Beim Dehio für Baden-Würtemberg schließt der vorliegende 2. Bd.
endlich die bereits 1993 vorgelegte Neubearbeitung für die
Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart[3] mit einem Band für die
Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen ab. "Endlich" deshalb, weil
dieser 2. Teilband auf nicht unerhebliche Vorarbeiten zurückgreifen
konnte, die noch aus den 80er Jahren stammen. In die 1993 vorgenommene
Neukonzeption der Bearbeitung wurde dieses ältere Material integriert:
mit unterschiedlichen, z.T. deutlich auseinanderliegenden
Bearbeitungszuständen muß im Einzelfall also gerechnet werden.
Der 1. Bd. für Sachsen aktualisiert zumindest in Teilen die seit 1955
von der Arbeitsstelle für Kunstgeschichte an der Deutschen Akademie
der Wissenschaften in Berlin initiierte und unter der Leitung des
kürzlich verstorbenen Edgar Lehmann erstellte Neubearbeitung des
Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler für die DDR mit dem 1965
erstmals und dann erneut 1990 in einem Nachdruck erschienenen Band für
die damaligen Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt (heute wieder:
Chemnitz) und Leipzig.[4] Die Aktualisierung oder treffender wohl
"Neubearbeitung der Neubearbeitung" begann 1992 und konnte bereits
1996 für den Regierungsbezirk Dresden abgeschlossen und nunmehr
publiziert werden; der abschließende 2. Bd. für die Regierungsbezirke
Chemnitz und Leipzig ist in Vorbereitung.
Beide Bände folgen erkennbar dem vertrauten, wenn auch durch
Erweiterungen dem heutigen Bedürfnissen angepaßten Verzeichnungsschema
des Dehio: Anlage im Ortsalphabet, Ortsartikel mit Hinweis auf
Kreiszugehörigkeit (bei Sachsen konnten die Ergebnisse der Kreisreform
von 1995 noch berücksichtigt werden) und Hinweise zur Lokalisierung
auf den begleitenden Karten; bei Sachsen erfolgt zusätzlich ein
Hinweis auf das betreffende Inventar der Denkmäler;
Beschreibungsabfolge innerhalb des Ortsartikels nach Sakralbauten (im
Alphabet), Profanbauten untergliedert hauptsächlich in die Bereiche
öffentliche Gebäude und Wohnhäuser (bei Bedarf - so etwa für die
Dresdener Altstadt - noch weitergehende funktionsorientierte
Differenzierung), Brunnen und Denkmäler, Museen und Sammlungen (bei
Baden-Württemberg im Kolumnentitel angegeben, bei Sachsen zusätzlich
durch Absätze mit Überschriften hervorgehoben). Größeren bzw.
bedeutenden Ortschaften gehen Lagebeschreibungen, Karten (mit
Lokalisierungslegende zu einzelnen Denkmälern), Ausführungen zur
Stadtentwicklung und Stadtgeschichte und gegebenenfalls zur
spezifischen Baugeschichte voraus. Umfangreichere Beschreibungen
einzelner Bauwerke folgen nach zusammenfassenden Hinweisen zur
Baugeschichte dem klassischen Schema Außenbau, Innenbau, Ausstattung
(letztere vielfach in Form einer Auflistung mit Datierung).
Vergleicht man beide Neuerscheinungen genauer mit ihren direkten
Vorgängern,[5] fallen durchaus auch Neuerungen ins Auge. Das beginnt
bereits mit dem Umfang. Während sich die Kunstdenkmäler
Baden-Württembergs in der Ausgabe von 1964 noch in einem Band auf 591
Seiten beschreiben ließen, sind nun - bei unverändertem Format -
daraus zwei Bände geworden, der abschließende von 1997 für das
südliche Baden-Württemberg allein mit 906 Seiten. Diese Expansion
- sie gilt analog auch für den Band über Sachsen - ergibt sich sicher,
jedoch nicht allein, durch eine erhebliche Zunahme der zu erfassenden
Objekte aufgrund eines erweiterten Denkmalbegriffs und der
Heranführung der Berichtszeitgrenze an die Gegenwart.[6] Sie gründet
auch in einer neuen Beschreibungsqualität, die sich für viele Artikel
nicht mehr allein mit Auflistung und Datierung der Objekte begnügt,
sondern diese verstärkt einbindet in ihre historische und bauliche
Situation. Kurz gesagt: aus Datengerüsten sind vielfach Texte geworden
und dies sicherlich auch zum Nutzen eines größeren Publikums.
