Es ist natürlich keine leichte Aufgabe, einen so umfassenden
Kulturbereich wie China bibliographisch in einem Band zu behandeln. Es
existiert eine solche Fülle von Material, daß Akzente zu setzen sind.
Die Autorin hat versucht, einen Mittelweg zu gehen, indem sie einen
Schwerpunkt auf die allerneueste Literatur gelegt hat. Dabei steht
chinesisch- und englischsprachiges Material im Vordergrund. Von
sonstigen Sprachen finden noch Französisch und Japanisch eine gewisse
Berücksichtigung, während anderes Schrifttum nur selten erwähnt wird;
besonders bedauerlich ist dies hinsichtlich der russischsprachigen
Publikationen. Im Bereich der Geschichte, der der Autorin besonders
naheliegt, sind wegen des Vorhandenseins einiger guter
Nachschlagewerke zum kaiserlichen[2] wie modernen China[3] zahlreiche
Titel ausgeschlossen oder mit Hinweis auf diese Publikationen
besprochen. Das gleiche gilt für frühe chinesische Texte[4] und
traditionelle chinesische Nachschlagewerke.[5] Darüber hinaus sind auch
Gebiete wie Kunst, Archäologie, Religionswissenschaft, Recht,
Missionsgeschichte nur ganz am Rande behandelt. "Sondergebiete" wie
Hong Kong und Taiwan werden nur marginal berücksichtigt. Während also
auf eine Reihe von existierenden Nachschlagewerken Bezug genommen
wird, so auch auf die exzellente Bibliographie der Bibliographien von
T. H. Tsien,[6] sind andere, wie die von P. Cheng und E. Wolff,[7] nicht
genannt.
Der Literaturführer von Wolff verfolgt eine durchaus
praktisch-didaktische Absicht - er ist für Sinologie- u.a. Studenten
gedacht. Damit kommen wir zu einem anderen Aspekt, der in diesem
Kontext denkbar wäre, nämlich die Einführung in den Umgang mit den
Bibliographien. Ist dies schon für den Bereich der westlichen Länder
ordentliches Lehrfach, so ist der Bedarf für den orientalischen
Bereich um so größer. Auch hier geht die Autorin einen Mittelweg
- hinsichtlich einiger wichtiger Punkte gibt sie nützliche und
ausführliche Hinweise, so zur Umrechnung chinesischer Daten. Generelle
Darstellungsmethode ist jedoch, im Rahmen der Gliederung in einzelne
Sachbereiche (1. Introduction, 2. Bibliographies, 3. Journals and
newspapers, 4. Biography in China: past and present, 5. China's
geography, 6. Dictionaries, 7. Encyclopedias, yearbooks, and
statistical concordances, 10. The Chinese calendar, 11. Translations)
zunächst einen einleitenden Essay zu geben, auf den dann die
annotierten Listen der betreffenden Nachschlagewerke folgen. - Ein
weiterer Aspekt der Bibliographie, der besonders im angelsächsischen
Raum eng mit dem Begriff verbunden ist (übrigens ebenso in China),
nämlich die Beschreibung von Büchern, ihren Ausgaben und Einbänden,
ihrem Erscheinungsverlauf, und der Technik dieser Beschreibung,
spielen in vorliegender Darstellung nur eine geringe Rolle.
In den Anhängen wird eine der heutzutage im Westen bekanntesten
Bibliotheksklassifikationen wiedergegeben, die des früheren
chinesischen Bibliothekars der Harvard-Universität, K'ai-ming Ch'iu
(das sog. Harvard-Yenching System). Die sonstigen Klassifikationen,
wie die der Library of Congress und das klassische Szu-k'u-System
werden in der Einleitung nur gestreift. Chinesische und japanische
Schriftzeichen sind durchweg gegeben. Als Umschrift ist die
traditionelle Wade-Giles-Umschrift gewählt worden, die ja in vielen
Bibliotheken, besonders durchweg in den USA, gebraucht wird. Die
Register umfassen Personen-, Titel- und Sachregister und erweisen sich
als sehr nützlich. Am Anfang steht eine historische Einleitung zur
Sinologie, die sich auf die Frühzeit und die Entwicklung in Frankreich
bezieht und dann auf Japan, China und die USA in der neueren Zeit
übergeht. So wertvoll insbesondere die Mitteilungen über Naitô
Torajirô, Wang Kuo-wei usw. sind, so entsteht doch ein ziemlich
unausgewogener Eindruck - ein großer Teil Europas wird nicht
berücksichtigt.
Im einzelnen fielen bei flüchtiger Durchsicht allerlei Dinge auf, die
als Anregung im Hinblick auf eine Neuauflage mitgeteilt seien:
S. 6: Among the nations of Asia (in the broadest sense), China was the
last to be studied seriously. Japan war auf jeden Fall später!
