Doch das war nicht der einzige Grund dafür, daß Historiker der
Literatur schon im 19. Jahrhundert auf die Gattung "Zeitschrift"
aufmerksam wurden - von 1845 datiert übrigens der erste umfassende
Versuch zu ihrer geschichtlichen Darstellung[3] -, auch die frühen
Literaturgeschichten der Neuzeit lassen sich unproblematisch auf die
kritischen Anteile ihrer Verfasser an den von ihnen geführten oder
genutzten Literaturzeitschriften zurückführen. Ohne die von ihnen hier
selbst angelegten "Materialspeicher" wären die Werke von Wolfgang
Menzel,[4] Julian Schmidt[5] und Rudolf Gottschall[6] nicht annähernd so
detailreich ausgefallen.
Dieser Rückblick ruft die mit dem "Jungen Deutschland" und mit der
sonstigen engagierten Literatur dieser Zeit zu datierenden und über
viele Jahre bestehenden Bindungen zwischen dichterischem Schaffen und
journalistischer Tätigkeit namhafter Autoren in die Erinnerung, und es
ist daher nicht zufällig, daß die Aufgabe zur inhaltlichen
Erschließung dieser Periodika von Forschern aufgenommen worden ist,
deren hauptsächliches Arbeitsgebiet das frühe 19. Jahrhundert ist; H.
H. Houben[7] und A. Estermann[8] sind Zeugen dafür.
Die von Houben 1904 - 1912 mit Förderung durch eine eigens hierfür
gegründete Gesellschaft herausgegebenen sechs Bände eines
Bibliographischen Repertoriums[9] dienten vornehmlich der inhaltlichen
Beschreibung und Öffnung durch Register von Zeitschriften und
Almanachen der Romantik, des Jungen Deutschland und der
Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung. Es waren hier also die
Gattungen Journal, Taschenbuch und Feuilleton einer Zeitung vertreten,
ein Spektrum, das man später in dieser Breite nicht mehr in einem
einzigen Vorhaben vorfinden wird. Obwohl erst das alphabetische Sach-
und Namenregister den Zugang zu den Vorlagen ermöglichen würde, stand
für die Bearbeiter bald fest, daß dessen Herstellung nicht unmittelbar
möglich war.[10] Vielmehr mußten erst Voraussetzungen geschaffen werden,
auf denen die Registerarbeit fußen konnte. Denn "nur der Text kann in
ein berechtigten Ansprüchen genügendes Register aufgeteilt werden, der
so gut wie keine Rätsel mehr birgt. Einen solchen Text haben die
Zeitschriften an sich keineswegs. Vielmehr diesen Text zu schaffen,
war unsere erste Aufgabe und auch die schwierigste. Das Register war
darauf nur eine leichte Buchung der vorher gewonnenen Resultate".[11] Um
das zu leisten und auch für den künftigen Historiker das Umfeld jedes
einzelnen Beitrages sichtbar zu machen, wurden von jedem Periodikum
dessen Entstehungsgeschichte ausführlich (mit Abdruck von
Briefzeugnissen, Werbeschriften etc.) skizziert, programmatische
Erklärungen der Herausgeber und Redakteure (dasjenige, was Estermann
später unter die Rubrik "Editorials" ordnete) abgedruckt, die
Wirkungsgeschichte anhand von Hinweisen auf Rezensionen belegt, und
schließlich wurde die Überlieferung mit der Übersicht der dem
Bearbeiter bekannt gewordenen Exemplare dokumentiert. Jede Vorlage -
insgesamt sind auf diese Weise 34 Zeitschriften und 19 Almanache
bearbeitet worden - erhielt dann eine genaue Beschreibung in der
Abfolge der Hefte und Beiträge mit der Skizzierung des Inhalts, wobei
alle erläuterungsbedürftigen Stellen kommentiert, Beziehungen und
Anspielungen sichtbar wurden und darüber hinaus auf spätere Abdrucke
in Aufsatz- oder Gedichtsammlungen der Autoren aufmerksam gemacht
wurde. Das Bibliographische Repertorium war die Arbeit von
Philologen.
