Als Haupteinwand gegen die erste Fassung der Bibliographie, den er
selbst zu verantworten habe, nennt Eberlein das Fehlen von
Standortangaben ab 1945 (zu ergänzen vielleicht noch um das Fehlen
jeglicher Angaben zur Erscheinungsweise der Periodika). Der äußeren
Zensur sind alle die Hinweise zum Opfer gefallen, die sich auf eine
Tendenz, auf eine politische Richtung der Zeitschriften und der sie
herausgebenden Organisationen bezogen. "Hinweise auf oppositionelle
Gruppen in der KP mußten allesamt weggelassen werden, ...
Organisationen, die einwandfrei dem ideologischen Überbau zuzuordnen
sind, wurden gestrichen. Der Organisationsband verschwindet, von allen
Titeln werden die Angaben der politischen Richtung getilgt."[6] Übrig
bleibt dennoch eine eindrucksvolle Veröffentlichung von 22.875
Titelnummern, geordnet nach den Regeln der Preußischen Instruktionen
(mit Titel, Untertitel, Herausgeber und Redakteuren, Beilagen,
bibliographischen Bemerkungen, Erscheinungsort, Erscheinungszeitraum,
Vorgänger, Nachfolger, Standort - alles nach Möglichkeit -),
erschlossen durch Register der beteiligten Personen, von Schlag- und
Stichwörtern, der geographischen Begriffe und der Betriebe und
Institutionen, für die Betriebszeitungen herausgegeben wurden. In der
oben schon zitierten Kritik bemängelt Gerhard Becker, daß zuviel
kleinbürgerliche Periodika aufgenommen wurden, nicht jedoch die
Presse-Organe in der DDR, die nicht, resp. sobald sie nicht mehr von
Organisitionen herausgegeben werden, außerdem fehle die Presse der
sog. Block-Parteien. "Das bedeutet aber, daß die Arbeiterklasse als
herrschende und machtausübende Klasse, daß der sozialistische Staat
der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, als Verwirklichung der
revolutionären sozialen Bewegungen der vergangenen 140 Jahre in
gewisser Weise ignoriert wird. ... bei anderen Benutzern, vor allem
außerhalb der Grenzen der DDR, könnten die genannten
Unzulänglichkeiten durchaus zur Desorientierung führen."[7] Die offenbar
einzige fachliche Rezension in der Bundesrepublik bemängelt das Fehlen
von Angaben zur Parteizugehörigkeit (die - dem Rezensenten
offensichtlich unbekannt - ja der Zensur zum Opfer gefallen waren) und
führt einige fehlerhafte Angaben und Dubletten auf, bedenkt aber die
Bibliographie "mit dem höchsten Prädikat".[8]
Die jetzt 8 Bände der 1996 bis 1997 veröffentlichten Neubearbeitung
gleichen der ersten Ausgabe weder äußerlich noch innerlich, lediglich
ihre Großgliederung wurde beibehalten. Die ersten 4 Bände enthalten
alphabetisch geordnet - für alle Länder in einem gemeinsamen Alphabet,
jetzt in gegebener Wortfolge und unter gelegentlicher Zuhilfenahme der
Namen von Organisationen - 37.852 Titelbeschreibungen, weitere 4 Bände
bieten ausführliche Register, aber leider nicht das nicht mehr
rekonstruierbare Organisationen-Handbuch. Zur Zahl der Titel ist
nachzutragen, daß Eberlein ursprünglich die Existenz von 800 bis 1000
Arbeiterzeitungen vermutet hatte,[9] 1959 waren bereits 10.899 Titel
ermittelt,[10] die Druckfassung umfaßte 22.875 Titel. Die Titeländerung
der Neubearbeitung in Internationale Bibliographie zur
deutschsprachigen Presse der Arbeiter- und sozialen Bewegungen
charakterisiert auch die jetzt erreichte Zahl als nur vorläufig, da je
nach Definition dessen, was unter Arbeiter- und sozialen Bewegungen zu
verstehen sei, sowie durch die Erschließung weiterer bibliographischer
Nachweise die Anzahl weiter vergrößert werden kann. Daß jetzt nur
bibliographisch-pragmatische und politiktheoretische Kriterien die
Auswahl umschrieben haben, verdient trotz der resignativen Bemerkungen
