Zu einem Vergleich mit letzterem reizt der neue Titel aus dem
Niemeyer-Verlag. Obwohl das Werk von Deutschland aus koordiniert
wurde, "given the international nature of the undertaking, it was
deemed appropriate to use English" (preface). Die Koordinierung teilte
sich die Zentrale allerdings mit 20 nationalen, sprachkreis- bzw.
epochenbezogenen Redaktionen, die in einem ihnen zugewiesenen Rahmen
die Auswahl der zu behandelnden Sprachwissenschaftler vornahmen und
die Autoren der Artikel betreuten. Daß trotz eines solchen - auch mit
dem Verlag vereinbarten Rahmen - mehr und vor allem längere Texte
eingingen, als ausgemacht, ist ein auch bei anderen vergleichbaren
Unternehmen nur zu bekanntes Phänomen. Das führte dazu, daß sich die
Zahl der behandelten Sprachwissenschaftler von geplanten ca. 1000 auf
nunmehr ca. 1500 erhöht hat, worüber der Benutzer sicher nicht gram
sein wird, auch wenn dieses Mehr an Information eine wahre Orgie von
Wortabkürzungen[5] zur Folge hatte, um wenigstens ungefähr den mit dem
Verleger vereinbarten Umfang des Bandes einhalten zu können, was das
Lesen der Texte doch recht beschwerlich macht.
Das bisher Gesagte, ist auch so ziemlich alles, was man dem Vorwort
des verantwortlichen Herausgebers entnehmen kann, der sich
- offensichtlich aus Angst vor einer weiteren Vermehrung des Umfangs
- mit einer einzigen Seite begnügt, von der ca. die Hälfte auch noch
auf
die Aufzählung von Namen entfällt. Daß man nicht im Vorwort, sondern
nur aus einem Verlagsprospekt erfährt, daß 422 Mitarbeiter aus 27
Ländern beteiligt waren (die alphabetische Namensliste folgt auf S.
VII - X dem Vorwort), ist noch das wenigste; daß dagegen nur ganz
pauschal über Inhalt und Auswahlkriterien informiert wird und über den
Aufbau, Gliederung und Richtlinien für die einzelnen Artikel gar
nichts gesagt wird, ist bei einem Werk dieser Bedeutung inakzeptabel.
Der Zusatz zum Sachtitel führt zunächst in die Irre, handelt es sich
doch nicht um ein who's who, sondern um ein who was who, was man aus
dem Begriff history ableiten muß, werden doch nur bereits Verstorbene
berücksichtigt. Daß die Spannweite von der Antike bis zur Gegenwart
reicht, und auch nicht-abendländische Kulturen berücksichtigt sind,
kann man nur indirekt aus der Aufführung der Teilredaktionen
schließen. Bei dieser zeitlichen und räumlichen Extension ist
natürlich auch die Zahl von 1500 Namen als eher klein anzusehen, und
man fragt deshalb nach Auswahlkriterien für die Berücksichtigung der
Personen. Auch hierzu erfährt man nur ganz allgemein, es seien "the
most important representatives" der linguistischen Tradition der
ganzen Welt berücksichtigt. Gar nichts erfährt man über die Vorgaben
zur Gewichtung einer Person, die mit der Länge des ihr gewidmeten
Artikels korrespondieren muß, und über Inhalt und Aufbau der Artikel
informiert wiederum nur der Prospekt: "Die Artikel bestehen aus einer
Biographie der Dargestellten, einem Abriß ihrer Werke und Wirkung und
einer Primär- und Sekundärbibliographie. Soweit möglich, ist die
Primärbibliographie vollständig; ist das Werk sehr umfangreich, sind
die wichtigsten Titel aufgeführt, und es wird auf schon vorhandene
Bibliographien weiterverwiesen."
Bei dem Versuch, festzustellen ob die einzelnen Sprachbereiche und
Epochen adäquat abgedeckt sind, ist man auf das letztlich untaugliche
Mittel des Blätterns angewiesen, da der Band auch jeglichen Registers
entbehrt. Dabei würde ein Register nach Herkunftsland, untergliedert
nach Epochen und ein solches nach den hauptsächlich bearbeiteten
Sprachen bzw. Arbeitsgebieten - dies alles im Linguisten-Handbuch
selbstverständlich - ja nicht nur dem Rezensenten für den genannten
Zweck dienen, sondern wäre die Voraussetzung zu jeder mehr als
punktuellen Recherche. Der Rezensent hat also nur eine größere
Stichprobe mit "wichtigen" Vertretern der Romanistik - sowohl der
letzten 150 Jahre als auch - wenngleich weniger ausgiebig - vom
Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert vorgenommen und dabei keine
gravierenden Lücken entdeckt. Eher wunderte er sich über Namen, die
man hier nicht erwartet, so etwa über den als Danteforscher bekannten
Michele Barbi, der hier jedoch wegen der Bedeutung seiner "studies of
popular forms of poetry" aufgenommen ist; das dürfte allerdings kaum
berechtigt sein, zumal man dann auch noch zahlreiche weitere Namen
berücksichtigen müßte. Im Fall von Barbi beschränkt sich die
Literaturliste denn auch auf ein einziges Werk von und zwei Titel über
ihn (davon ist einer ein Beitrag von 2 S., der andere ein Nachruf):
nichts also von der versprochenen, hier in der Tat "vorhandenen"
Personalbibliographie.[6]
Obwohl die Artikel überwiegend von mittlerer und zumeist auch
angemessener Länge sind, stechen natürlich Ausnahmen sofort ins Auge.
