Obwohl die Verfasser nach Vollständigkeit streben, ist diese nicht
zuletzt aus den eingangs genannten besonderen Gegebenheiten im Falle
Rousseaus kaum zu erreichen, was sich bei einem Blick in
Spezialbibliographien leicht belegen läßt.[2]
In einem Anhang sind die Rousseau-Ausgaben einschließlich der
Übersetzungen für die Berichtszeit 1950 - 1990 verzeichnet. Auch diese
Bibliographie schließt an eine ältere, die von Jean Sénelier an, die
bis 1949 reicht,[3] und die der vorliegende Appendix mit Ausgaben
komplettiert, die Sénelier entgangen waren. Die Anlage entspricht dem
Grundwerk, ordnet also nach Werken und Werkgruppen, innerhalb nach
Erscheinungsländern. Auch hier stößt man schnell auf Lücken, so vor
allem bei den Übersetzungen, deren komplette Verzeichnung eine genaue
Durchsicht vieler Nationalbibliographien erfordert hätte.
Die gerade erwähnte Bibliographie von Jean Sénelier verzeichnet die
Ausgaben von Rousseaus Werken von den Erstausgaben bis 1949, doch weiß
man seit langem, daß sie weder vollständig noch gar zuverlässig ist,
da sie vermutlich weitgehend durch Kompilation anderer Bibliographien
zustande gekommen ist. Sind Bibliographien, die nicht grundsätzlich
auf Autopsie beruhen, selbst für neuere Drucke problematisch, so sind
sie im Grunde nutzlos für die Zeit des "alten Buches" mit seinen
besonderen Produktionsmethoden, also auch für die frühen Ausgaben der
Werke von Rousseau. Methoden zur exakten Beschreibung des physischen
Zustandes eines Drucks (analytical oder critical bibliography) und die
darauf aufbauende Beschreibung ein ideal copy mit Hilfe der
descriptive bibliography[4] wurden vor Jahrzehnten von
anglo-amerikanischen Bibliographen (genannt seien nur W. W. Greg und
F. Bowers) entwickelt, doch fand diese Methode der "analytischen
Druckforschung" in Kontinentaleuropa nur wenige Adepten. Es ist daher
nicht verwunderlich, daß sich eine in der Tradition von Bowers
ausgebildete englische Bibliographin an die Mammutaufgabe wagt, die
frühen, bis 1800 erschienenen Ausgaben aller Werke von Rousseau nach
dieser Methode zu beschreiben. Die Bände erscheinen nicht der Reihe
nach, da Frau McEachern an mehreren Komplexen gleichzeitig arbeitet:
Bd. 2 für den mile erschien somit vor Bd. 1 mit der Nouvelle Hélose,
da letzteres Werk, eines der erfolgreichsten der französischen
Literatur des 18. Jahrhunderts überhaupt, in noch zahlreicheren
Ausgaben verbreitet war. Beide Bände verzeichnen zudem nur die
französischsprachigen Ausgaben, während den Übersetzungen bis 1800 Bd.
3 der Bibliographie vorbehalten ist.[5]
Beide Bände sind einheitlich aufgebaut: 1. Einleitung
(Auseinandersetzung mit den bisherigen Rousseau-Bibliographen, deren
Ergebnisse in Bezug auf die frühen Ausgaben jetzt getrost zu den Akten
gelegt werden können); 2. Anmerkungen zur Methode (Adaption der an
englischen Drucken entwickelten Prinzipien der critical bibliography
an die unterschiedlichen Gegebenheiten bei kontinentaleuropäischen
Drucken[6]); 3. ausführliche Geschichte der jeweiligen Erstausgabe auf
Grund der Ergebnisse der analytischen Druckforschung und unter
Verwendung aller relevanten sonstigen Zeugnisse (hier vor allem der
Korrespondenz Rousseaus mit seinen Verlegern, aus der ausführlich
zitiert wird); 4. detaillierte Beschreibung der Ausgaben nach dem
Prinzip der ideal copy mit Abbildung des Titelblattes, diplomatisch
exakter Beschreibung von Vor- und Haupttitelseite unter Angabe und
Beschreibung des typographischen Schmuckes, bibliographisches Format,
Lagenformel und Paginierung (mit Kenntlichmachung der
Paginierungsfehler), Aufführung der enthaltenen Stücke,
Lagensignaturen, Kustoden, Kolumnentitel, Buchschmuck, besondere
Bemerkungen, Errata, Papier und dessen Wasserzeichen, benutzte
Exemplare (Bibliothek und Signatur) mit Angabe von Abweichungen vom
Idealzustand; 5. Anhänge: Liste der besuchten Bibliotheken;
Kurzübersicht über die verzeichneten Ausgaben nach ihrer laufenden
Nummer; Konkordanz zu anderen Bibliographien; Liste der Drucke mit
vorläufiger Zuordnung der Meldungen von Bibliotheken, die nicht
besucht werden konnten, die aber einen Fragebogen über die bei ihnen
vorhandenen Ausgaben ausgefüllt haben[7] (eine definitive Zuordnung
setzte Autopsie voraus); Bibliographie der benutzten Literatur.
Da Frau McEachern wohl noch viele Jahre mit der Fertigstellung ihrer
Bibliographie ausgelastet sein wird, möchte man sich wünschen, daß
andere Bibliographen aus der Schule der analytischen Druckforschung
sich ans Werk machten um weitere der großen französischen Autoren der
Aufklärung nach dem Vorbild der Rousseau-Bibliographie zu bearbeiten.
Aus einer Anfrage an seine Bibliothek von Anfang 1994 weiß der
Rezensent davon, daß D. L. Adams (Manchester) für die Voltaire
Foundation eine Bibliographie der Werke von Denis Diderot bis 1900
vorbereitet. Und wenn die Voltaire Foundation eines Tages eine
Bibliographie der Werke ihres Namengebers auf den Weg brächte, wäre
das ein Jahrhundertereignis.
sh
Zurück an den Bildanfang