Kurz nach dem Erscheinen des New Grove (1980), begann 1983 in Italien
die Publikation des Dizionario enciclopedico universale della musica e
dei musicisti (DEUMM). Herausgeber dieses Werkes wie seines
Vorgängers[4] ist der seit 1961 als Dozent für Musikgeschichte am
Konservatorium in Turin und seit 1974 als Leiter von dessen Bibliothek
tätige, durch zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesene Alberto Basso
(der bemerkenswerterweise im Fach Jura promoviert hat). Auch das DEUMM
besteht aus zwei Teilen, dem Lessico und den Biografie und enthält
insgesamt ca. 42.000[5] Lemmata. Davon entfallen ca. 5500 Artikel und
ca. 9500 Verweisungen auf den Lexikonteil, ca. 20.000 Artikel mit ca.
2000 Verweisungen auf den Biographienteil und ca. 5000 Einträge auf
den Nachtragsband, der Personen aller Zeiten, aber keine Sachartikel
enthält. Im Nachtragsband nehmen u.a. Komponistinnen - "un campo
questo che, anche per quanto concerne il passato, solo in questi
ultimi tempi è emerso dalle tenebre"[6] (Vorwort S. VI) - einen breiten
Raum ein. Jeder Band (mit Ausnahme des Nachtragsbandes) nennt dessen
Mitarbeiter nur mit Namen und Ort, ohne die von ihnen beigesteuerten
Artikel; eine Gesamtübersicht fehlt.[7] Band 8 der Biografie enthält,
ebenso wie der Nachtragsband, eine Liste der während der Drucklegung
verstorbenen Personen.
Es mag als typisch italienische Inkonsequenz erscheinen, wenn im
Vorwort des Nachtragsbandes die Zahl der Einträge nicht mehr wie zuvor
nach Artikeln und Verweisungen differenziert wird und ein
Mitarbeiterverzeichnis gleich ganz fehlt. Von der Qualität her kann es
das DEUMM aber durchaus mit dem New Grove aufnehmen, und man muß auch
nicht unbedingt der italienischen Sprache mächtig sein, um
Informationen wie die Lebensdaten und Werke eines Komponisten oder
Literaturangaben nutzen zu können.
Der New Grove und das DEUMM sind umfassender als die MGG, zum einen
was die Zahl der Artikel betrifft - ca. 22.500 beim New Grove bzw. ca.
30.500 (ohne Verweisungen) beim DEUMM gegenüber ca. 12.300 bei der
alten MGG[8] -, zum anderen was die inhaltliche Konzeption angeht.
Während
die außereuropäische Musik auch in der MGG vertreten ist, ist der
Anteil an nichtklassischer Musik wie Jazz, Rock, Pop u. dgl. in der
alten MGG verschwindend gering,[9] während es sich durchaus lohnt, für
diesen Bereich New Grove und DEUMM heranzuziehen. Hier bietet übrigens
auch die neue MGG[10] - sie ersetzt ebenfalls nicht ihre Vorgängerin,
sondern
setzt sie vielmehr fort - keine wesentliche Änderung. Die neue MGG
beschränkt sich in diesem Bereich im wesentlichen auf
Übersichtsartikel, nämlich Jazz mit 37 und Jazz-Rezeption mit 18
Spalten und das, obwohl hier doch "ein Gegenstand mit bereits
erheblicher und komplexer Geschichtstiefe" (Vorwort S. IX) vorliegt.
Die Herausgeber der neuen MGG lassen sich zwar zu einem Vergleich mit
dem etwas abschätzig als "Lexikon" charakterisierten New Grove herbei
- das DEUMM ist ihnen entweder gar nicht bekannt oder sie ignorieren
es - und betonen den Charakter der neuen MGG als "Enzyklopädie" mit
Inhalten, die dem traditionellen Kanon musikwissenschaftlich
relevanter Themen genügen sollen: "[eine Neufassung der MGG] wurde
auch durch das Erscheinen des New Grove Dictionary 1980 nicht
überflüssig - des bisher einzigen Musiklexikons, das nach Konzept und
Umfang der MGG vergleichbar ist, das aber einerseits sehr viel stärker
lexikalisch als enzyklopädisch orientiert und das andererseits
deutlich auf ein (breiteres wie wissenschaftliches) angelsächsisches
Publikum zugeschnitten ist und sein will - so wie die MGG von Anfang
an, bei aller internationalen Öffnung und Verflechtung, Akzente
gesetzt hat, wie sie der deutschen Traditionslinie des Faches
entsprechen" (Vorwort S. VIII). Sie läßt damit neuere Entwicklungen
- wie die Einrichtung von Studiengängen der Popularmusik an den
Musikhochschulen in den letzten Jahren - außer Acht.