Nur zwei Beispiele: Noah Webster muß mit 10 dürftigen Zeilen und der
Nennung von zwei Werken (die bereits im Text zitiert sind) und einem
Hinweis auf den Artikel in der Encyclop‘dia Britannica fürliebnehmen,
was seiner Stellung als Vater der Lexikographie des amerikanischen
Englisch in keiner Weise gerecht wird. Dagegen erhält der als
Mathematiker bekannte John Wallis (1616 - 1703) knapp 8 Spalten; so
interessant der Versuch sein mag, dessen Stellung in der Geschichte
der Sprachwissenschaft in neues Licht zu rücken (für die EB, die ihm
ebensoviel Platz einräumt, wie N. Webster, ist er allein als
Mathematiker erwähnenswert), so kann das nicht - jedenfalls nicht in
dieser Breite - Sache eines Lexikons sein, das auf Ausgewogenheit
bedacht zu sein hat. Daß Herder dagegen nur 2 Sp. erhält, ebensoviel
wie der vergleichende Sprachforscher Victor Henry (1850 - 1907), zeigt
an, daß es mit der Gewichtung nicht zum besten bestellt ist, ein
Mangel, der auf ungenügende Kontrolle der Mitarbeiter durch die
Teilredaktionen schließen läßt.
Auffällig, natürlich nicht negativ, ist die relativ hohe Zahl von
Personen der Antike (dazu mit z.T. ausführlichen Artikeln) und ebenso
die von Grammatikern des lateinischen Mittelalters.[7] Während erstere
jedoch - wie üblich - unter der lateinischen Namensform angesetzt
werden, wurde für letztere zumeist die englische Namensform gewählt,
was im Grunde gegen das einleitend erklärte Ziel der Internationalität
spricht: wenn man schon Englisch zur lingua franca erklärt, so dienen
englischsprachige Formen mittelalterlicher Namen allenfalls dazu,
diese zu verstecken, weil für Verweisungen selbstverständlich zumeist
kein Platz vorhanden ist; allerdings wird hierbei keineswegs
einheitlich verfahren, wie man an den Eintragungen bzw. Verweisungen
unter Johannes ... ablesen kann.
Es liegt hier ein insgesamt sehr nützliches bio-bibliographisches
Lexikon zur Geschichte der Sprachwissenschaft vor, das allerdings im
Einzelnen einer strengen redaktionellen Kontrolle hätte unterzogen
werden müssen. Das Fehlen von Registern reduziert den Wert dieses
Nachschlagewerkes leider auf die punktuelle Recherche, obwohl sein
Inhalt viel mehr zum Studium der Geschichte der Sprachwissenschaft
bereithält.
Die Besprechung des Lexicon grammaticorum ermöglicht es, nachträglich
noch auf ein weiteres großes und hier einschlägiges Werk aus dem
Verlag Niemeyer hinzuweisen, das Bio-bibliographische Handbuch zur
Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts, das sich selbst als BBHS
abkürzt und von dem seit 1992 bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieser
Rezension 4 Bd. vorlagen; bei ihrem Erscheinen wird wohl auch Bd. 5
vorliegen, der bis zum Buchstaben L reichen soll. Obwohl beide Werke
von der DFG gefördert wurden, ist es nicht sicher, ob die Bearbeiter
von dem jeweils anderen Projekt Kenntnis hatten: zumindest zitiert das
erstere bei den auch im BBHS behandelten Autoren letzteres nicht,
nicht einmal bei Autoren wie Adelung aus Bd. 1, der seit 1992 vorlag,
also so rechtzeitig, daß ein Hinweis hätte möglich sein müssen. Das in
Regensburg im Laufe von vielen Jahren vorbereitete und von der DFG
"durch eine immer wieder verlängerte Sachbeihilfe unterstützte" (Bd.
1, S. VIII) BBHS überschneidet sich z.T. mit einem gleichfalls von der
DFG geförderten Projekt in Bamberg, was anscheinend auch der DFG erst
spät aufgefallen ist, die dann "in der letzten Phase" eine Kooperation
beider Projekte anregte.
