So ist beispielsweise das Werklexikon, der Dictionnaire des oeuvres littéraires de langue fran‡aise, zwar alphabetisch nach Sachtiteln aufgebaut, doch wird es ergänzt durch ein alphabetisch nach Autoren gegliedertes Werkregister, in dem der Leser sich rasch kundig machen kann, welche Werke eines Autors im Rahmen der vier Bände besprochen werden (leider nennt dieser Index weder die Bandzahl noch die Seitenangabe der einzelnen Besprechungen, so daß nach der raschen ersten Information der zweiten und gründlicheren eventuell ein etwas längeres Blättern vorausgeht, insbesondere wenn der Benutzer des Lexikons sich nicht zuerst mit den an ihn gerichteten Benutzungshinweisen vertraut gemacht hat, um genau zu wissen, wann etwa ein Artikel ordnungsrelevant ist und wann nicht bzw. warum sich Le Roi des Aulnes unter R, Le Roi se meurt hingegen unter L findet).
Davon abgesehen jedoch ermöglicht dieses Lexikon einen für
Lexikonverhältnisse recht detaillierten und nichtsdestotrotz schnellen
Zugang zu - laut der Zahlenangabe im Vorwort - ungefähr 3700 Werken
der französischsprachigen Literatur aller Jahrhunderte, wobei die
Auswahl weitgehend, vor allem bei vor dem 20. Jahrhundert entstandenen
Werken, dem anerkannten Kanon entspricht:[2] Autoren wie Racine oder
Stendhal sind mit nahezu all ihren Werken vertreten; zu einem schon
rein zahlenmäßig äußerst produktiven und zudem von der Nachwelt so
anerkannten Autor wie Balzac finden sich rund 80 Besprechungen; von
weniger bekannten oder - wiederum laut Vorwort - bedeutenden Autoren
sind im allgemeinen die, wie es heißt, originellsten oder
charakteristischsten Werke aufgenommen, doch wurde auch bisher
marginalisierten Werken ein Platz im Dictionnaire nicht verwehrt,
sofern sie diesen nach Einschätzung der gut 100 Spezialisten, die für
die einzelnen Artikel verantwortlich zeichnen, verdienen.
Der Aufbau der Artikel gehorcht einem gleichbleibenden und
übersichtlichen Schema: Dem Titel des Werkes folgen die Angaben zu
Gattung und Verfasser, zu Ort, Verlag und Jahr der
Erstveröffentlichung, gegebenenfalls Ort und Jahr der Uraufführung,
sowie eine knappe, einführende Situierung des jeweiligen Einzeltextes
im Gesamtwerk des betreffenden Autors. Daran schließt sich,
typographisch abgesetzt, eine kurze Inhaltsangabe des Textes an, ehe
dieser ausführlicher analysiert wird - wobei die Länge dieser Analysen
stark variiert: Je nach Komplexität des zu analysierenden Werkes kann
sie einige Zeilen oder auch mehrere Spalten des großformatigen
Lexikons umfassen. Abschließend werden derzeit erhältliche (auch
Taschenbuch-) Ausgaben des jeweiligen Werkes aufgeführt sowie
gegebenenfalls Gesamtausgaben genannt, deren genaue bibliographische
Angaben im bereits erwähnten Autoren- und Werk-Register zu finden
sind. Auf Hinweise zur Sekundärliteratur hingegen wird bedauerlicher-
und unverständlicherweise vollständig verzichtet.
Die jeweiligen Interpretationen setzen natürlich, entsprechend der
Vielzahl ihrer Verfasser, unterschiedliche Schwerpunkte; innerhalb
dieser sich eher positiv als negativ auswirkenden Heterogenität wahren
sie jedoch eine gewisse Homogenität im Ansatz, insofern allgemein
sowohl rein inhaltliche als auch rein biographische oder rein
soziologische Interpretationen vermieden werden, ohne dabei völlig
etwa auf lebensgeschichtliche Daten oder die Darstellung des
gesellschaftlichen Bezugs bei bestimmten Texten zu verzichten. Statt
dessen lenken die Analysen in der Regel den Blick nicht nur auf
zentrale Themen des Textes, sondern vor allem auf die ihn
charakterisierenden Verfahren - bei einem narrativen Text
beispielsweise auf die Erzähltechnik -, auf die symbolische Ebene, auf
das Verhältnis zur Tradition bzw. deren Beherrschung oder Überwindung
etc. Darüber hinaus werden durchaus auch einzelne, bekannt gewordene
Episoden herausgegriffen und interpretiert, so daß die Artikel die in
Lexika häufig festzustellende allzu große Allgemeinheit vermeiden und
dank ihrer Konkretheit tatsächlich einen brauchbaren Einstieg in ein
Werk darstellen können.
