Der Neuauflage ist ein Geleitwort Hans-Dietrich Genschers beigegeben, der die Chronik als wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit lobt. Wer mehr über Idee und Anspruch des Werkes erfahren will, ist auf den Klappentext angewiesen. Mit der Wiedervereinigung sei Deutschland "ein neues Land geworden", heißt es dort. Die Chronik zeige als "kompetentes Nachschlagewerk" "die Geschichte des deutschen Volkes in allen Facetten" und biete mithin "ein neues Buch zur Geschichte eines neuen Landes". Bei eigener Nachprüfung geben freilich sowohl die Auswahl als auch die Zuverlässigkeit des Berichteten schnell Anlaß zu Kritik. So thematisiert die Chronik auf den neun Seiten für die Jahre 1983/84 u.a. den "Skandal um falsche Hitler-Tagebücher", ein Lindenberg-Konzert in Ost-Berlin, die sportlichen Erfolge des HSV, die "Diskussionen um Julius Hackethal" und das Familiendrama im Hause Scholz ("Boxer Scholz erschießt Ehefrau"). 1993/94 erhalten "TV-Motzki", "Franzi im Goldrausch", der Kaufhauserpresser "Dagobert", Formel-1-Weltmeister "Schumi" sowie Fußballmeister Bayern München einen speziellen Beitrag. Geschichte gerät hier zu einer Abfolge von flachen Sensations-Histörchen. Abgesehen von derlei Konzessionen an Fernsehwelt und Regenbogenpresse sind zahlreiche Sachverhalte falsch oder allzu holzschnittartig dargestellt. Daß Italien bereits zur Stauferzeit eine "nationale Position" gegenüber dem deutschen Kaiser bezogen habe (S. 209), ist z.B. von der Forschung hinreichend widerlegt. Ebensowenig trat das Kurfürstenkolleg zu jener Zeit schon als geschlossener Wahlkörper auf (S. 210). Grob vereinfachend ist die Formulierung, daß die Vormachtstellung Preußens nach 1871 "eine mögliche demokratische Entwicklung im Reich" gehemmt habe (S. 594). Genauso ungenügend bleibt die Version, wonach die Weimarer Republik in erster Linie am "Versailler Diktat" [sic!], "der wirtschaftlichen Unsicherheit" und der "Ausnutzung der liberal-demokratischen Verfassungsbestimmungen durch ihre Gegner" gescheitert sei (S. 774). Selbst einfache Schullehrbücher zeichnen differenziertere Bilder. Die Chronik der Deutschen ist somit ein attraktiv aufgemachtes, doch kein bedeutendes Werk. Für wissenschaftliche Bibliotheken ist es entbehrlich.
Achim Bonte