Eberleins zu diesem Aspekt seiner Arbeit gegenüber dem ersten
dogmatisch fixierten Arbeitsauftrag in der DDR festgehalten zu
werden.[11]
Die bibliographischen Einträge enthalten nach Möglichkeit folgende, im
Text numerierte Kategorien: (1) Haupttitel, (2) Untertitel, (3)
Betrieb bei Betriebszeitungen, (4) Körperschaft, beteiligte Personen
(Hrsg., Red., Mitarb.), (5) Erscheinungsort, (6) Erscheinungszeitraum,
(7) Beilage von ..., (8) Nebenausgabe von ..., (9) Mit folgenden
Beilagen ..., (10) Mit folgenden Nebenausgaben ..., (11) Vorgänger war
..., (12) Nachfolger war ..., (13) Erscheinungsland, (14)
Gesellschaftliche und politische Richtung, sonstige Anmerkungen, (15)
Standortnachweise. Dankenswerterweise werden die Kategorien in den
Textbänden auf Lesezeichen wiederholt. Die hohe Zahl der
Titeleintragungen beruht auch auf zahlreichen Split-Eintragungen für
Titeländerungen, für Nebenausgaben, Beilagen etc., deren Titelnummern
in den Verweisungen immer mit angegeben werden. Auch jetzt fehlen
jegliche Angaben zur Erscheinungsweise. Viele Eintragungen sind in den
Kategorien unvollständig, können teilweise weder Erscheinungszeiträume
noch überhaupt Beleg-Exemplare nennen und beruhen dann offensichtlich
auf weiter nicht verifizierbaren Literaturhinweisen oder sonstigen
Sekundärangaben. Gleichlautende Ortsnamen (vom Typ Neustadt) werden
leider nicht spezifiziert. Standorte in öffentlichen und privaten
Bibliotheken und Archiven sind jetzt auch für die Zeit nach 1945
angegeben und erfreuen durch gelegentlich reichhaltige Nachweise und
durch Hinweise auf Mikrofilmbestände.[12] Die Standorte werden nicht mit
Bibliotheks-Sigeln, sondern hilfreich mit sprechenden Abkürzungen
verschlüsselt, die Bestände werden mit Kalenderjahren, resp. offen mit
"ff" (auch bei offensichtlich inzwischen erloschenen Zeitschriften)
und gelegentlich mit erläuternden Zusätzen (lückenhaft, Einzelnummern,
Mikrofilm) notiert. Gelegentlich werden Besitzvermerke bei einem Titel
zusammengeführt, von Nebenausgaben wird entsprechend verwiesen.
Anzuerkennen ist, daß generell versucht wurde, die bibliographischen
Angaben und Besitzvermerke durch Rückfragen bei den Bibliotheken resp.
durch Prüfung ihrer Kataloge zu verifizieren, Autopsie konnte bei der
übergroßen Titelmenge und den verstreuten Standorten nur in Teilen
gelingen. Die mangelhaften Angaben fallen insoweit auf die
Gemeinschaft der Bibliotheken und Archive zurück. Die Bearbeiter
allerdings haben die reichlichen Druckfehler, die Sortierfehler durch
unvollständige Stopwortliste der Artikel, fehlerhafte Trennungen und
sonstige Ungereimtheiten zu verantworten, - Hinweise auf beschränkte
Sortiermöglichkeiten der EDV fehlen jedenfalls.
Die Registerbände unterscheiden sich von der ersten Ausgabe schon auf
den ersten Blick durch die Aufnahme von Titeln in die Verweisungen,
vermeiden also die ausufernden Reihen von bloßen Titelnummern
zugunsten alphabetisierter Titelfolgen (incl. Titelnummer). Die
Register beginnen mit dem Personenregister, in dem den Personen, die
im Textteil zwar unvollständig, aber mit Angaben zu ihrer Funktion als
Herausgeber, Redakteure etc. genannt werden, hier ohne solche
Funktionsbezeichnungen die Zeitschriftentitel zugeordnet werden. Das
Register Titel nach Orten und geographischen Begriffen verweist von
allen in den Titelbeschreibungen vorkommenden geographischen Namen
- z.T. mit geographischer Spezifizierung bei häufig vorkommenden
Städtenamen. Das Länderregister nennt alle Herkunftsstaaten und führt
alle unspezifizierten Periodika unter International zusammen.