Um so erfreulicher ist somit die Tatsache, daß jetzt auch eine
erschwingliche Taschenbuchausgabe des New Grove vorliegt, obwohl man
aus Erfahrung weiß, daß dies nur den letzten Akt in der
Vermarktungsstrategie darstellt, da Taschenbuchausgaben in der Regel
erst dann erscheinen, wenn die Neubearbeitung des Originalwerks[11]
längst in Auftrag gegeben ist: das ist beim New Grove nicht anders als
damals bei der broschierten Ausgabe der alten MGG.
Alle drei - der New Grove, die MGG und das DEUMM - behandeln ansonsten
alle Bereiche der Musik so wie sie selbstverständlich besonders
ausführlich die Musik ihrer Entstehungsländer berücksichtigen: die der
englischsprachigen bzw. der deutschsprachigen Länder sowie die
Italiens. Gleichwohl informieren alle drei mit enzyklopädischer Breite
und Tiefe über systematische und vergleichende Musikwissenschaft,
Musikgeschichte, -theorie, -terminologie, -ästhetik, -physiologie,
-soziologie, -psychologie, - erziehung, -ikonographie, -instrumente,
Harmonik, Akustik, Volks- und außereuropäische Musik. Alle drei (bei
der MGG liegen natürlich noch nicht alle entsprechenden Artikel vor)
enthalten bibliothekarisch und bibliographisch relevante Artikel wie
Dictionaries and encyclopedias of music (29 S.) bzw. Dizionari (8 S.);
Libraries (102 S.) bzw. Biblioteche musicali (34 S.); Sources (163 S.,
davon Sources, MS mit 50 S.) bzw. Manoscritti (8 S.); Editions,
historical (21 S.), Denkmäler und Gesamtausgaben (23 S.) bzw.
Monumenti musicali (59 S.); Periodicals (28 S.) bzw. Periodici
musicali (37 S.); Printing and publishing of music (42 S.) bzw. Stampa
musicale (12 S.) mit Übersichten in Listenform. Über den Artikel
Sources, MS läßt sich oft die Edition einer handschriftlichen Quelle
nachweisen, deren Herausgeber und genauen Titel der Benutzer meist
nicht kennt, da ihm nur die Quelle selbst bekannt ist. Stampa musicale
führt nach Ländern, innerhalb alphabetisch geordnet, Verlage mit den
Jahren ihrer Aktivität auf, Angaben, mit deren Hilfe sich manchmal ein
Notendruck wenigstens ungefähr datieren läßt. Von besonderer Bedeutung
und großer Qualität sind die ausführlichen Werkverzeichnisse - beim
New Grove und im DEUMM - in tabellarischer Form, nach Gattungen und
Besetzungen untergliedert, innerhalb chronologisch - und
Bibliographien internationaler, selbständig und unselbständig
erschienener Literatur - auch diese chronologisch, wobei umnfagreiche
Abschnitte
systematisch untergliedert sind. Dagegen ist die Benutzung des
kompress in zweispaltigem Layout gesetzten Textes der alten MGG - auch
der Werkverzeichnisse in Listenform - äußerst mühsam und die Suche
eines im Registerband gefundenen Begriffes wird zum Alptraum.
Gegenüber den ca. 4500 Abbildungen des New Grove begnügen sich sowohl
die neue MGG - kleine Abbildungen in Spaltenbreite - als auch das
DEUMM - ca. 32 Tafeln je Band - mit wenigen Illustrationen. Das DEUMM
enthält erfreulich zahlreiche Namensverweisungen, so daß sich oft eine
Person im New Grove erst dann nachweisen läßt, nachdem im DEUMM eine
andere Namensform als die vorliegende ermittelt wurde. Auch lohnt es,
die Werkverzeichnisse des New Grove und des DEUMM nebeneinander zu
benutzen. Es kommt z.B. vor, daß zwei Fassungen eines Musikstückes im
einen Lexikon beim ursprünglichen Titel nachgewiesen werden, im
anderen
dagegen zwei Einträge erhalten, was die Suche erleichtern kann. Auch
die Angaben zu einzelnen Stücken können voneinander abweichen und sich
somit ergänzen wie z.B. bei der Übersicht über die Kanons Mozarts:
sowohl der New Grove als auch das DEUMM geben KV-Nummer der 1. und 6.
Ausg. des Köchel-Werkverzeichnisses, Titel, Ort und Datum der
Entstehung und Band der neuen und alten Gesamtausgabe. Der New Grove
gibt zusätzlich die Tonart, das DEUMM die (vor dem Beginn der alten
Gesamtausgabe 1876) erschienenen Erstausgaben. Die Rezensentin benutzt
bei ihrer Arbeit in der Musikabteilung der Württembergischen
Landesbibliothek täglich beide Werke gleichberechtigt nebeneinander
und könnte auf keines der beiden verzichten.
2. Mittelgroße Lexika
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