Man mag darüber streiten, ob diese Terminologie für die Grobgliederung des Bandes glücklich gewählt ist. Für den Adepten des Faches ist sie gewiß schwer zu durchschauen. Der Anfänger wird aber auch mit vielen Beiträgen zu den einzelnen Rubriken seine Schwierigkeiten haben. Die hier versammelten Texte spiegeln das weite Spektrum von Theorien, Methoden und Moden, das die allgemeine Literaturwissenschaft kennzeichnet. Sie bieten im allgemeinen vorzügliche Zusammenfassungen für den Leser, der von allem schon ein gehöriges Quantum versteht.
Man kann freilich auch über die Zuordnung durchaus geteilter Meinung sein. Natürlich gehört die Rhetorik zur Textproduktion, in der hier gewählten Terminologie also zu den "Aufzeichnungsmodellen". Sie ist doch aber immer auch ein grundlegendes Instrument des Textverständnisses gewesen, hat also auch ihren Platz in der Hermeneutik, die hier bei den "Übersetzungsmodellen" abgehandelt wird.
Das Buch ist aus den interdisziplinären Gesprächen des Konstanzer Graduiertenkollegs "Theorie der Literatur" hervorgegangen, also nicht auf einzelne Literaturen ausgerichtet, sondern auf die allgemeine Literaturwissenschaft. Die Autoren schildern - bald mit stärker empirischer, bald stärker spekulativer Tendenz - vieles, was im freien Welthandel der Paradigmen meist in den USA erfunden, dann aber auf beiden Seiten des Atlantik in der Literaturwissenschaft im Schwange ist: Narrativik, Dekonstruktion, Racial Turn, literaturwissenschaftliche Psychoanalyse, Interkulturelle Hermeneutik, Close Reading usw. Nur die jüngst als New Historicism wieder belebte Sozialgeschichte der Literatur fehlt noch (das Register kennt den New Historicism zwar, verwechselt ihn aber mit dem New Criticism).
Nicht zum Thema gemacht wird der bedenkliche Umstand, daß man seit
einiger Zeit zwischen Theorien und Methoden in der
Literaturwissenschaft keinen klaren begrifflichen Unterschied mehr
macht. So fehlen, auch im Literaturverzeichnis, gerade Arbeiten, die
sich in dieser Hinsicht um Präzision bemühen: auf allgemeiner Ebene
z.B. die scharfsinnige (und scharfzüngige!) Enzyklopädie der
Literaturwissenschaft von Klaus Weimar[1] oder auf der Ebene der
Narrativik die Arbeiten von Jürgen Petersen.[2]
Die Neuerscheinung ist für den Kenner eine interessante
Bestandsaufnahme; aber auch er wird bei der Lektüre immer wieder
einmal gern zu der von Irena R. Makaryk herausgegebenen Encycolpedia
of contemporary literary theory[3] greifen, die angelsächsisch-präzise
referiert und informiert. Auch dieser Titel fehlt im
Literaturverzeichnis, ebenso der von Dieter Borchmeyer und Viktor
Zmegac besorgte Sammelband Moderne Literatur in Grundbegriffen.[4]
Hans-Albrecht Koch
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