Man hält an dem Dualismus der "beiden bedeutendsten gesellschaftlichen
Ordnungen, des Kapitalismus und des (realen) Sozialismus" (VII) für
die Auswahl der Schlagworte und die kritische Gegenüberstellung in den
Einträgen fest, wodurch es teilweise zu einem historischen
Nachschlagewerk wird (z.B. bei DDR-Spezifika). Viele aktuelle Einträge
sind dagegen für das Verständnis neuerer gesellschaftlicher
Entwicklungen nicht nur nützlich, sondern auch hervorragend prägnant
und wissenschaftlich fundiert, wie z.B. Politische Apathie, Neue
Medien (mit fünfeinhalb Spalten!), New Age. Rein historische Begriffe,
die keinen direkten Gegenwartsbezug haben (so z.B. Wehrmacht,
Vichy-Regierung, Kommissarbefehl im Gegensatz zu Religionen,
Staatsformen, Parteien u.ä.), wird der Benutzer hier nicht in erster
Linie suchen, doch sind solche z.T. sogar neu aufgenommen.
Politikwissenschaftliche Fachtermini z.B. Fraktale Gesellschaft,
Governance oder Policy findet man leider nicht: der politologisch
Interessierte wird sehr schnell zum Wörterbuch zur Politik von Manfred
G. Schmidt[2] greifen müssen.
Die Herausgeber verstehen ihr Werk als politisches Buch, das Partei
ergreift, was folglich vom Benutzer die Fähigkeit zu einer
ideologiekritischen Lesart erfordert. Sozialpolitische Begriffe sind
deutlich freundlich gegenüber gewerkschaftlichen Zielen (z.B.
Arbeitszeit), was zu argen Verzerrungen führen kann, z.B. wird
Öffentlicher Dienst wie in einer ÖTV-Broschüre erklärt. In einem
Lexikon ärgerlich, finden sich euphemistische Schreibweisen die DDR
betreffend, z.B. im Artikel Wiedervereinigung (das Lexikon ist
übrigens pointiert vereinigungskritisch). Eine Anzahl von Artikeln ist
schlichtweg mißraten: Im Artikel zu AIDS liest man von normalem
Geschlechtsverkehr und von notwendiger besonderer Vorsicht bei
häufigem Partnerwechsel (12) - ebenso ärgerlich die Ausführungen zu
Sexualität und Sexismus. Zu oberflächlich und im Stile alter "linker"
Kritik z.B. Konsumgesellschaft.
Die alphabetische Ordnung läßt Umlaute unberücksichtigt (was auch beim
Brockhaus immer wieder stört); Querverweisungen sind durchweg
zuverlässig. Uneingeschränkt gut sind die Literaturhinweise zu nennen:
aktuell und kompetent in der Auswahl. - Ein Lexikon sollte auch in der
Post-Gutenberg-Ära sorgfältig korrigiert sein: hier finden sich
Zwiebelfische, zu große und zu kleine Wortzwischenräume, falsche
Buchstaben, falsche Jahreszahlen (1991 statt 1941! S. 461) und
orthographische Fehler (Groß- und Kleinschreibung) en masse.
Fazit: Für viele Begriffe des politischen Alltags ein nützliches, wenn
auch deutlich wertendes Nachschlagewerk für eine breite, eher
nichtwissenschaftliche Benutzerschicht, dazu mit Literaturhinweisen,
die auch dem Studenten noch fundiert weiterhelfen.
Klaus Ulrich Werner
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