S. 7: Da bei Martin Martinis Sinicae historiae decas prima (München,
1658) auf das T'ung-chien kang-mu als Quelle hingewiesen wird, hätte
man es bei Martinis Novus atlas sinensis (Amsterdam, 1655) auch tun
können (Kuang-yü-t'u).
S. 8: Hier wird der erste Druck chinesischer Zeichen in Europa Jacob
Golius zugeschrieben. Aber bekanntlich finden sich schon drei Zeichen
in Mendozas Historia de las cosas mas notables ... de la China (Roma,
1585), die von Bernardino Escalante Discurso de la navegación que los
Portugueses hazen en los reinos y provincias del oriente (Sevilla,
1577) übernommen wurden.
S. 11: P. Amiot wird mit einem Dictionnaire mandchou-française [sic]
und einem Dictionnaire polyglotte
sanskrit-tibétain-mandchou-mongolchinois erwähnt. Ersteres heißt
korrekt Dictionnaire tartare-mantchou françois, composé d'après un
dictionnaire mantchou-chinois / rédigé [...] par L. Langlès. - Paris,
1789 - 1790. Das zweite Wörterbuch, bei dem es sich eigentlich um eine
Version des Mahâvyutpatti handelt, wurde von Amiot an die Bibliothèque
Royale geschickt und erst von Rémusat teilweise ediert: Sur un
vocabulaire philosophique en cinq langues, imprimé à Péking (Mélanges
asiatiques / Rémusat. - 1. 1825, S. 153 - 183 und 452 - 454). Insofern
hat die Autorin recht, daß letzteres schlecht erreichbar gewesen sei.
Allerdings ist es ein Spezialwörterbuch für den Buddhismus, paßt also
schlecht in die Diskussion um die Notwendigkeit eines chinesischen
Wörterbuchs in Europa.
S. 12: Wörterbuch des Basilio Brollo de Glemona; es ist wahr, daß
durch einen früheren Schreibfehler Padre Brollo meist als aus Glemona
stammend bezeichnet wurde; heute aber sollte man den Schreibfehler
Geschichte sein lassen und lieber korrekt Gemona sagen.
S. 13, Anm. 31: Hanayamas Bibliography of Buddhism (Tôkyô, 1961) ist
doch wohl ein sehr unvollkommenes Hilfsmittel, um die
Veröffentlichungen Abel Rémusats kennenzulernen. Rémusats erste
Publikation erschien keineswegs 1818, sondern bereits 1811: Essai sur
la langue et la littérature chinoises : avec cinq planches, contenant
des textes chinois, accompagnés de traductions, de remarques et d'un
commentaire littéraire et grammatical ; suivi de notes et d'une table
alphabétique des mots chinois / par J. P. Abel-Rémusat. - Paris ;
Strasbourg : Treuttel et Wurtz, 1811. - X, 160 S. : 4 Falttafeln ; 23
cm. Das chinesische Titelblatt ("gravé par Miller") ist gar 1810
datiert. - Die für 1818 erwähnte Arbeit über Jade, übrigens: Notice
sur la substance minérale appelée par le Chinois pierre de Iu / J. P.
Abel-Rémusat. // In: Journal des savants. - 1818, S. 748 - 757 ist
keineswegs Rémusats erste Veröffentlichung nach Antritt der Professur.
- Da Rémusat (mit Recht) ausführlich behandelt wird, sollte auch
Julius Klaproth (1783 - 1835) erwähnt werden, der als zweite wichtige
Persönlichkeit für die Entwicklung der europäischen Sinologie zu einer
kritischen Wissenschaft verantwortlich ist.
S. 17: ist aus dem Historiker Ludwig Riess ein Reiss geworden.
Überhaupt sind die wenigen deutschen Zitate recht ungenau (z.B. Anm.
40).
S. 31: The Germans Paul Carus and Bernard Laufer, both at the
University of Chicago ... Ob Paul Carus unbedingt bei den Sinologen
genannt werden muß, wenn bedeutendere Namen auf diesem Gebiet fehlen,
sei dahingestellt. Laufer, übrigens nicht Bernard, sondern Berthold,
lehrte nicht an der Universität, sondern war Kustos am Field Museum.
S. 34, Anm. 91: Über die Sammlungen der Library of Congress hat nicht
Shu Chao-hu, sondern James S. C. Hu gearbeitet.
S. 61: Das Autorenregister zu Cordiers Bibliotheca sinica ist nicht
nur "somewhat unreliable in part", sondern enthält nur gut 50 % der im
Originalwerk verzeichneten Namen. - Yüang Tung-lis China in Western
literature enthält nicht nur "monographs in English, French, German,
and Portuguese", sondern auch auf Schwedisch und Lateinisch,
wahrscheinlich auch Spanisch und Italienisch (nicht geprüft).
