Der Harenberg-Opernführer unterscheidet sich von anderen Werken dieser
Art in seiner Konzeption und Aufmachung dadurch, daß man ihn lesen und
dazu auch hören kann. In enger Verzahnung mit dem Buch sind 10 CDs
erschienen, die in über 150 Musikbeispielen und 12 Stunden
Gesamtspieldauer einen Querschnitt durch das Opernschaffen bieten. In
dem einbändigen Werk selbst sind 500 Opern besprochen. Es wird auf
Einspielungen auf den CDs verwiesen; der die Artikel ergänzende
"Opernwelt-CD-Tip"[3] nennt weitere Produktionen. Die Aufgabe, den
Wandel der Oper zum Musiktheater unter Einbeziehung vergessener Werke
und zeitgenössischer Opern (S. 5) zu dokumentieren, gelingt diesem
Buch gut, wenngleich sich unter den genannten Opern von 150
Komponisten kaum vergessene Werke befinden. Hier wird man eher in
Pahlens Opern-Lexikon fündig. Überzeugen kann der
Harenberg-Opernführer allerdings dadurch, daß er den Zeitgeist
widerspiegelt. Die Aufmachung ist modern, der durchgehend vierfarbig
gedruckte Band enthält sehr viele Abbildungen, die neben
Komponistenportraits auch historische Bühnenbilder und aktuelle
Inszenierungen zeigen. Der Inhalt ist alphabetisch nach den
Komponistennamen gegliedert, die Opern folgen bei den einzelnen
Komponisten in chronologischer Reihung. Die Kurzbiographie enthält
auch Literaturangaben, der Überblick über das gesamte Opernschaffen
des Komponisten auch die Aufführungsdauer der Werke. Die
Einzelbetrachtungen der ausgewählten Werke gehen neben den üblichen
Angaben zu Titel, Personen und Handlung auch auf die Musik und die
Wirkung des Werkes in seiner Zeit ein. Die eigentliche Stärke des
Harenberg-Opernführers liegt jedoch in dem auf Seite 1033 beginnenden
Registerteil. Ein Sängerlexikon verzeichnet die Namen bekannter
Interpreten meist des 20. Jahrhunderts und nimmt teilweise eine
Wertung ihrer Leistungen vor. Eine Chronik der Oper schließt sich an:
sie verzeichnet Opern von Beginn an bis zur Uraufführung von Alfred
Schnittkes Oper Historia von D. Johann Fausten am 22.06.1995 in
Hamburg. Freilich sind in dieser Chronik nur die im
Harenberg-Opernführer besprochenen Opern enthalten, so daß dieses
Verzeichnis mit der Uraufführung von Monteverdis Orfeo am 24.02.1602
beginnt und Jacopo Peris Oper Euridice dagegen fehlt, obwohl es sich
dabei um die erste Oper handelt, deren Partitur erhalten blieb und
deren genaues Premierendatum - am 06.10.1600 im Palazzo Pitti in
Florenz - wir kennen. Ein Werke-Register führt in alphabetischer Folge
alle im Harenberg-Opernführer beschriebenen Opern auf. Ergänzt wird
dieser Teil durch ein Register der für die Handlung der Opern
bedeutenden Rollen. Ein ebenso sinnvolles Arien-Register, das alle im
Text erwähnten Arien- und Choranfänge (dazu in Klammern auch Komponist
und Operntitel) verzeichnet, folgt. Ein Personen-Register und die
Adressen der Musiktheater in Deutschland und Europa (genannt wird auch
als einziger außereuropäischer Eintrag das Metropolitan Opera House in
New York) vervollständigen den Registerteil, durch dessen
Ausführlichkeit sich der Harenberg-Opernführer von anderen Werken
positiv abhebt.
Der Bertelsmann-Opernführer "unternimmt es, die Kluft zu schließen,
die sich in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts zwischen elitärem
Anspruch und popularer Erwartungshaltung aufgetan hat" (Geleitwort S.