Im Gegensatz zum Lexicon grammaticorum, das "bedeutende" Personen
auswählt, setzt das BBHS auf Vollständigkeit in genau definierten
Grenzen: es wird nach seiner Fertigstellung ca. 1600 Personen
behandeln, "deren erste sprachwiss. relevante Publikation in der Zeit
von 1700 - 1800 erschienen ist", womit "ein nützlicher
Überlappungseffekt in das 19. Jahrhundert" entsteht (S. X).
Berücksichtigt ist der gesamte deutschsprachige Raum, der also z.B.
weit nach Osten ausgreift. Das "Kriterium der sprachwissenschaftlichen
Relevanz wurde bewußt bescheiden gehalten", was wohl heißen soll, eng
ausgelegt. Damit aber nichts, was einmal ermittelt wurde, auch wenn es
sich dann als nicht relevant herausstellte, verlorengehe, folgt dem
eigentlichen Autorenteil eines jeden Bandes mit seinen ausführlichen
Beschreibungen eine Liste mit Kurzbeschreibungen jener Autoren, die
nicht berücksichtigt wurden, mit knapper Angabe, warum (z.B. auch
deshalb, weil keines ihrer Werke in einer Bibliothek überlebt hat).
Der einheitliche Aufbau der Artikel ist wie folgt: 1. Biographie; 2.
Werkbeschreibung ggf. mit dem zusätzlichen Abschnitt Werkgeschichte;
3. Bibliographie, getrennt nach subjektiver und objektiver
Bibliographie, wobei erstere dann weiter nach sprachwissenschaftlichen
Werken (mit Streben nach vollständiger Verzeichnung und ausführlicher
Beschreibung) und sonstigen Werken (pauschal, möglichst unter Hinweis
auf andere Quellen) unterteilt ist, die Sekundärliteratur, die nur in
Auswahl ermittelt wurde, gleichfalls zunächst mit Titeln über die
sprachwissenschaftlichen Werke und sodann zur Biographie mit
Fundstellen in den im Abkürzungsverzeichnis (S. XVIII - XL) genannten
Werken. Auffällig ist die Zunahme dieser Fundstellen in den Artikeln,
für die das - zu Beginn der Arbeit am BBHS noch nicht vorliegende
- Deutsche biographische Archiv ausgewertet werden konnte.
Umfang und Gliederung der Werkbeschreibungen wurden offensichtlich den
Bearbeitern überlassen. Ihr Anteil am jeweiligen Artikel ist am Schluß
vermerkt. Ein Verzeichnis der Mitarbeiter fehlt jedoch, denn das, was
in jedem Band als Autorenverzeichnis angeboten wird, ist eine
gemeinsame Liste der im Hauptteil bzw. im Anhang behandelten
Sprachwissenschaftler. Striktere inhaltliche und formale Richtlinien
hätten sicherlich zu einer größeren Einheitlichkeit und nicht zuletzt
auch Kondensierung der Artikel beitragen können. Auch die auf Grund
von Autopsie erstellten Titelaufnahmen (die benutzten Exemplare sind
mit Bibliothekssigel und Signatur angegeben) geraten arg breit und man
fragt sich, ob das angestrebte Prinzip der "diplomatischen
Titelaufnahmen der Primärwerke" für die Sache wirklich erforderlich
war, was nicht heißen soll, daß nicht trotzdem genau und auch in
nötiger Ausführlichkeit zitiert werden sollte. Auch die detaillierten
Inhaltsangaben etwa mit Angabe von nicht paginierten Seiten in eckigen
Klammern und sogar von ebenso markierten leeren Blättern gehen
diesbezüglich entschieden über den für den Zweck erforderlichen
Aufwand hinaus. Abgesehen davon ist die Bibliographie wegen
ungenügender typographischer Auszeichnung ausgesprochen
unübersichtlich geraten. Allein schon eine fett gesetzte Numerierung
der Werke würde die Orientierung und nicht zuletzt auch die
Koordination zwischen Darstellung und Bibliographie einerseits und
später zwischen Gesamtregister und Bibliographie wesentlich
erleichtern.
Art und Qualität der Register im Abschlußband, auf den man wohl noch
länger wird warten müssen, obwohl die Publikation mit etwa einem Band
im Jahr gut voranschreitet, werden wesentlich darüber entscheiden, ob
und wie intensiv man diese Fundgrube - nicht nur zur
Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts - wird ausschöpfen können. Ob
das Werk freilich die "nie bewiesene Behauptung der 'modernen'
Sprachwissenschaft, dieses Jahrhundert sei Vor- oder allenfalls
Übergangszeit gewesen" (S. VII) wird widerlegen kann, bleibe
dahingestellt, könnte es doch auch sein, daß es seine Bestätigung
findet.
sh
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