Konzeptionell nähern sich die Neubearbeitungen des Dehio in dieser
Hinsicht den Bänden der älteren und leider nicht mehr fortgeführten
Reihe Reclams Kunstführer (zumindest in deren besten Realisierungen),
ohne jedoch deren gelegentlich stärker durchscheinende Neigung zur
wertenden "Verständnisvermittlung" zu übernehmen.[7] Dabei erlaubt man
sich in den neuen Dehio-Ausgaben bei stärker durchformulierten
Einzelbeschreibungen durchaus schon einmal den Rückgriff ins eigene
Beschreibungsarchiv und läßt dann sogar den alten Dehio der Urausgabe
mit einer Kurzcharakterisierung herausragender Objekte wieder zu Wort
kommen: so etwa beim Freiburger Münster, bei der Dresdener
Frauenkirche usw.
Am Beispiel der Einträge für Freiburg und Dresden seien auch in der
Folge quantitative wie qualitative Verschiebungen der neuen
Dehio-Bände im einzelnen nochmals exemplifiziert:
So werden der von 16 auf 43 Seiten angewachsenen Beschreibung der
Kunstdenkmäler der Stadt Freiburg nicht mehr nur die wichtigsten Daten
der Stadtgeschichte vorangestellt; vielmehr ist der Vorspann noch
deutlicher auch zu einer Stadtbaugeschichte geworden und zugleich zu
einer situierenden Hintergrundfolie für die nachfolgenden
Einzelbeschreibungen der Baudenkmäler. Die seit Ende der 60iger Jahre
sich verstärkende Tendenz, nicht nur einzelne Gebäude als Denkmäler zu
verstehen, sondern auch Ensembles und Stadtstrukturen in den
Denkmalbegriff mit einzubeziehen, Bauwerke nicht nur isoliert, sondern
auch im (städte-)baulichen Kontext zu sehen, hat somit auch beim Dehio
Niederschlag gefunden. Der Artikel Freiburg zeigt zudem exemplarisch,
wie unter dieser Perspektive und durch Heranführen der
Berichtszeitgrenze an die Gegenwart die Stadt "wächst": Konzentrierte
sich die Ausgabe von 1964 auf den historischen Stadtkern Freiburgs und
damit hauptsächlich auf die Baudenkmäler der Zeit bis 1800, öffnet die
neueste Ausgabe den Blick für die Expansionen des 19. und 20.
Jahrhunderts, würdigt damit erstmals auch umfänglich Baudenkmäler des
Historismus und des 20. Jahrhunderts. Erstmals wird durch die
Einziehung der Stadtteilneugründungen des 19. Jahrhunderts und ihrer
einzelnen Baudenkmäler im Dehio ersichtlich, wie sehr Freiburg auch
eine Stadt des 19. Jahrhunderts ist. So läßt sich jetzt im Dehio
anhand der Freiburger Kirchenneubauten dieser Zeit gleichsam
exemplarisch die Geschichte des badischen Kirchenbaus im 19.
Jahrhundert ablesen, haben sich hier doch etliche
großherzoglich-badische "Stararchitekten" verewigt: Arnold, Diemer,
Durm, Hübsch, Meckel usw. Dieses Panorama findet auch sein Pendant im
Bereich der Profanarchtitektur; die Namensreihe (und damit auch diese
Perspektive im Dehio) ließe sich hier zudem mit Karl Schäfer, und ins
20. Jahrhundert hinein mit Hermann Billing nochmals markant erweitern,
wenn man öffentliche Bauten wie die Alte Universitätsbibliothek, das
Kollegiengebäude I der Universität usw. sowie Privatbauten der Zeit
hinzuzieht. Gerade auch der Beschreibungsumfang generell für die
(öffentlichen wie privaten) Profanbauten in der neuesten Ausgabe
verdeutlicht ihren gewandelten Stellenwert und damit das veränderte
Denkmalverständis: der Dehio von 1964 begnügte sich hier - wenn
überhaupt - mit reiner Auflistung, jetzt können die Einträge auch hier
bis zu einzelnen kleinen Baugeschichten gehen, die auch jüngste
Gebäudefunktionen gegebenenfalls miterfassen. Demgegenüber tritt schon
fast die Tatsache in den Hintergrund, daß auch für das klassische
Dehio-Repertoire eine noch weitergehende, detailliertere Beschreibung
geboten wird: allein dem Freiburger Münster etwa sind nun 19 (vorher
11) Seiten mit Grundriß gewidmet.
Allen neuen Dehio-Bänden ist gemeisam, daß sie gegenüber früher mehr
Grundrisse und Pläne bieten. Auch hierbei wird das Bemühen deutlich,
Einzelheiten stärker in ihrem Kontext zu sehen, situativ einzubetten,
wie das Beispiel St. Blasien im Schwarzwald hervorragend illustriert:
Während sich der Grundriß im Dehio von 1964 für Kirche und Kloster St.
Blasien auf die Abteikirche mit ihrer markanten Rotunde beschränkte,
zeigt der Grundriß im Dehio von 1997 die gesamte Klosteranlage und
verdeutlich erst durch den Bezug zum Gesamtkomplex die ausgewogene
proportionelle Einbindung von Rotunde und Mönchstor in das Ganze und
aller Bauteile zu einander.