S. 62: Die Qualität von John Lusts Western books on China ... in allen
Ehren, aber warum ist gerade dieser Bibliothekskatalog "an invaluable
source for following publishing trends on China in Europe"? All das
findet sich auch bei Cordier u.a.
S. 64: Revue bibliographique de sinologie: "The value of this series
is that it 'introduces' the beginning student to the names of
well-known scholars and publications". Das erscheint doch als sehr
vordergründig. Die Revue ist ein wertvolles Hilfsmittel auch für den
Spezialisten, der weder Zeit noch Gelegenheit hat, alle Publikationen
selbst durchzulesen und so bequem die Abstracts durchsehen kann.
S. 69: Hervouet und Balazs waren Herausgeber, nicht Autoren der Sung
bibliography.
S. 71: Zu W. Bauers German impact on modern Chinese intellectual
history (1982) ist ein umfangreicher Index[8] erschienen, da das Werk
ohne Index kaum zu gebrauchen ist.
S. 74: Es ist bedauerlich, daß das immens wichtige Wörterbuch
Hôbôgirin ohne Annotation geblieben ist, auch wenn es nur in
Lieferungen sehr langsam erscheint.
S. 79: Die jährlich in der Zeitschrift Isis erscheinende Bibliographie
gibt einen Überblick über neue Publikationen zur
Wissenschaftsgeschichte. Insofern sollte die Eintragung nicht auf die
hier genannte 96. Bibliographie aus dem Jahre 1971 beschränkt
bleiben.
S. 120: Die Liste wichtiger chinesischer Zeitschriften gibt keinerlei
Auskunft über Beginn und Erscheinungsort.
S. 142: Bei der Erläuterung chinesischer Namen wäre doch ein Hinweis
auf W. Bauers umfangreiche Habilitationsschrift Der chinesische
Personenname (Wiesbaden, 1959) zu erwarten.
S. 164: Retsujoden sakuhin, wohl eher Index zu Ausgaben des
Lieh-nüchuan, als "index to various traditional biographies of
virtuous women".
S. 268: Das Szu-k'u ch'üan-shu war großenteils nicht gedruckt.
Insofern kann es sich nur teilweise um ein Faksimile handeln, nämlich
der Teile, die während der Republik gedruckt wurden.
S. 320: Sources of Chinese traditions. Die Beschreibung ist nicht
unrichtig, aber die Vielfalt der Texte ist doch eher literarisch und
philosophisch ausgerichtet. Die Sammlung unter Official documents
einzureihen, scheint etwas einseitig.
S. 271: Pai-pu ts'ung-shu. Die Angabe, daß es sich um eine "large
number of ts'ung-shu found on Taiwan" gehandelt habe, ist richtig. Es
könnte jedoch der Eindruck entstehen, es handele sich um etwas
speziell Taiwanesisches, was nicht der Fall ist. Selbstverständlich
mußte man die Originale besitzen, um den Neudruck zu unternehmen. Die
"large number" ist hundert, wie der Titel sagt.
S. 285: Man-wen T'u-erh-hu-t'e tang-an i-pien ... Manchu archives of
T'u-erh-hu-t'e. Das ist zwar korrekt, führt aber nicht weiter. Es
handelt sich um eine Auswahl aus den Dokumenten über die Torguten,
einen mongolischen Stamm, der während der Ch'ien-lung-Zeit aus Rußland
nach China zurückkehrte. Sven Hedin hat übrigens diesen Vorgang in
seinem Buch Jehol eindrucksvoll geschildert.
S. 286: Chung-kuo hai-kuan mi-tang - Ho-te, Ching-teng-kan han-tien
hui-pien. Es wäre besser auf die folgende Edition zu verweisen, da es
sich ja um Originale in englischer Sprache handelt: Archives of
China's imperial maritime customs : confidential correspondence
between Robert Hart and James Duncan Campbell, 1874 - 1907. - Peking :
Foreign Languages Press, 1990. - Vol. 1 - 4.
Zusammenfassende Würdigung: Ein sehr bemühter Versuch einer
umfassenden bibliographischen Darstellung, deren Hauptschwerpunkt und
größter Nutzen in der Verzeichnung der aktuellsten chinesischen
Literatur liegt. Für die älteren Veröffentlichungen sollte man
tunlichst die Arbeiten von Teng/Biggerstaff, Cordier, Yüan, Wolff,
Tsien usw. usw. heranziehen. Der Aspekt der deskriptiven Bibliographie
verdient eine eigene Darstellung, da er hier kaum behandelt ist. Das
didaktische Element - Einführung in die Benutzung der Nachschlagewerke
- ist in einigen Fällen (Chronologie, Personennamen) im Ansatz gut
ausgeführt. Dieser Aspekt verdiente weitere Aufmerksamkeit und
Förderung.
Hartmut Walravens
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