Nicht nur das Format hat sich seit der früheren Ausgabe des
Mittelalterbandes zum Positiven hin geändert - den 764 unhandlich
großen Seiten vorher stehen jetzt beinahe doppelt so viele
Dünndruckseiten im Taschenbuchformat[2] gegenüber -, auch was diese
Seiten enthalten, macht deutlich, daß an den Spezialisten der
altfranzösischen Literatur die Forschung der zwischen der 1. Aufl.
1964 und der 2. Aufl. 1992 liegenden fast 30 Jahre keineswegs spurlos
vorübergegangen ist. Wie die jetzigen, als profunde Kenner der
altfranzösischen Sprache und Literatur ausgewiesenen Herausgeber in
ihrem Vorwort bemerken, wurde die Neuauflage nicht allein deshalb
nötig, weil die viel benutzte alte vergriffen, sondern auch, weil sie
mittlerweile entschieden veraltet war, so daß nur etwa ein Fünftel der
Artikel weitgehend unverändert, lediglich mit aktualisierter
Bibliographie, übernommen werden konnte; alle übrigen sind grundlegend
überarbeitet oder völlig neu verfaßt worden, wobei teilweise anders
ausgewählt, gewichtet und akzentuiert wurde als 1964.[3]
Eine weitere erfreuliche Änderung ist die Hinzufügung von
Querverweisungen selbst innerhalb jener Einträge, die weitgehend
übernommen wurden, wie etwa im Artikel Aristotélisme au moyen ƒge, in
dem der Leser heute direkt und nicht erst durch ein seiner Vermutung
folgendes Blättern erfährt, daß beispielsweise Siger de Brabant und
Thomas d'Aquin auch mit eigenen Einträgen im Lexikon vertreten sind.
Andere Artikel, z.B. den zum Drame liturgique, übernehmen die
jeweiligen Verfasser ebenfalls teilweise wörtlich, verleihen ihnen
aber durch die Nennung zahlreicher exakter Titel samt Jahreszahlen,
durch die Aufnahme neuer Forschungsergebnisse zu heute relevanter
erscheinenden Fragen und, so beispielsweise im Artikel Alchimie, durch
die stärkere Untergliederung und das Einfügen von Überschriften weit
größere Präzision, als die frühere Version sie aufwies.
Neuerungen lassen sich ferner in der Ordnung sowie vor allem der
Anlage der einzelnen Autoren und Werken gewidmeten Artikel
feststellen: So finden sich Chrétiens einzelne Romane nun nicht mehr
an verschiedenen Stellen des Alphabets, sondern innerhalb des sehr
ausführlichen und informativen Autoreintrags, der nach den wenigen, im
wesentlichen den Romanen entnommenen Informationen zur Biographie
zunächst das Gesamtwerk des Autors charakterisiert und zeitlich
situiert, um anschließend detailliert auf die Einzeltexte einzugehen.[4]
Hierbei beschränkt er sich weder auf eine Inhaltsangabe noch auf
positivistische Auflistung möglicher Quellen; er analysiert die
Struktur der Texte, ihre typischen Verfahren, ihre Weiterverarbeitung
in anderen, z.B. mittelhochdeutschen Texten und nennt abschließend
Ausgaben sowie selbständig und unselbständig erschienene Literatur zum
jeweiligen Werk oder Autor. Leider enthält der Band kein Werkregister[5]
und auch keine Verweisungen von Werktiteln auf Autornamen, so daß der
Leser bereits wissen muß, daß etwa Perceval von Chrétien verfaßt
wurde, um über das Vorbild von Wolframs Parzival etwas zu erfahren.
Analog sind die Artikel zu den im Mittelalter ja häufigen anonymen
Werken aufgebaut, die nicht nur eine genaue Inhaltsangabe
beispielsweise der Prise d'Orange liefern, sondern darüber hinaus auch
hier - und gerade hier, wo der Text nicht allein in einer bestimmten
Tradition steht, sondern diese zugleich sie parodierend überwindet
- auf besondere Verfahren und andere Elemente eingeht.
Von den einbändigen Lexika, die die ganze französischsprachige
Literatur erfassen, interessiert sich offenbar allein der New Oxford
companion für derlei Fragen, die er selbst in sehr kurzen Artikeln wie
dem wiederum zur Prise d'Orange[6] angeht, während die jeweils etwa
gleich langen Einträge im Dictionnaire Bordas und im Engler sich außer
zu Gattung, Zyklus, Entstehungszeit und eventuell Verszahl oder
Handschriften fast ausschließlich zum Inhalt dieser Chanson de geste
äußern und allenfalls in den Autorartikeln noch eine Art Gesamtwertung
hinzufügen. Im Unterschied zum Dictionnaire Bordas verweist aber
Engler, wie oben bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, zusätzlich
auf interessante Literatur sowie, falls vorhanden, auf kritische
Textausgaben.
Da Anthony Levis Guide die altfranzösische Literatur ebenso wie das
ganze Mittelalter außer acht läßt, bleiben von den aktuellen
mehrbändigen Lexika allein die beiden von Jean-Pierre de Beaumarchais
und anderen herausgegebenen Dictionnaires als mögliche
Informationsquellen über mittelalterliche Autoren, Texte und eventuell
entsprechende Sachbegriffe. Davon abgesehen, daß das Werklexikon per
definitionem keinen Artikel über Chrétien enthalten kann und daß es
keine Sekundärliteratur, sondern nur Ausgaben und Übersetzungen nennt,
liefern beide Nachschlagewerke trotz der teilweise identischen
Herausgeber und Mitarbeiter keineswegs identische, aber in beiden
Fällen sehr brauchbare und weiterführende Informationen,[7] wenngleich
manchmal weniger ausführlich als das spezielle Mittelalterlexikon
- das daher und dennoch für Bibliotheken, aber auch für
"Einzel-Leser",
deren Herz für das Mittelalter schlägt, in jedem Falle zur Anschaffung
zu empfehlen ist.
Den zeitlichen Gegenpol zu diesem Nachschlagewerk bildet ein Lexikon,
das nicht die allererste Literatur in französischer Sprache, sondern
gewissermaßen die allerletzte, die des 20. Jahrhunderts, erfaßt und in
Werkanalysen darstellt:
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