Vieles, was in der Besprechung des Mittelalter-Bandes zur Konzeption
der Reihe bereits gesagt wurde,[1] gilt entsprechend für den Band zur
Renaissance, der wiederum eher Grundlagen für die konkrete
Auseinandersetzung mit Texten bieten als die literarischen Texte
selbst vorstellen will. Der Schwerpunkt von Hausmanns Darstellung
liegt demnach nicht primär auf diesen Texten, sondern vielmehr auf den
vielfältigen Kontexten, in denen sie stehen. Gleich zu Beginn, im
Kapitel Begriff und Wirklichkeit der Renaissance, wird diese Haltung
deutlich, insofern der Autor versucht, sich seinem Gegenstand von
verschiedenen Seiten her anzunähern, und so, ehe er zu Renaissance und
Humanismus in Frankreich und der Selbsteinschätzung der französischen
Humanisten gelangt, zunächst auf die Nähe zu anderen Epochenbegriffen
wie Humanismus und Reformation, auf die Neubewertung der Renaissance
im 19. Jahrhundert und auf den Renaissancehumanismus in Italien
eingeht. Und auch die vier folgenden Kapitel, überschrieben mit
Politische Geschichte Frankreichs im 16. Jahrhundert, Italien und
Frankreich, Das neue Bildungsideal, Orthodoxie, Reformation und
Unglaube, stellen die Literatur nicht in den Mittelpunkt - dies ist
allein in den beiden abschließenden Kapiteln zu Themen und Gattungen
der französischen Renaissance-Literatur der Fall -, sondern eher an
den Horizont der Beschreibung. So sind zwar zumindest die bekannteren
Autoren und unter ihnen insbesondere Rabelais, dem Hausmann ja bereits
mehrere Veröffentlichungen gewidmet hat, gleichsam ständig präsent;
eine zusammenhängende Darstellung etwa von Rabelais' Pentalogie jedoch
wird der Leser vergeblich suchen - was freilich vor allem darauf
hindeutet, daß so vielschichtige Werke in diesem Rahmen ohnehin nicht
umfassend oder gar erschöpfend analysiert werden könnten und daß sie
- in der Renaissance vielleicht sogar mehr als in anderen Zeiträumen
- sich in die unterschiedlichsten Zusammenhänge einfügen, die in einer
angemessenen Betrachtung mit berücksichtigt sein wollen.
Gelegentlich mag diese Darstellungsweise zwar verblüffen - etwa wenn
im fünften Kapitel Calvin volle acht Seiten, Rabelais und Calvin
zusätzlich über fünf Seiten, Clément Marot oder Marguerite de Navarre
hingegen nur gut zwei bis drei Seiten gewidmet werden -, an anderer
Stelle auch enttäuschen: zum Beispiel im Unterkapitel Essay und
Geschichtsschreibung, das sich auf nur zweieinhalb Seiten mit
Montaigne befaßt, der doch, auch wenn er in zahlreichen anderen
Abschnitten wie Reisen und Entdeckungen oder Melancholie zusätzlich
Erwähnung findet, mit seiner "Erfindung" der Essais für die weitere
Geschichte der Literatur eine so bedeutende Rolle spielt und zudem in
vielem als geradezu paradigmatisch für seine eigene Zeit gelten kann,
so daß sich auch in diesem Rahmen eine ausführlichere Darstellung
gerechtfertigt hätte.[2] Zugleich jedoch wird so einmal mehr der Finger
darauf gelegt, daß das "Lehrbuch" nicht als Nachschlagewerk, sondern
eher zur Vorbereitung auf die eigentliche Auseinandersetzung mit
literarischen Texten dienen kann und will. Insbesondere in dieser
Hinsicht sind viele der behandelten Aspekte, darunter die allmähliche
Ausformung des Neufranzösischen, die italienischen Einflüsse auf allen
Gebieten, die wichtige Stellung von Übersetzungen, die Rolle der
Poetiken, die Bedeutung der Antike und insbesondere der antiken
Mythologie, die knappe Vorstellung auch nicht-französischer Autoren
wie Erasmus oder Lukian etc., natürlich für alle Autoren und Werke der
Zeit von Belang, und von dieser Warte aus erscheint, gerade auch im
Hinblick auf speziellere Sekundärliteratur, die Vernachlässigung der
Texte in solch einem Rahmen plausibel.
Um so erfreulicher, wenn einzelne Werke wie etwa Maurice Scèves Délie
dann doch im Zusammenhang mit Lyon (S. 64 - 65) und der Lyoneser
Schule (S. 68 - 71) relativ detailliert besprochen werden. Daß gleich
anschließend der auch sonst nur recht selten in diesem Band erwähnten
Louise Labé nur etwa eine Seite gewidmet ist, entspricht der leider
noch immer marginal bleibenden Beachtung schriftstellerisch tätiger
Frauen zumindest früherer Jahrhunderte. Und daß ein Autor wie François
Villon, der nicht mehr eindeutig dem Mittelalter und noch nicht
eindeutig der Renaissance zuzurechnen ist, zwar in beiden bisher
erschienenen "Lehrbüchern" einige Male erwähnt wird, aber in keinem
wirklich gegenwärtig ist, sondern für den Mittelalter-Band nur als
Zukunft existiert,[3] während er für den Renaissance-Band bereits
Vergangenheit ist,[4] daß also ein Autor wie François Villon gleichsam
in die Lücke zwischen den Buchdeckeln fällt, macht einmal mehr die
Fragwürdigkeit von allzu starren Epochengrenzen deutlich: Grenzen, die
die Kunst selbst nicht respektiert und die allenfalls einer
editorischen Notwendigkeit, nicht den literarischen Texten
entsprechen.
Barbara Kuhn
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