Auf andere Weise, weil weniger auf die einzelnen Werke konzentriert,
bietet der Dictionnaire des littératures de langue fran‡aise seinen
Lesern diesen Einstieg an, obwohl auch hier keinesfalls eine
überkommene "l'homme-et-l'oeuvre"-Konzeption zugrunde gelegt wurde.
Freilich liegt der Akzent eindeutig auf den über 1900
Autorenartikeln,[3] neben denen die etwa 430 Artikel zu Sachbegriffen
- die Zahlen entstammen wiederum dem Vorwort - ein eher schmales
Kontingent darstellen, zumal in Anbetracht der Fülle der hier
berücksichtigten Bereiche: Begriffe aus der Literaturtheorie,
Teilgebiete der Literaturwissenschaft, mit der Literatur in
Zusammenhang stehende Bereiche wie das Kino, andere, die französische
Literatur beeinflussende Nationalliteraturen, gesellschaftliche
Bedingungen der Literatur etc. sind ebenso aufgenommen wie jene
Sachbegriffe, die in einem Literaturlexikon ohnehin erwartet werden:
Epochen, Strömungen und Schulen, Gattungen, Institutionen und
Zeitschriften, historische Ereignisse, die sich auf die Entwicklung
der Literatur in besonderem Maße auswirkten, oder auch
Überblicksartikel zu den französischsprachigen Literaturen außerhalb
Frankreichs.
Den zwangsläufig punktuellen Charakter insbesondere dieser Sachartikel
versucht der Index notionnel et chronologique des termes littéraires,
ein recht kompliziertes Register am Ende von Bd. 4, zu beheben oder
zumindest auszugleichen, indem er die einzelnen Begriffe durch die
Zuordnung zu Oberbegriffen und Daten untereinander verbindet und dem
Leser so zwei weitere Einstiegsmöglichkeiten - thematisch und
chronologisch - zusätzlich zur alphabetischen eröffnet. Neben diesem
umfangreichen Register in Tabellenform enthält der 4. Bd. die
Mitgliederlisten der Académie Fran‡aise und der Académie Goncourt
sowie die wichtigsten Literaturpreise mit den durch sie jeweils
ausgezeichneten Autoren, ein Werkregister,[4] das weit über 20.000 im
Lexikon genannte Titel aufführt, und ein Verzeichnis der Abbildungen,
die thematisch geordnet und jeweils mehrere Seiten umfassend an
verschiedenen Stellen des Dictionnaire eingeschoben sind und die durch
die Sprache vermittelbaren Informationen etwa zum Thema Allegorie,
Bestiarien, Utopie etc. im umfassendsten Sinne des Wortes
illustrieren, d.h. bebildern, aber auch erläutern und bereichern,[5]
statt lediglich redundantes Material oder eine bloße "décoration
anecdotique" zu liefern.
