Sein Renommee hat sich Celan - selbst ein bedeutender Dichter
- zweifelsohne durch seine Übertragungen poetischer Werke erworben. In
ihm haben ein Alexander Block, Sergej Jessenin und Arthur Rimbaud
ihren kongenialen Übersetzer gefunden. Gleichwohl erzeugt diese
Anerkennung insofern ein schiefes Bild, als seine nachgelassenen
Übertragungen kaum ein Genre literarischen Schaffens aussparen.
Übersetzen war für Celan eben nicht nur Passion, sondern auch und vor
allem (harte) Brot-Arbeit. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich
neben seiner Tätigkeit als langjähriger Lektor der Pariser École
Normale Supérieure mit Übersetzungen von Werken sowohl der "hohen" wie
der sog. Populärliteratur, von Essays[1] wie Romanen, Filmen[2] wie
dramatischen Elaboraten.[3] Und vielleicht deshalb nicht von ungefähr
fand sein Name als Übersetzer die weiteste Verbreitung durch die
Verdeutschung eines Werkes der Unterhaltungsliteratur, und zwar eines
Kriminalromans von Georges Simenon.[4] Kurioserweise erachteten Verlag
und (!) Übersetzer einmütig diese Arbeit als völlig "daneben
gelungene" (S. 249), gleichwohl erlebte sie seit ihrem Ersterscheinen
1955 zahlreiche Neuauflagen und Neuausgaben.
Wie macht man das eigentlich, die Arbeit eines Übersetzers
"ausstellen" und dann das Ganze noch in einem begleitenden Katalog
dazu dokumentieren? Die Organisatoren dieser Veranstaltung bzw.
Bearbeiter einer fast monumentalen Veröffentlichung sind dieser Frage
keineswegs ausgewichen: "Was an einem vergleichsweise abstrakten
Thema, wie es das 'Übersetzen' vorderhand zu sein scheint", so heißt
es in Axel Gellhaus' Fergendienst, einleitende Gedanken zum Übersetzen
bei Paul Celan, "ist geeignet, in einer Ausstellung gezeigt zu werden?
Man kann doch nicht immer wieder ein Original, einen Entwurf und eine
vollendete Übersetzung nebeneinander legen, auch wenn Celan alle diese
Vorarbeiten gesammelt hat, auch wenn man in seiner Bibliothek alle
Spuren eines schon übersetzenden Lesens noch findet" (S. 10).
Um auch den Erwartungen der bloßen "Voyeurs" - wie man sie hier der
Einfachheit halber vielleicht nennen darf - unter den
Literaturinteressierten gerecht zu werden, hat man das Thema in einer
Weise angepackt, die den Rahmen dessen, was man sich naiv als
Dokumentation einer Übersetzer-Tätigkeit (annotierte Originalausgaben,
erste Aufzeichnungen, aufeinanderfolgende Fassungen etc.) vorstellen
mag, völlig sprengt. Zwar bildet dieser Aspekt von Celans
literarischem Schaffen sowohl Ausgangs- wie Fluchtpunkt des ganzen
Unternehmens, aber im Spannungsbogen dieser beiden Pole wird der
Gegenstand doch nach allen nur erdenklichen Richtungen hin
ausgeleuchtet, das Thema grenzüberschreitend und gewissermaßen auch
grenzenlos behandelt. Man hat versucht, um hier Gellhaus noch einmal
zu zitieren, "die papierenen Spuren ins Leben zurückzuübersetzen",
indem man beispielsweise danach fragte, was Celan bewogen habe,
"diesen oder jenen Autor in die deutsche Sprache hineinzutragen." Man
hat "also nicht nur nach Texten" gefragt, sondern ebenso "nach
existentiellen Motiven". Und damit hätten "die Materialien Geschichten
und - ja - Geschichte zu erzählen" begonnen. "Man mußte nur genau
hinsehen, ein wenig recherchieren, dann wurden die Dokumente
plastisch." In der Zusammenstellung dessen, "was Celan übertragen"
habe, sei "eine biographische Spur, ein Lebenskonzept" entstanden,
"zahlreiche Begegnungen in der Spannung von Fremdheit und Nähe,
Wahlverwandtschaften" hätten sich dabei abgezeichnet (S. 10 - 11).
Diese Dinge breitet der Katalog in insgesamt 31 (!) Kapiteln aus,
wobei neben wichtigen biographischen und werkgeschichtlichen selbst
kleinste und scheinbar unbedeutendste Details Berücksichtigung finden.
Auf diese Weise wird nicht nur die fast lückenlose
Entstehungsgeschichte zahlloser Übersetzungen Celans entrollt, sondern
es fällt Licht auch auf solche Elemente und Etappen seiner Karriere,
die man prima vista nicht unbedingt in einen zwingenden Zusammenhang
mit seinem intellektuellen Werdegang bringen würde.
