von Vormweg
selbst, die anders lautet als V. Bölls Bericht über das Testament.
Vormweg schreibt[2] zur Kritischen Ausgabe, "an der ich ganz am Rande
als literaturkritischer Berater beteiligt bin". Was stimmt denn nun:
Berater ganz am Rande oder testamentarisch beauftragter Herausgeber?
10. A. Schließlich gibt V. Böll zu erwägen, ob "eine Bibliographie der
Werke Heinrich Bölls 1995 nicht beginnen müßte mit einer Bibliographie
der Bibliographien, ist - vielleicht - eine Sache des Geschmacks"
- dies um so mehr, als bei Bellmann unter den Interviews der eine oder
andere Titel fehle, den Lengning angeführt habe.
10. B. Nein - das ist eine Sache der Systematik, und die
Bibliographien der Bibliographien gehören nicht in die subjektive,
sondern in die objektive Personalbibliographie, d.h. in die
Bibliographie der Sekundärliteratur.
Hans-Albrecht Koch
Zurück an den Bildanfang