Diese behagliche Ausführlichkeit macht die Bände auch heute noch zu
einer anregenden Lektüre; sie läßt die Möglichkeit offen, nicht nur
angeleitet durch die alle diese Nuancen auffangenden Bandregister aus
eigenen Assoziationen Fakten zu verbinden oder zu scheiden. Bearbeiter
und auch Leser der beschreibenden Teile setzen den gründlichen Kenner
der Materie voraus, während die "leichte Buchung" für die Register
mechanisch gehandhabt werden konnte. Es stellte sich aber sehr schnell
heraus, daß sich diese Art der Darstellung nur auf kurzlebige
Periodika anwenden ließ.[12] Schließlich haben die für die Arbeit
erforderlichen finanziellen Aufwendungen den Abbruch des Vorhabens
beschleunigt und der Weggang Houbens aus Berlin, wo sich der
unentbehrliche, die Arbeit stützende Literaturfundus befand,
besiegelt. In der Literatur findet man kaum ein Wort des Bedauerns,
eher die Erinnerung an den Versuch, eine Utopie zu realisieren: die
Literaturforschung hatte sich inzwischen geisteswissenschaftlichen,
mehr immateriellen Fragen zugewandt. Daß dennoch der Wunsch nach einer
Wiederaufnahme nicht erloschen war, zeigt die bei der Gründung des
kurzlebigen "Instituts für deutsche Sprache und Literatur" in der
damaligen Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1952)
vorgesehene bibliographische Verarbeitung der wichtigsten
Zeitschriften des 19. Jahrhunderts[13] nach dem Houbenschen Muster.
Die akademischen Vorüberlegungen haben jedoch keine feste Gestalt
erlangt.[14] Erst die literarische Traditionssuche in den 60er Jahren,
als es darum ging, Kontinuität zu sichern, die Gefahr lief in Verlust
zu geraten, entsann sich solcher Beweismittel der literarischen
Dokumentation. Das geschah vornehmlich an zwei Stellen: bei der
Exilliteratur, vornehmlich der gesellschaftlich engagierten, die sich
vielfach in Zeitschriften manifestiert hatte, und bei der
wiederentdeckten Literatur des Expressionismus. Vor allem waren es die
beiden Dokumentationen Paul Raabes, Die Zeitschriften und Sammlungen
des literarischen Expressionismus (1964) und sein Index
Expressionismus (1972), mit denen neue Darstellungsmuster angeboten
wurden.[15] Dagegen knüpfte die von der Deutschen Akademie der Künste
(der DDR) aufgetane Reihe Analytische Bibliographien deutschsprachiger
literarischer Zeitschriften (ab 1969)[16] an Houbens Vorbild an. Jede
Zeitschrift erhielt ihre Monographie bestehend aus einem Heft für Heft
beschreibenden und einem registrierenden Teil, der zugleich eine
kommentierende Aufgabe übernahm. Bei diesem Vorhaben erwies es sich
erneut, daß das Verfahren mehr zur Erschließung relativ kurzlebiger
Periodika geeignet ist.
Für Raabes Buch über die expressionistischen Zeitschriften und
Sammlungen - es ging im Gegensatz zu den monographischen Darstellungen
um einen Komplex von nahezu 200 zu beschreibenden Positionen - wurde
eine verkürzte und auf jeweils vier Abschnitte standardisierte Form
der Darbietung gewählt: die Titelbeschreibung mit Angaben über
Veränderungen, Herausgeber- und Verlagswechsel, der Nachweis möglichst
zahlreicher Exemplare in öffentlichen Bibliotheken, die Beschreibung
der Zeitschrift (ihre inhaltliche Bestimmung, Anführungen aus
Vorworten und Programmen als "Beiträge zum Selbstverständnis der
expressionistischen Literatur"),[17] schließlich das Verzeichnis "aller
vorkommenden Mitarbeiter in Form summarischer alphabetischer Listen".
