Die im folgenden besprochene DNB-Musik machte es erforderlich, sich
einen genauen Überblick über die nationale Sammlung und Verzeichnung
von Musikalien und Tonträgern im Lauf der Zeit zu verschaffen, was in
Ermangelung einer entsprechenden Darstellung schwer fällt, ist man
doch darauf angewiesen, sich einen solchen aus der bruchstückhaften
Information in Prospekten und Broschüren Der Deutschen Bibliothek, aus
Lexika und sonstiger Sekundärliteratur[1] zusammenzustellen, wobei man
schnell auf widersprüchliche Angaben und Daten stößt. Im folgenden
wurde deshalb versucht, trotz der unbefriedigenden Quellenlage einen
Überblick über dieses Thema zu geben, wobei die Zeit vor 1945 nur sehr
knapp behandelt wird und wegen des konkreten Anlasses der Nachdruck
auf der Situation seit Kriegsende liegt, zumal hier in Anbetracht des
nationalbibliographischen Wirrwarrs der größte Informationsbedarf
besteht.
Einer sorgfältigen Aufarbeitung dieses Themas sollte sich eigentlich
einer der nicht wenigen musikwissenschaftlich vorgebildeten
Professoren unserer bibliothekarischen Ausbildungsstätten annehmen;
auch die Vergabe einer entsprechenden Hausarbeit wäre denkbar. Von Der
Deutschen Bibliothek - hier dem zuständigen Deutschen Musikarchiv
(DMA) in Berlin - ist nach allen bisherigen Erfahrungen eine derartige
"offizielle" Darstellung leider nicht zu erwarten.[2]
1. Frühzeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
Die früher in den deutschen Ländern bestehenden
Pflichtexemplargesetze, die primär Zensurzwecken bzw. der Erlangung
des Privilegs zum Schutz gegen Nachdruck dienten, erwähnen keine
Musikdrucke bzw. schließen solche nicht ein, zumindest solche ohne
Text.
Das Projekt "Sammlung deutscher Drucke 1450 - 1912" ermöglicht der
Bayerischen Staatsbibliothek München,[3] die zugleich
Sondersammelgebiets-Bibliothek für das Fach Musikwissenschaft ist und
über sehr bedeutende Altbestände an musica practica verfügt, eine
rückwirkende Ergänzung von Musikdrucken für die Zeit 1450 - 1800.
Was den bibliographischen Nachweis von deutschen Musikalien vor 1800
betrifft, so ist dieser im übrigen dank RISM,[4] das zudem den Vorteil
von Bestandsnachweisen bietet, zwar nicht perfekt, aber doch
akzeptabel gelöst.
2. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1943/1945 : Whistling und
Hofmeister
Erstmals 1817 (Berichtszeit ca. 1790 ff.) erschien das Handbuch der
musikalischen Literatur von Carl Friedrich Whistling,[5] das die im
deutschen Handel erhältliche internationale Musikalien-Produktion
nachwies.[6]
Ab 1829 zeigte der Hofmeister-Verlag die ihm von deutschen und einigen
Verlagen aus Nachbarländern[7] gemeldeten Musikalien sowie das
Musikschrifttum in monatlichen, zu Jahres- und Mehrjahresbänden
kumulierenden Verzeichnissen an,[8] die in erster Linie den Interessen
des Musikalienhandels dienten.
Die AIBM beabsichtigt, im Rahmen des Hofmeister-XIX-Projekts diese
Daten zu digitalisieren und als Datenbank anzubieten, doch dürften bis
zum Abschluß dieses Projekts noch Jahre vergehen.[9]
Hinter den Verzeichnissen von Whistling und Hofmeister steht, obwohl
sie quasi nationalbibliographischen Charakter haben, keine
entsprechende Sammlung. Hier muß die innerhalb des Projekts "Sammlung
deutscher Drucke 1450 - 1912" der Staatsbibliothek Berlin
- Preußischer Kulturbesitz zugewiesene Zuständigkeit für die Sammlung
(u.a.) der Musikalien von 1801 - 1912 (da mit 1913 der Sammelauftrag
der Deutschen Bücherei Leipzig einsetzt) erwähnt werden, wobei an eine
auch nur annähernde Vollständigkeit in diesem Bereich noch weniger zu
denken ist als bei den Büchern. Wichtiger ist freilich, daß im Jahre
1906 der seit 1900 an der Königlichen Bibliothek in Berlin - der
Vorgängerin der gerade genannten Bibliothek - tätige und spätere
Leiter der dortigen Musiksammlung, Wilhelm Altmann, die freiwillige
Ablieferung der Musikverleger an die von ihm an der Bibliothek
gegründete Deutsche Musiksammlung bewirken konnte, eine Vereinbarung,
die bis 1945 galt. Danach wurde die Sammlung, die unter einer eigenen
Signaturengruppe aufgestellt und leider von Kriegsverlusten betroffen
ist, mit Neuerwerbungen der Staatsbibliothek - abgeliefert wurde
jetzt an die Deutsche Bücherei Leipzig - fortgeführt. Es existiert
auch ein - auf Mikrofiche veröffentlichter - Katalog,[10] dessen
Digitalisierung im Rahmen des Konvertierungsprogramms der
Staatsbibliothek vorgesehen ist.