Dazu gehört zunächst einmal die Tatsache, daß offenbar bereits
Herkunft, Ambiente und Familie Celan zum Übersetzer prädestinierten.
Er wuchs - nein, nicht mehr-, sondern wirklich - vielsprachig und
gewissermaßen multikulturell auf. Seine Geburtsstadt Czernowitz,
mehrheitlich von ehemaligen Österreichern und von einer starken
rumänischen Minderheit bewohnt, war im übrigen ein Schmelztiegel aller
möglichen Völker. Hier gaben sich habsburgische, rumänische,
jiddische, ukrainische, polnische, madjarische, schließlich auch
russische Kultur und Sprache ein Stelldichein. In Celans Familie
sprach man Deutsch, der Ort vermittelte ihm von Kindesbeinen auf
ebenso gute Kenntnisse im Rumänischen, und im jüdischen Kindergarten
sowie durch Privatunterricht erlernte er das Hebräische. Als Schüler
eines Humanistischen Gymnasiums kam er darüber hinaus nicht nur mit
den klassischen Sprachen Latein und Griechisch in Berührung, sondern
auch frühzeitig mit dem Französischen. Die übrigen der hier bereits
erwähnten Sprachen eignete er sich dann mehr oder minder
autodidaktisch an.
Weiter läßt die Ausstellung bzw. der Katalog den Blick über Aspekte
schweifen, die hinsichtlich der Gesamtwürdigung Celans als Übersetzer
nur scheinbar von zweitrangiger Bedeutung sind. Barbara Wiedemanns
Kapitel über Die sogenannte Goll-Affäre (S. 181 - 199) führt einmal
exemplarisch vor, welch' weitreichende Folgen bisweilen gänzlich
"unliterarische", dafür um so menschlichere Schwächen haben können:
Völlig aus der Luft gegriffene, von willfährigen Freunden der Witwe
aber genüßlich ausgebreitete und ausgeschlachtete Plagiatsvorwürfe
beenden ziemlich rasch Celans Übersetzung von Gedichten Yvan Golls.
Es ist an dieser Stelle schier unmöglich, alle im Katalog
angeschnittenen Themen auch nur aufzuzählen. Daher mag ein letztes
Beispiel diese völlig kursorische Zusammenschau bereits beenden. In
einem Kapitel mit der Überschrift Die Arbeit des Interpreten: Peter
Szondi (S. 448 - 449) von Peter Goßens wird das gewissermaßen
immanente Terrain des Generalthemas bereits verlassen - und damit
zugleich ein Bogen vom Übersetzungs- zum poetischen Werk Paul Celans
geschlagen. Goßens weist nämlich am Beispiel der Interpretation einer
Celanschen Shakespeare-Übersetzung durch Peter Szondi nach, wie sehr
dieser "Musterfall einer Poetologie des Celanschen Übersetzens" (S.
448) vor allem auch einen direkten Zugang zum Verständnis von dessen
Gedichten bietet.
Der Untertitel dieser Publikation des Deutschen Literaturarchivs in
Marbach ist pures Understatement, denn hier wird fast der "ganze"
Celan "ausgestellt". Das unterstreichen im übrigen die zahllosen
Bilder von Paul Celan (S. 17 - 32 und S. 93 - 108), sprich:
photographischen Porträts und Gruppen-Aufnahmen, sowie eine überaus
detaillierte Chronik (Paul Celan, 1920 - 1970 : eine Chronik:
Czernowitz - Tours - Bukarest - Wien - Paris - Der Übersetzer als
Lehrer - Die Arbeit an der École Normale Supérieure, S. 33 - 91) zum
Auftakt des Bandes nachhaltig. Einen einzigen Vorwurf werden sich die
Verantwortlichen dieses Unternehmens freilich gefallen lassen müssen.
Wenn man in so überzeugender und umfassender Weise wie hier
dokumentiert, daß sich entscheidende Etappen und Elemente von Celans
persönlicher wie intellektueller Biographie bereits aus seinem
umfangreichen Übersetzungswerk erschließen, dann ist um so
unverständlicher, warum man dasselbe nicht am Ende des Katalogs noch
einmal in einer zusammenraffenden Übersicht dargeboten hat. Das sei
hier nicht als Plädoyer für Lese-Faule mißverstanden. Vielmehr ergibt
sich dieser kleine Vorbehalt aus der Fülle des Materials. Denn selbst
diejenigen, die sich durch die gut 600, bisweilen äußerst spannend zu
lesenden Seiten dieses beeindruckenden Bandes hindurchgekämpft haben,
werden am Ende kaum all die Namen der Autoren und Titel im Kopf
behalten haben, die Celan durch seine Übersetzungen einem
deutschsprachigen Publikum teils erstmals bekannt gemacht hat.
Momme Brodersen
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