Diese Beschränkung auf die Funktion einer Brücke vom
Informationssuchenden zu den Originalen hat für anschließende
Aufbereitungen größerer Zeitschriftenkomplexe als Vorbild gewirkt. Das
Handbuch der deutschen Exilpresse[18] von Lieselotte Maas ist ganz
ähnlich angelegt, und Alfred Estermanns Die deutschen
Literatur-Zeitschriften 1815 - 1850[19] bekennt sich allein schon mit der
Widmung an Paul Raabe zu diesem Vorbild. Auch hier die Vierteilung in
Titelbeschreibung, Exemplarnachweis, programmatische Zitate
("Editorials") und Namenlisten der Mitarbeiter, die bei den über viele
Jahre, ja jahrzehntelang existierenden Periodika in Dekaden unterteilt
sind, was sowohl die Übersichtlichkeit fördert, als auch Veränderungen
im Bestand deutlich macht. Neu sind Hinweise auf Autoren, die in
größeren Beiträgen dargestellt sind, und auf ausgewählte Besprechungen
einer Zeitschrift in der gleichzeitigen Presse.
Die Weiterführung dieses Repertoriums über 1850 hinaus bis an das
Grenzjahr 1880,[20] bei dem ein Anschlußunternehmen von Dietzel und
Hügel[21] einsetzt und das mit diesem zugleich erschien, ist leider um
eine Leistung vermindert worden, nämlich um die Mitarbeiterlisten.
Auch Dietzel und Hügel schränken diesen Part stark ein und nennen
zuweilen willkürlich ausgewählte Namen bei ihren Zeitschriften. Die
abermalige Fortführung von Fischer und Dietzel[22] hat dieses Defizit
ausgeglichen und bei allen bemerkenswerten Titeln sogar jahrgangsweise
die jeweiligen Autoren namhaft gemacht.
Alle diese Unternehmungen hatten vor dem Tor zu einer differenzierten
inhaltlichen Erschließung der beschriebenen Periodika Halt gemacht.
Aber auch hierfür gab es einen Lösungsversuch mit Paul Raabes Index
Expressionismus,[23] in dessen 18 Bänden es unternommen wurde - mit den
damals zur Verfügung stehenden Mitteln der Datenverarbeitung - alle
Beiträge in den vorher nur beschriebenen Zeitschriften und Sammlungen
einzeln namhaft zu machen und nach mehreren Kategorien zu ordnen.
Wenig später begannen Paul Hocks und Peter Schmidt als ersten Teil
eines geplanten Index zu deutschen Zeitschriften der Jahre 1773 - 1830
mit einer umfassenden Information über die Beiträge in Zeitschriften
der Berliner Spätaufklärung,[24] ein Vorhaben, das leider nicht
weitergeführt wurde.
Hieran schloß sich das Göttinger Akademievorhaben von Klaus Schmidt
eines Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750 - 1815 an,[25] der
wichtige Literaturzeitschriften berücksichtigte, aber nicht auf sie
beschränkt war. Das Ergebnis verblieb vorerst in Form gespeicherter
Informationen und erschien später auf Mikrofiches; die verheißene
"Papierausgabe" liegt bislang nicht vor, jedoch wurde ihr Erscheinen
im September 1996 erneut angekündigt. Dieser Index gliedert sich in
die Abteilungen 1. Autoren, Mitarbeiter, Übersetzer, Bearbeiter (also
Autoren im weiteren Sinne), 2. Rezensierte Werke, 3. Schlagwörter nach
Personenbezügen, 4. nach geographischen Bezügen und 5. nach
Sachbezügen.
Die Inhaltserschließung für das 19. Jahrhundert war hinter diesen
Angeboten zurückgeblieben. Das erste Vorhaben[26] von Estermann hatte
sich mit der Registrierung aktiv und passiv vertretener Personennamen
begnügt. Der zweite Versuch ist hier als eine spezielle
Zeitschrifteninhaltsbibliographie mit Auswahl charakterisiert worden,[27]
wobei die Kriterien nicht ausreichend genau beschrieben worden waren.
Immerhin konnte ein "zögernder Anfang einer Inhaltserschließung"
konstatiert werden. Das Defizit wurde besonders deutlich im Blick auf
die ohne Mitarbeiterverzeichnisse dokumentierten Zeitschriften der
Jahre 1850 - 1880.
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