In seiner Anlage ist das Buch bis heute unverändert geblieben. Der 1.
Abschnitt vermittelt die Grundregeln und Spielgesetze, der 2. ist der
Eröffnungslehre, der 3. den Endspielen gewidmet. Der 1. Abschnitt, der
in 14 Unterabschnitte gegliedert ist, macht die Spieler mit
Aufstellung und Gangart der Steine bekannt und erklärt wichtige
Begriffe und Stellungen wie Matt, Patt, Rochade und Remis. Im 11.
Unterabschnitt, der nicht stringent alphabetisch geordnet ist, werden
Übliche Fachausdrücke erläutert, wobei der Begriff en passant hier
noch zu ergänzen wäre.[1] Die Spielgesetze (14. Unterabschnitt) sind
sehr knapp gehalten; bei einer Neuauflage sollte man vielleicht die
vollständigen Spielregeln des Weltschachbundes (Teil 1: Allgemeine
Regeln; Teil 2: Ergänzungsregeln für Turniere) abdrucken, zumal das
Werk - wie dem Vorwort zu entnehmen ist - auch für künftige
Turnierspieler gedacht ist.
Der umfangreichste Teil des Buches bringt eine ausführliche Typologie
der Eröffnungen, die in offene, halboffene und geschlossene Spiele
gegliedert ist. Die einzelnen Eröffnungen werden eingehend beschrieben
und anhand eines trefflichen Beispielmaterials kommentiert. Hier zeigt
sich der lehrhafte Charakter des Buches: Dem Leser werden die Vor- und
Nachteile bestimmter Spielzüge und Stellungen geschildert, die
Absichten der Spieler nahegebracht, Varianten aufgezeigt usw., so daß
er sich beim Nachspielen der Partien eine gute Vorstellung von der
Eigenart der jeweiligen Eröffnung, ihrer Schönheit und Gedankenfülle,
aber auch von ihren mitunter widersprüchlichen und fragwürdigen Zügen
machen kann.
Diese beispielhaften Eröffnungen werden jeweils ergänzt durch Partien
berühmter Schachmeister, die gleichfalls von den Verfassern sachkundig
interpretiert werden. Insgesamt sind 133 solcher Partien abgedruckt,
exakt so viele, wie in der Vorauflage auch. Allerdings wurden ca. zwei
Dutzend Partien ausgewechselt. Nach wie vor stammt der überwiegende
Teil der Partien aus der Zeit zwischen 1920 und 1960; rund 30 Partien
liegen davor, etwa ebenso viele in der Zeit danach. Die älteste hier
publizierte Meisterpartie (Nr. 44) stammt aus dem Jahre 1851,[2] die
neueste (Nr. 97) wurde bei den Dortmunder Schachtagen 1995 gespielt.
Da bei einer solchen Auswahl auch die Kriterien der Individualität und
der Ästhetik eine Rolle spielen, ist es durchaus gerechtfertigt, auf
eindrucksvolle klassische Spiele, auf "unvergängliche" und
"unsterbliche" Partien zurückzugreifen. Am Ende der geschlossenen
Spiele wird eine Reihe unregelmäßiger Eröffnungen abgedruckt, die in
theoretisches Neuland führen. Dieser Teil ist gegenüber der Vorauflage
stark überarbeitet worden.
Zum Studium der Endspiele kann der Schachfreund die Beispiele des 3.
Abschnitts heranziehen. Hier werden systematisch die strategischen und
taktischen Probleme erörtert, die sich bei vergleichsweise geringem
verbliebenen Material in der Endphase eines Spiels ergeben. Es können
in diesem Rahmen natürlich nur die Grundzüge der Endspieltheorie
anhand typischer Beispiele vermittelt werden. Die Zahl der
Publikationen zu diesem Spezialthema ist fast unüberschaubar; die von
der modernen Technik begeisterten Schachexperten können heutzutage ihr
Spiel sogar anhand einer Endspieldatenbank auf CD-ROM
perfektionieren.
Der Anhang bringt einen Historischen Teil, der bis zum Jahr 1881 (dem
Jahr der 1. Aufl. dieses Lehrbuchs) die Geschichte des Schachspiels in
gedrängter Form darstellt; im Anschluß daran werden chronologisch (bis
1995) Wettkämpfe zwischen hervorragenden Meistern aufgeführt. Der Teil
Internationale Turniere und Länderwettkämpfe ist in der Neuauflage
entfallen.[3] Das Namenregister ist gründlich überarbeitet worden. Da
viele neue Namen aufgenommen wurden, hat man in der 29. Aufl. auf die
früher übliche Angabe wichtiger Berufsstationen (Wettkämpfe, Turniere)
verzichtet, so daß jetzt als Mindestangaben Name, Vorname(n) und
Lebensjahre übrigblieben.[4] Bei einer Reihe von Namen konnten Vornamen
und Lebensdaten offenbar aber nicht ermittelt werden. Neu sind
Verweisungen von unterschiedlichen Namensformen (Yusupov s. Jussupow)
und kursiv gestellte Seitenzahlen, die auf Partien verweisen.
Das Inhaltsverzeichnis am Schluß des Bandes hat an Informationsgehalt
und Übersichtlichkeit gewonnen. Alle 133 Meisterpartien sind jetzt
hier genannt, so daß man über das Inhaltsverzeichnis gezielt die
Partien im Hauptteil auffinden kann. Durch die Verwendung von
Fettdruck und anderen typographischen Hervorhebungen ist die
Orientierung im Inhaltsverzeichnis und im Textteil verbessert worden.
Künftig aber sollte man darauf verzichten, die Partien im Textteil in
Worten zu numerieren ("Hunderterste Partie"); dann würden die
Überschriften im Textteil mit denen im Inhaltsverzeichnis exakt
übereinstimmen. Zu überlegen wäre auch, ob man ein Sachregister
hinzufügt, wobei die Üblichen Fachausdrücke (S. 29 ff.) integriert
werden könnten. Begriffe wie Wolga-Gambit, Lettisches Gambit oder
Benoni-Verteidigung[5] könnten dann schnell und gezielt nachgeschlagen
werden.
Obwohl das Buch um 40 S. erweitert wurde, ist es dank des dünneren
Papiers schmäler und damit handlicher geworden,[6] wobei die zahlreichen
Diagramme in einer gerade noch zumutbaren Größe von 3,8 x 3,8 cm
wiedergegeben werden. Der Kleine Dufresne, wie der Klassiker unter den
Schachbüchern kurz genannt wird, sollte in keiner Bibliothek fehlen;
er erfüllt nach wie vor einen doppelten Zweck, nämlich zu belehren und
zu unterhalten.
Gunter Maier
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