7). Daß dabei das Hauptaugenmerk der "popularen Erwartungshaltung"
gilt, mag ganz legitim sein. Dafür muß dem Benutzer beim Nachschlagen
in dem solide hergestellten und optisch ansprechenden einbändigen Werk
jedoch klar sein, welche Zielgruppe der Verlag mit seinem Opernführer
ansprechen möchte, nämlich den interessierten Laien. Und so kann der
Bertelsmann-Opernführer getrost auf einen wissenschaftlichen Apparat
verzichten, der üblicherweise den Hauptteil ergänzt. Im alphabetisch
nach Originaltiteln geordneten Werkteil selbst werden 366 Opern
besprochen. Die Länge der Betrachtungen richtet sich nach dem
Stellenwert, den die jeweilige Oper nach Meinung der Herausgeber
einnimmt. Wer hier nicht fündig wird, kann über das Register der
Originaltitel die deutsche Entsprechung ermitteln. Die Artikel nennen
neben dem Librettisten und dem Tag der Uraufführung die handelnden
Personen, Zeit und Ort; sie sind nach den drei Abschnitten Handlung,
Erläuterung und Das Werk auf der Bühne strukturiert. Die Erläuterung
ist im Hinblick auf die Leserschaft oberflächlich informativ und
pauschalisierend. So steht bei Aida zu lesen: "Verdi setzt auf
weitgehende Selbständigkeit der Singstimme" (S. 13). Doch wartet der
Bertelsmann-Opernführer auch mit vielen nützlichen Informationen auf,
wie etwa der Nennung der "Glanznummern" der Opern. Das Werk auf der
Bühne erzählt die Geschichte, die die jeweilige Oper im Lauf der Zeit
genommen hat. Man erfährt hier von den großen Inszenierungen und kann
sich - anhand der über 200 überwiegend farbigen Photographien, mit
denen der Band bebildert ist und die bewußt moderne Inszenierungen
berücksichtigen - auch optisch einen Eindruck verschaffen (gelungen
ist z.B. die Gegenüberstellung zweier kontroverser Inszenierungen von
Mozarts Zauberflöte, S. 421). Ein weiterer Teil des Bandes verzeichnet
die Komponisten. Nach einer kurzen Biographie nehmen die Autoren eine
Eingliederung des Künstlers in die allgemeine Musikgeschichte vor,
wobei auch ihre anderen Gattungen angehörenden Werke Berücksichtigung
finden. Auch hier herrscht die Erfüllung der "popularen
Erwartungshaltung" vor, doch sind diese Texte ebenso mit viel
Sachverstand und Liebe zum populärwissenschaftlichen Detail
geschrieben. Leider fehlen im Register Querverweisungen gänzlich. So
ist z.B. im Artikel Vincenzo Bellini ein Zitat Richard Wagners zu
lesen (S. 427), das über das Register nicht aufzufinden ist. Ein
Verzeichnis der wichtigsten Sängerinnen und Sänger schließt sich an,
wobei der Schwerpunkt bewußt auf Interpreten gelegt wurde, die
gegenwärtig die Bühne beherrschen. Ein summarischer Überblick über die
Opernhäuser und ein sehr informatives Glossar, das dem (fachfremden)
Benutzer den Einstieg in das Verständnis der Opernwelt erleichtert,
beschließen den Bertelsmann-Opernführer, der in gelungener Weise die
Vermittlung von faktischem Wissen mit populärwissenschaftlicher
Darstellung und unterhaltenden Elementen verbindet.
Weder Pahlens Opern-Lexikon noch die beiden Opernführer von Harenberg
und Bertelsmann enthalten Notenbeispiele, wie sie z.B. noch in Pahlens
Oper der Welt von 1963 zu finden waren. Dort gab es zusätzlich auch
ein Verzeichnis der Opern, aufgeschlüsselt nach Ländern sowie ein
solches der Operntheater der Welt. Ebenso muß man in den drei
vorliegenden Werken auf so sinnvolle Angaben wie Kurzbiographien der
Librettisten, die Orchesterbesetzung und die musikalische Form
verzichten, wie sie der Opernführer von Csampai[4] bietet. Das sich
ansonsten gleichfalls an eine breite Leserschaft wendende Oxford
dictionary of opera[5] enthält immerhin relativ zahlreiche
Literaturangaben.
Von den drei hier vorgestellten Opernlexika, die alle primär auf den
Opernliebhaber zielen, empfiehlt sich Pahlens Opern-Lexikon durch die
Breite der Auswahl. Mit dem Harenberg-Opernführer erhält man ein Werk,
das durch den einfachen Zugang, die Fülle der Recherchemöglichkeiten
und nicht zuletzt durch seine ansprechende Aufmachung in Verbindung
mit den CDs dem Neuling ebenso wie dem Opernliebhaber die Welt der
Oper näher bringt. Für den Bertelsmann-Opernführer spricht dagegen
wenig, zumal er keinen Preisvorteil bietet. Als weiteres handliches
und insbesondere preiswertes Werk empfiehlt sich das Handbuch der Oper
von Kloiber/Konold,[6] das wegen vieler zusätzlicher technischer Angaben
auch für den Fachmann bzw. den Künstler hilfreich ist. Für den
Musik- und
Theaterwissenschaftler und natürlich auch für alle großen
Bibliotheken unverzichtbar sind die beiden großen mehrbändigen Werke
The new Grove dictionary of opera[7] und Pipers Enzyklopädie des
Musiktheaters,[8] die aber trotz ihrer Inklusivität der Ergänzung durch
andere spezielle Nachschlagewerke zur Oper[9] bedürfen.
Klaus Peter Leitner
Zurück an den Bildanfang