3. Nationalbibliographische Sammlung und Archivierung ab 1943/1945 in
Leipzig, Frankfurt und Berlin
Nach der Übernahme des Hofmeister durch die Deutsche Bücherei Leipzig
im Jahre 1942 wurde mit Jg. 115 (1943) der Titel in Deutsche
Musikbibliographie (Jahreskumulation u.d.T.: Jahresverzeichnis der
deutschen Musikalien und Musikschriften) geändert, und erst dann
begann
die zentrale Sammlung und Archivierung von Musikdrucken sowie deren
Verzeichnung im Rahmen der Nationalbibliographie, denn als diese ist
die Deutsche Musikbibliographie anzusprechen.
Diese Sammlung wurde nach 1945 - beschränkt auf ostdeutsche
Pflichtexemplare, ergänzt um freiwillig abgelieferte Belegexemplare
westdeutscher Verlage - fortgeführt, die Verzeichnung erfolgte
weiterhin in der Deutschen Musikbibliographie. 1973 wurde die Sammlung
und Verzeichnung auf Tonträger ausgeweitet.
In Westdeutschland nahm die 1946 in Frankfurt gegründete Deutsche
Bibliothek Noten und Tonträger erst ab 1969 aufgrund des "Gesetzes
über die Deutsche Bibliothek" vom 31.3.1969 in ihr Programm zur
Sammlung und bibliographischen Verzeichnung auf und delegierte diese
Aufgaben an das im Jahre 1970 eigens als Abteilung der Deutschen
Bibliothek Frankfurt gegründete Deutsche Musikarchiv (DMA) Berlin. Die
Verzeichnung erfolgte bis 1990 in den Reihen M (Noten, 1976 ff.) und T
(Tonträger, 1974 ff.) der Deutschen Bibliographie.
Rückwärtsergänzung sowohl von Noten in Anknüpfung an die erwähnte
Deutsche Musiksammlung als auch von Tonträgern wird versucht. Einen
Teil der Lücken im Bereich der musica practica schließt der Bestand
von ca. 120.000 Noten der Jahre 1945 - 1975, den die GEMA als
Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat, der aber leider nicht in die
Kataloge des DMA integriert ist.[11] Im Bereich der Tonträger konnten die
Bestände der 1961 - 1970 in Berlin bestehenden Deutschen
Musik-Phonothek übernommen werden, deren Bestand an ca. 40.000
modernen und historischen Tonträgern - soweit es sich um neuere
Tonträger handelte -, partiell in der Deutschen Diskographie[12]
nachgewiesen war. Für die Katalogisierung "der in der Übergangszeit
Schellackplatte/Langspielplatte und Deutsche Musik-Phonothek/Deutsches
Musikarchiv fallenden rund 20.000 Tonträger" wird nach einer "zeitlich
befristeten Förderung" gesucht.[13]
Seit 1990 teilen sich die drei Häuser Der Deutschen Bibliothek, was
Musikschrifftum, Noten und Tonträger angeht, die Arbeit wie folgt: Das
DMA verzeichnet seit 1991 Musikalien und Musikschrifttum in der
Deutschen Nationalbibliographie. Reihe M (das Musikschrifttum wird
zusätzlich zu den Reihen A, B, G, H verzeichnet) sowie Musiktonträger
in der DNB. Reihe T. Ab diesem Zeitpunkt verwahrt darüber hinaus Die
Deutsche Bücherei Leipzig Zweitexemplare der im DMA archivierten
Musiktonträger und der in der Deutschen Bibliothek Frankfurt
archivierten Sprachtonträger. Somit ergibt sich folgende, die
Musikalien und Tonträger betreffende Situation.[14]
Gesammelt werden in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Ausland
erschienene
Musica practica ab dem 8. Mai 1945 in Berlin, ab 1943
zusätzlich in Leipzig; die Sammlung und Verzeichnung der im Ausland
erschienenen wird allerdings nach 1996 abgebrochen;[15]
Sprechplatten (Wortschallplatten): ab dem 8. Mai 1945 in Frankfurt
(hier ab 1997 keine im Ausland erschienenen mehr), ab 1959 ebenfalls
in Leipzig;
Sprechkassetten (Wortkassetten): ab dem 8. Mai 1945 in Frankfurt (hier
ab 1997 keine im Ausland erschienenen mehr), ab 1959 ebenfalls in
Leipzig;
Musiktonträger: in Berlin ohne zeitliche Begrenzung, ab 3.10.1990
zusätzlich in Leipzig; (im Ausland erschienene nur bis 1991[16]);
Videomaterialien: Belegexemplare ab 1985 in Leipzig (vermutlich
einschließlich Musikvideomaterialien), ebenfalls Belegexemplare ab
1987 in Frankfurt (hier ab 1997 keine im Ausland erschienenen mehr)
bzw. Musikvideomaterialien ab 1975 in Berlin;
Leipzig sammelt außerdem, sofern in der DDR erschienen:
Musikschallplatten ab 1974;
Musikkassetten ab 1987.[17]
Darüber hinaus versucht das DMA die Sammlung bzw. Verzeichnung
folgender Gattungen:
Tonträger ausländischer Labels mit deutscher Bestellnummer und/oder
deutschem Firmensignet;
Historische Tonträger (vor der Langspielplatte hergestellte Tonträger)
einschließlich ausländischer Aufnahmen deutscher Interpreten bzw.
ausländischer Tonträger mit deutschen Matrizen bei fehlenden deutschen
Ausgaben.
Reversgebundene Partituren zeitgenössischer Musik (Belegexemplare).
Ohne Archivierung verzeichnet werden dagegen
Sonstige reversgebundene musica practica bei freiwilliger Meldung oder
leihweiser Vorlage durch die Verlage.[18]
Martina Rommel
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