Das 1946 erstmals vorgelegte und damit um einige Jahre jüngere Kleine Lexikon der Antike hat sich von Anfang an vom Wörterbuch dadurch unterschieden und unterscheiden wollen, daß es die Leitfrage danach formulierte, was in der Antike selbst wichtig gewesen sei. Der Gegenwartsbezug, der im Wörterbuch so hoch bewertet wird, spielt hier keine, oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür aber ist sehr viel stärker die christliche Antike berücksichtigt, während die Kulturkreise außerhalb Griechenlands und Roms ausgeblendet bleiben.
Beide Lexika stellen kurze Literaturlisten voran, das Kleine Lexikon
enthält am Ende eine knappe Zeittafel über die gesamte Antike, während
sich das Wörterbuch auf eine chronologische Tabelle zur Frühzeit
beschränkt. Beide bieten darüber hinaus einen kurzen Überblick über
Maße und Gewichte und geben oft, durchaus aber nicht immer,
Literaturhinweise am Ende der Artikel. Eine eindeutige Überlegenheit
des einen oder anderen Werkes ist in diesem Punkt nicht generell
auszumachen; vielmehr liegt, ebenso wie in den einleitenden
Literaturlisten in beiden Fällen eine bunte Mischung aus überwiegend
älterer und wenig neuer Literatur vor, die als Informationsquelle
deshalb kaum zu empfehlen ist.[3]
Ein Vergleich der Abfolge der Lemmata in beiden Lexika zeigt, wie
stark sich die unterschiedlichen Zielvorstellungen der Autoren auf das
Gesamtbild ausgewirkt haben. Wer zahlreiche Überschneidungen oder gar
eine weitgehende Identität der Stichworte erwartet hat, wird erstaunt
feststellen, wie unterschiedlich die Auswahl der Einträge geraten ist.
Dabei verhält es sich durchweg so, daß das Wörterbuch getreu seiner
Bemühung um Gegenwartsbezug zahlreiche Begriffe der modernen
Umgangssprache aufgenommen hat, die man im Kleinen Lexikon vergeblich
sucht. Man findet Informationen z.B. unter folgenden Stichworten:
Straßenleben im Altertum, Duzen, Radioaktivität oder Professorenwitze.
Ferner kann man im Wörterbuch auch unter geläufigen lateinischen
Redensarten nachschlagen (in dubio pro reo, quidquid id est, timeo
Danaos, et dona ferentes usw.), um Übersetzung, Bedeutung und Herkunft
zu erfahren.[4]
An den unterschiedlichen Konzeptionen liegt es auch, daß sich derselbe
Sachverhalt bisweilen an verschiedenen Stellen findet. Was im
Wörterbuch unter Reiteroberst beschrieben wird, taucht im Kleinen
Lexikon kurz beim Lemma magister (magister equitum) auf, von den
Berichten über das Martyrium früher Christen erfährt man im Wörterbuch
unter dem Stichwort Märtyrerakten, im Kleinen Lexikon unter acta
(martyrum). Das berühmte Mosaik mit der Darstellung der Flucht des
Dareios vor Alexander hat im Wörterbuch einen eigenen Eintrag unter
Alexandermosaik, während es im Kleinen Lexikon bei Alexander,
Bildliche Darstellungen zusammen mit anderen Bildnissen vorgestellt
wird.
Diese Beispiele dürften genügen, um die Unterschiede der Lexika offen
zu legen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich beide gegenseitig
sehr gut ergänzen können, wobei das Kleine Lexikon einem stärker
wissenschaftlich ausgerichtetem Interesse (von Studenten, Lehrern
usw.) empfohlen werden kann, während das Wörterbuch weniger fachliches
Wissen voraussetzt und auch noch sehr unkonventionelle Anfragen
beantworten kann.[5]
Joachim Migl
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