Die zu den einzelnen Sachbegriffen gegebenen Darstellungen sind im
allgemeinen knapp gehalten - auch diesbezüglich liegt das Gewicht
eindeutig auf den Autorenartikeln und damit auf den Texten selbst, auf
die die Sachartikel bezogen bleiben und verweisen wollen -, werden
dabei aber keineswegs oberflächlich. Die Information ist im Gegenteil
sehr dicht, ohne sich auf mehr oder weniger unlesbare
Aneinanderreihungen von Fakten zu reduzieren; wo es angebracht
erscheint, werden bestimmte Daten in Tabellen und Gegenüberstellungen
zusammengefaßt (z.B. im Artikel Querelle des anciens et des modernes
die Tabelle "Oeuvres anciennes - Oeuvres modernes"); der Text der
Artikel ist meist in einzelne Abschnitte mit eigenen Überschriften
untergliedert und, wo immer möglich bzw. sinnvoll, durch
Originalzitate angereichert (z.B. im Artikel Nouveau roman durch
zahlreiche Zitate aus den theoretischen Schriften der Romanautoren
selbst). Die abschließende und oft, wenngleich in knappster Form,
annotierte Bibliographie, die auch unselbständig erschienene Arbeiten
berücksichtigt, enthält nicht nur Ausgaben oder Neuausgaben relevanter
Primärwerke zum jeweiligen Sachgebiet, sondern ebenfalls nach
Untergebieten gegliederte Sekundärliteratur, deren Aktualität
allerdings gelegentlich etwas zu wünschen übrig läßt.
Die Auswahlkriterien für die Autorenartikel entsprechen in etwa denen
des Werklexikons, d.h. für die Autoren der Vergangenheit hat in der
Regel die Geschichte bereits das Urteil gesprochen - heute anerkannte
Autoren werden ausführlich, Autoren, die nur in ihrer eigenen Zeit
berühmt waren, knapp behandelt -; für die Autoren der Gegenwart, bei
denen sich die Auswahl in der Regel schwieriger gestaltet, werden
unterschiedliche und einander ergänzende Kriterien herangezogen:
Umfang des bisher veröffentlichten Werkes, Auszeichnung durch
Literaturpreise, Auflagenhöhe, Bekanntheitsgrad im Ausland durch
Übersetzungen etc., d.h. keinesfalls irgendwelche ideologischen
Faktoren, politischen Einstellungen oder dergleichen.
Bei den Autorenartikeln lassen sich zwei Typen unterscheiden: Den
Schriftstellern, die allgemein als die bedeutendsten anerkannt sind
- etwa einhundert aus dem Kanon der französischsprachigen Literatur -,
ist jeweils ein umfassendes "Dossier" gewidmet, das, wenn überhaupt,
dann eine Auswahl derjenigen Elemente aus der Biographie enthält,
deren Kenntnis zum besseren Verständnis des betreffenden Werkes
notwendig oder hilfreich erscheint, sowie und vor allem eine
Gesamtdarstellung dieses Werkes, ferner Interpretationen der
wichtigsten Einzelwerke des Autors, eine zweispaltige Tabelle, die
Lebens- und Werkdaten einander gegenüberstellt, und abschließend
wiederum eine detaillierte, nach Themen und Werken untergliederte
Bibliographie, falls die Literaturangaben zu Einzeltexten nicht
bereits an deren Besprechung angeschlossen wurden. Bei den restlichen
über 1800 ins Lexikon aufgenommenen Schriftstellern werden im
allgemeinen nur sehr wenige und immer auf die Texte bezogene
biographische Daten genannt; die Artikel stellen, ausgehend von den
wiederkehrenden Themen, den verwendeten Formen und eingesetzten
Verfahren, eine Charakterisierung des Gesamtwerks dar, wobei, je nach
Autor, auch beispielsweise politische Bezüge, Entwicklungstendenzen
innerhalb eines Gesamtwerks oder formale und andere Besonderheiten
eines herausragenden Textes nicht unerwähnt bleiben. Sämtliche
wichtigeren Texte sind selbst in diesen kürzeren Artikeln samt dem
Datum ihrer Erstveröffentlichung aufgeführt; die Angaben zur
Sekundärliteratur hingegen beschränken sich meist auf einige wenige
Titel.
Ob Dossier oder einfacher Lexikonartikel, grundsätzlich gilt für beide
Typen von Autoreinträgen, daß, wiederum ähnlich wie beim
werkzentrierten Pendant, die innerliterarische Betrachtung der Texte
vorrangig ist, ohne eine außerliterarische völlig auszuschließen: Die
Texte werden primär als Literatur und um ihrer selbst willen gelesen
und analysiert, nicht als Dokument oder gar Widerspiegelung
irgendwelcher historischer und soziologischer Entwicklungen und
ebensowenig als psychologisch oder psychoanalytisch aufzuschlüsselnde
Umsetzung einer Biographie in einen fiktionalen Text.
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