Etwa je 100 illuminierte Handschriften aus vorromanischer und
romanischer Zeit werden heute im Bamberg verwahrt, von denen vor allem
die Prunkstücke von der Reichenau und aus Seeon aus dem 10. und 11.
Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich
gezogen haben,[2] während die Bestände des 12. Jahrhunderts der
Öffentlichkeit dagegen weitgehend unbekannt geblieben sind. Da der
Gesamtbestand an illuminierten Handschriften aus der Zeit vor 1200 für
einen einzigen Katalogband zu umfangreich ist, entschied man sich mit
einigen Bedenken, die besser bekannten Bestände des 6. bis 11.
Jahrhunderts vorerst zurückzustellen und mit der kunsthistorischen
Erschließung der Handschriften des 12. Jahrhunderts zu beginnen.
Folgerichtig hat der hier vorzustellende Katalog als Band auch die
Zählung 2 erhalten, obwohl der erste Band noch nicht erschienen ist.
Er beschreibt und dokumentiert in 254 Abbildungen (davon 14 farbig) in
Originalgröße und in 11 Vergleichsabbildungen 97 Handschriften der
Bamberger Staatsbibliothek aus der Zeit zwischen 1100 und 1200, von
denen 71 (Kat. Nr. 1 - 71) mit Sicherheit oder mit größter
Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise auch in Bamberg entstanden
sind; 26 Handschriften aus dem gleichen Zeitraum wurden außerhalb
Bambergs geschrieben und illuminiert, davon zwei in Süd- und
Westdeutschland (Kat. Nr. 72 - 73), neun in Italien (Kat. Nr. 89 - 97)
und 15 in Frankreich (Kat. Nr. 74 - 88). Die Beschreibungen der
Handschriften folgen den oben vorgestellten Richtlinien der DFG;
Signaturenkonkordanz, Abbildungsverzeichnis sowie zwei Register (ein
Personen-, Orts- und Sachregister sowie ein Spezialregister für
Buchschmuck, Ikonographie und Einband) erschließen den vorbildlich
gearbeiteten Band.
Die Einleitung der Autorin (S. XI - XLV), die die in den
Katalogbeschreibungen zusammengetragene Vielzahl von
Einzelbeobachtungen unter neuen Gesichtspunkten zu einem
Gesamtüberblick ordnet, ist ein bemerkenswerter Essay zur Geschichte
der bisher kaum erforschten Bamberger Buchmalerei des 12.
Jahrhunderts. Nachdem die Autorin mit wenigen Strichen die
allgemeinhistorischen und bibliotheksgeschichtlichen Rahmenbedingungen
für die Bamberger Bücherproduktion im 11. und 12. Jahrhundert
skizziert und die wichtigsten handelnden Personen, die bischöflichen
Auftraggeber von Otto I. (1102 - 1139) über Eberhard II. (1146 - 1170)
bis zu Otto II. (1177 - 1196) ebenso wie die wenigen namentlich
bekannten Buchmaler vorgestellt hat, arbeitet sie in einem
stilgeschichtlichen Überblick die wesentlichen Etappen der Bamberger
Buchmalerei des 12. Jahrhunderts heraus. Es zeigt sich, daß die
Ausgangssituation um 1100 Grundstrukturen aufweist, die ähnlich auch
in anderen Zentren des Reiches - beispielsweise in Köln, Corvey und
Werden - spürbar sind: Rückgriff auf und Orientierung an älteren
Vorbildern und Stilelementen charakterisieren die Ausstattung der
Handschriften. Spätestens seit dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts
bestimmt dann das vielköpfige Skriptorium im Kloster Michelsberg die
Bamberger Buchproduktion. Die Michelsberger Maler bevorzugen - wohl
unter dem Einfluß der Hirsauer Reform - die Zeichentechnik.[3] Um die
Mitte des Jahrhunderts werden ältere Handschriften nachträglich
illuminiert. Die Deckfarbenmalerei setzt sich - vermittelt durch
Beziehungen zum Kunstkreis um St. Peter in Salzburg - erst im letzten
Viertel des 12. Jahrhunderts durch. Etwa zur gleichen Zeit mit diesem
Wandel machen sich Tendenzen bemerkbar, die für das Bamberger
Skriptorium wie auch für die Bamberger Schule weitreichende
Konsequenzen haben sollten: Bamberger, die vor allem in Frankreich
studiert haben, bringen moderne französische Literatur mit
zeitgenössischem französischem Buchschmuck in ihre Heimat mit. Ein
kurzer Abschnitt über die spätmittelalterliche und neuzeitliche
Geschichte der Bamberger Sammlungen und über deren Einbände rundet
diesen Essay ab. Der Reichtum an Einzelbeobachtungen in den
Beschreibungen und in der Einleitung kann hier nicht einmal angedeutet
werden. In Einzelfällen - wie beispielsweise bei dem berühmten
Bamberger Schreiberbild (Kat. Nr. 30) - bietet die Autorin neue und
überzeugende Interpretationen auch des Gewohnten. Auch die Umdatierung
mancher Handschrift wird gut begründet und erscheint stichhaltig.[4]
Auch wenn man sich der Tatsache bewußt bleibt, daß in der Regel eher
die traditionell anerkannte als die neueste Literatur anspruchsvoll
ausgestattet wird, so wirft doch die Zusammensetzung der in diesem
Katalog versammelten Handschriften ein bezeichnendes Licht auf das
schulische und geistige Klima im Bamberg des 12. Jahrhunderts. Die
Bamberger Domschule, deren Ruhm im 12. Jahrhundert noch hell strahlt,
sinkt in der Mitte des 13. Jahrhunderts zu einer Schule nur noch
regionaler Bedeutung herab.[5] Die Zusammensetzung der im 12.
Jahrhundert in Bamberg mit Initialen, Federzeichnungen oder
Deckfarbenmalerei ausgestatteten Handschriften bietet dafür eine
Erklärung. So wie die Bamberger Domschule noch im 12. Jahrhundert
ihren Ruhm im wesentlichen den traditionellen Fächern der Artes
liberales, vor allem der Grammatik, der Rhetorik und der Komputistik
verdankt, so überwiegen unter den des Buchschmucks für würdig
befundenen Werken neben einigen Liturgica in überwältigender Zahl die
Texte der Patristik und der älteren Theologie. Die in die Zukunft
weisenden Handschriften der Glossa ordinaria zur Bibel, der
frühscholastischen Theologie mit ihrem 'dialektischen' Zugriff auf die
autoritativen Textbücher, der Kanonistik und der Legistik sind, sofern
überhaupt vorhanden, Importware aus Frankreich und Italien. Den
aufstrebenden Schullandschaften der Ile-de-France und später dann den
Universitäten in Paris und Bologna, den Pflanzstätten der neuen
Wissenschaften und der Rezeption des antiken und arabischen Wissens,
kann man in Bamberg und im Reich nichts Gleichwertiges mehr
entgegensetzen. Das Diktum des Alexander von Roes aus den achtziger
Jahren des 13. Jahrhunderts, nach dem den Deutschen das 'imperium',
den Italienern das 'sacerdotium' und den Franzosen das 'studium', die
Wissenschaft also, zustehen sollte, gilt allem Ruhm der Bamberger
Schule zum Trotz schon einhundert Jahre früher für die schulische und
soziale Wirklichkeit des Reiches.
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