Betriebszeitungen werden in zwei Registern nach Orten und genannten
Firmen indexiert (auch unspezifisch, je nach Vorlage). Bd. 7 wird
allein durch das Register Titel nach Körperschaften gefüllt, die von
den im Text erwähnten Namensformen ausgehen, also keiner
Körperschafts-Normdatei o.ä. folgen und beim Leser entsprechend
Aufmerksamkeit und Vorwissen verlangen. Das Stich- und
Schlagwortregister geht von sinntragenden Wörtern und zugeordneten
Schlagwörtern aus (geographische Begriffe werden hier z.T. noch einmal
verzeichnet) und ergänzt die übrigen Register in ausgezeichneter Weise
(vor allem in Hinblick auf Berufsgruppen, spezifische Titelwörter
u.a.m.). Ein Verzeichnis der Standorte löst die Kürzel der
Besitzvermerke auf, nennt aber keine vollständigen Adressen und wirkt
daher gelegentlich etwas kryptisch (hoffen wir, daß im "Ernstfall"
solche Besitzvermerke tatsächlich verifiziert werden können!). Die
Register werden vom Verzeichnis der Abkürzungen und Dialektausdrücke
abgeschlossen, das in entsprechenden Zweifelsfällen und
Unverständlichkeiten in den Titeleintragungen gute Dienste leistet.
Noch einmal ist zu bedauern, daß der ursprünglich vorhandene
Annotationsband unwiederbringlich verloren ist. Eberlein selbst hat
erklärt, ihn wegen mangelnder subjektiver und objektiver
Voraussetzungen nicht noch einmal schreiben zu können.[13] Daß ein
solcher Band auch in anderem Zusammenhang bisher nicht erarbeitet
worden ist, ist nicht nur für den Eberlein ein großes Manko.
So bewundernswert und imposant die Lebensleistung von Alfred und
Ursula Eberlein auch ist, als grundsätzliche Frage stellt sich auch
diesem so umfassenden und übergreifenden Werk die Frage, inwieweit es
auf zuverlässigen Vorarbeiten aufbauen kann oder ob es auch als
Neuausgabe noch ohne solche fundierte Basis auskommen muß. Wie ein
entsprechender Unterbau auszusehen hätte, hat z.B. Aiga Seywald für
Die Presse der sozialen Bewegungen 1918 - 1933[14] gezeigt, die die
Bestände dreier Spezialbibliotheken - incl. der Bibliothek des
Instituts zur Erforschung der Europäischen Arbeiterbewegung (Bochum)
- genauestens verzeichnet und durch Autopsie intensiv beschreiben
kann.
Solche Vorarbeiten weiterzuführen und auszubauen scheint mir für die
nachfolgende Erarbeitung überörtlicher und übergreifender
Spezialverzeichnisse unverzichtbar. Es zeigt sich auch im vorliegenden
Fall, daß die Befragung von Bibliothekskatalogen und Archivlisten
nicht ausreicht, um exakte bibliographische Beschreibungen und
weiterführende inhaltliche Informationen im vollen und für
Spezialverzeichnisse auch notwendigen Umfang leisten zu können,
sondern daß Autopsie unabdingbar ist. Daß durch die überlange
Bearbeitungszeit Bestandsnachweise z.T. überholt sind, könnte als
nachrangig außer Acht bleiben, solange nur irgend ein Bestandsnachweis
für die Existenz eines Periodikums einsteht. Eintragungen, die allein
auf Literaturangaben oder anderen Sekundärquellen beruhen, sollten
zumindest als solche gekennzeichnet werden.
Daß das Mammutwerk des Eberlein mit offensichtlich unzulänglichen
Mitteln begonnen worden ist und auch in der Neubearbeitung nur
unzureichend unterstützt wurde, ist historisches Faktum. Nehmen wir
das Lebenswerk von Alfred und Ursula Eberlein mit Hochachtung zur
Kenntnis: Es beschreibt und erschließt einen Literatursektor mit
staunenswerter Akribie und umfassender Kenntnis. Die kritisch
angemerkten Unzulänglichkeiten und Detailfehler weisen auf
grundlegende Mängel der literarischen Überlieferung hin, die den
Bearbeitern nur insoweit zuzurechnen sind, als sie unter gänzlich
anderen Umständen ein übergroßes Werk begonnen haben, das ihnen mit
Gewalt aus den Händen gerissen wurde und dessen Vollendung ihr
Lebensinhalt wurde.
Wilbert Ubbens
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