Das Werk "versteht sich ... als ein praktisches Hilfsmittel, nicht als eine Bibliographie im strengen Verständnis dieses Begriffs. Es erhebt den Anspruch, die für das Studium in Schule und Universität brauchbaren und erreichbaren Gedichtinterpretationen nachzuweisen, ohne zugleich eine 'erschöpfende Vollständigkeit' anzustreben" (S. VII). Es ist gegliedert in einen Hauptteil, der - in alphabetischer Folge der Autoren - die zu ihren Gedichten verzeichneten Interpretationen mit verkürzter Titelaufnahme anführt. Die Titel der Interpretationen selbst werden nicht angeführt; darin liegt die stärkste Abweichung von den Regeln bibliographischer Verzeichnung. Es werden die Verfasser und die abgekürzt zitierten Fundstellen mit Seitenangaben geboten - ein Verfahren, mit dem viel Platz gespart wird und das angesichts der oft "blumigen" Titelformulierungen von Gedichtanalysen ebenso gerechtfertigt ist wie durch die Tatsache, daß zum Aufsuchen der Fundstelle die übergeordnete bibliographische Einheit sowieso herangezogen werden muß. Die vollständigen Titelaufnahmen der ausgewerteten Werke finden sich am Schluß des Bandes im Alphabet der Abkürzungen. Nicht ganz glücklich mutet die Entscheidung an, die "Fundorte" selbst durchweg unter dem Sachtitel anzuführen, auch wenn es sich um Monographien oder Sammlungen aus der Feder eines Verfassers handelt. Zwischen dem Nachweis der Interpretationen und der Liste der Fundorte stehen drei Indizes: der Gedichttitel, der Gedichtanfänge und der Interpreten. Da der Hauptteil mit den Nachweisen der Fundstellen selbst nach dem Alphabet der behandelten Autoren angelegt ist, tauchen die dort vorkommenden Namen in keinem Register auf. Daß dieselben Personen bald als Verfasser interpretierter Gedichte, bald als Interpreten vorkommen - wie etwa Peter Härtling -, kann der interessierte Benutzer sich leicht selbst erschließen; daß die Dichterin Ruth Angress und die Interpretin Ruth Klüger ebenfalls ein und dieselbe Person sind, wird ihm so freilich nicht verraten.
Der Band weist rund 10.000 Interpretationen nach. In Konkurrenz steht
er vor allem zu zwei Werken mit ähnlicher - allerdings nicht auf die
Lyrik beschränkter - Zielsetzung: 1. zu Schleppers Was ist wo
interpretiert?[1] aus demselben Verlag und zu dem vielbändigen
Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte von Heiner Schmidt.[2]
Von beiden Werken unterscheidet sich das Fundbuch u.a. in folgenden
Hinsichten: Es berücksichtigt rein didaktisch orientierte
Interpretationen in geringerem Umfang als Schlepper (was nicht als
"didaktisch" etikettiert wird, ist ja oft die bessere didaktische
Grundlage - hoffentlich merken das die Deutschlehrer!). Sodann liegt
der Verzeichnung eine bewußt wertende Auswahl zugrunde, wie Segebrecht
betont, der fraglos zu den besten Kennern der deutschsprachigen Lyrik
gehört. Stichprobenhafte Vergleiche lassen erkennen, daß in der
Auswahl der Gedichte ebenso wie in derjenigen der Interpretationen im
allgemeinen tatsächlich die Hand des Herausgebers glücklich reguliert
hat, wo wegen der großen Zahl der Bearbeiterhände rasch viel
Uneinheitlichkeit und Ungleichmäßigkeit der Wertung sich leicht hätten
einstellen können. Man vergleiche zum Beleg etwa, welche Titel zu
Hofmannsthals Gedichten Reiselied und Lebenslied oder zu Hyperions
Schicksalslied von Hölderlin bei Schlepper, welche bei Segebrecht
nachgewiesen sind. Oder halte die Liste der berücksichtigten Gedichte
Ilse Aichingers bei Schmidt gegen die im Fundbuch; bei Schmidt fehlen
u.a. die Gedichte Abgezählt, Durch und durch, Ohne Bündel, Ohne
Jahre.
Als Einstieg empfiehlt sich künftig für die Suche immer der
Segebrecht. Freilich lohnt der Blick in die konkurrierenden Werke,
wenn man im Fundbuch nicht fündig geworden ist. Zu den Gedichten
Leopold von Andrians findet man bei Segebrecht nichts, bei Schmidt
gleich mehrere Nachweise.
Ein paar Petitessen seien zum Schluß mit Blick auf eine dem Fundbuch
gewiß einmal bevorstehende Neuauflage benannt: Zu Matthias Claudius'
Gedicht Bei dem Grabe meines Vaters findet sich nur der Hinweis auf
eine ältere Monographie, nicht jedoch die minutiöse Interpretation von
Herbert Rowland.[3] Und wo Felix Dörmann und Arthur Schnitzler unter die
Lyriker aufgenommen sind, sollte - zumal die italienische Germanistik
bei den Fundstellen durchaus gut vertreten ist - das Buch Spleen e
artificio[4] von Gabriella Rovagnati nicht fehlen, das zu den Gedichten
dieser beiden und anderer Autoren ungleich substantiellere
Interpretationen bietet als die nachgewiesenen kurzen Beiträge der
Frankfurter Anthologie.
Indes: Gaudeamus obtentis - was das Fundbuch bietet, läßt allenthalben
staunen, welche Quantitäten das erst seit dem 20. Jahrhundert
geläufige Genre der Gedichtinterpretation angenommen hat. Als
Wegweiser durch diese Fülle ist ein so vorzügliches Arbeitsmittel
entstanden, wie es die (sonst doch so bibliographiefreudige)
Germanistik nicht oft hervorbringt.
Hans-Albrecht Koch
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