Die für Freiburg konstatierte zeitliche wie bautypologische Weitung
des Blicks gilt auch für den Band für Sachsen und wird gerade auch bei
den Artikeln für die Stadt Dresden besonders deutlich. Zwar bleibt das
barocke Dresden zentraler Beschreibungsbestand; dennoch wird nun
erstmals mit der Berücksichtigung der verbliebenen Denkmäler des
Historismus auch das bürgerliche Dresden faßbar, werden die Vorstädte,
ihre Villen und Wohn-, aber auch die Industriebauten präsent, somit
historische Bausubstanz, die sich zuvor aus verschiedenster Motivation
keiner Wertschätzung und Berücksichtigung erfreute. Exemplarisch
genannt sei die im neuesten Dehio nun verzeichnete Orientalische
Tabak- und Zigarettenfabrik Yenidze in Dresden-Friedrichstadt,[8] dieser
markante, einer Moschee im orientalisierenden Stil nachgebildete
Industriebau der letzten Jahrhundertwende, oder auch die kürzlich
wiederhergestellte Villa Eschebach (Dresden - Innere Neustadt) aus der
gleichen Zeit, zugleich ein Beispiel, in welchem Unfang die neueste
Ausgabe auch aus ruinösem Zustand überwiegend rekonstruierte Denkmäler
erfaßt. Zahlreiche der jetzt wenigstens listenartig verzeichneten
(privaten) Profanbauten mögen dagegen noch restaurierungs- bzw.
sanierungsbedürftig sein; ihre Erfassung im Dehio und damit ihre
veröffentlichte Denkmalwürdigkeit sind dabei ein erster und nicht zu
unterschätzender Schritt zu ihrer Erhaltung.
Noch immer aber steht der Name Dresden exemplarisch im Bewußtsein für
kriegszerstörte Städte. Während für Städte wie Freiburg inzwischen
auch der Wiederaufbau längst eine abgeschlossene Phase ist, die im
Dehio mit zeitlicher Distanz verhalten und knapp referiert werden
kann, kann der Band für Dresden an vielen Punkten der
Stadtbeschreibung nicht übersehen lassen, wie sehr das Ausmaß der
Kriegszerstörungen, die Konzepte des Wiederaufbaus und ihre
Evaluierungen noch Gegenwart sind, sowohl die städtebauliche
Gesamtperspektive betreffend als auch zentrale Einzelobjekte. Der
Artikel zur zerstörten Dresdner Frauenkirche spiegelt dies am
herausragendsten Objekt.
Es ließen sich noch viele Einzelheiten zu den beiden Neuausgaben des
Dehio anmerken, doch seien nur noch zwei Notizen - gleichsam als Fazit
- an den Schluß gestellt: Beide Bände übertragen das alte
Verzeichnungskonzept des Dehio in ansprechender Weise und unter
Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf
die veränderten Bedürfnisse des Denkmälernachweises und seiner
Nutzung. Aber wichtiger noch: Beide Bände lösen zugleich langjährige
Desiderate ein. Mit dem hier besprochenen Bd. 2 ist der Dehio für
Baden-Württemberg endlich komplett aktualisiert und kann (und muß) nun
auch wenigstens in Teilen die Informationslücke füllen, die die über
viele Jahre mehr als schleppende Großinventarisierung der Baudenkmäler
für Baden-Württemberg noch lange nicht schließen wird. Auch wenn es
Anzeichen einer Fortbewegung des Unternehmens Großinventar für
Baden-Württemberg gibt,[9] so bleibt es angesichts der bisherigen
Erfahrungen sicher realistisch, zu prognostizieren, daß noch über
viele Jahre hinaus der Dehio als Kurzinventar und Denkmalliste
einziges umfassendendes und somit vorerst unersetzliches Arbeits- und
Nachweisinstrument für die Baudenkmäler in Baden-Württemberg sein
wird. Die wichtige und hier besonders dringende Funktion des
Denkmalnachweises hat auch der neue Dehio für Sachsen zu übernehmen
und wird dies - nach dem 1. Bd. für den Regierungsbezirk Dresden
erfreulich schnell umfassend für den ganzen Freistaat leisten, falls
der abschließende 2. Bd. wirklich - wie angekündigt - in Bälde
erscheinen sollte. Auch für Sachsen hat der Dehio vorerst noch
vielerorts kompensatorische Funktion für fehlende (aktuelle)
Großinventare zu übernehmen, doch sind hier die großen
Verzeichnisprojekte schon erstaunlich schnell gestartet und erste
Ergebnisse bereits publiziert.[10] Das läßt hoffen. Aber auch ohne die
genannten Ersatzfunktionen kommt Kurzinventaren in der Art des Dehio
ein bleibender Eigenwert zu: als handliches, schnelles, präzises und
informatives Nachweisinstrument zu Baudenkmälern. Die Dehio-Bände in
jeder Bibliothek zu finden, sollte selbstverständlich sein.
Angela Karasch
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