Kann sich hier auch das zur Rezension vorliegende Wörterbuch Biologie von Gertrud Scherf, das sich lt. Vorwort nicht nur an Schüler der gymnasialen Oberstufe, Biologie- und Lehramtsstudierende, sondern auch an "Menschen mit Interesse an allem Lebendigen" - somit wohl an uns alle - richtet, einreihen? Die etwa 4500 Artikel sollen die wichtigsten Fachbegriffe aus Anthropologie, Zoologie und Botanik, Mikrobiologie, Genetik, Cytologie, Molekularbiologie, Fortpflanzungs- und Entwicklungsbiologie, Ökologie, Ethologie, Evolutions-, Neuro- und Immunbiologie erläutern. Ergänzt werden die Artikel durch 27 Abbildungen, eine Tabelle zur Systematik der Organismen und ein Literaturverzeichnis. Dem Vorwort entnehmen wir ferner, daß bei der Stichwortauswahl aktuelle Lehrbücher und Lehrpläne berücksichtigt wurden.
Das Impressum vermerkt, daß dieses Wörterbuch in neuer Rechtschreibung gesetzt ist, was sich aber wegen der internationalen Schreibweise der Stichwörter, bis auf den Wechsel von ß auf ss, zum Glück nicht störend bemerkbar macht.
Angesichts des großen Fächerspektrums, das erschlossen werden soll, wäre eine etwa gleichmäßige Verteilung der Begriffe auf die angegebenen Gebiete zu vermuten. Das ist aber nicht der Fall. Der Schwerpunkt der Eintragungen liegt eindeutig auf dem physiologisch-biochemischen Bereich.
Diese Schwerpunktbildung spiegelt sich auch in den Abbildungen wieder. Fast die Hälfte illustrieren Vorgänge aus Biochemie und Physiologie. Für die Darstellung komplexer Zusammenhänge, wie beispielsweise den Citratcyklus, sind die Abbildungen allerdings zu klein gewählt. Abbildungen zu den für das Verständnis der Ökologie wichtigsten Stoffkreisläufen fehlen völlig, die Abbildung zur Biomassepyramide kann die Abnahme der Energiemenge beim Durchgang durch das Nahrungsnetz nicht darstellen und ist unbrauchbar.
Vielleicht liegt die genannte Gewichtung auch daran, daß die Stichwortauswahl, wie bereits erwähnt, auch auf Grund von Lehrplänen erfolgte, die den Oberstufenschüler zwar dazu befähigt, molekulare Reaktionsmechanismen gebetsmühlenartig wiederzugeben, ihn aber bei der Frage nach dem Unterschied zwischen einer Fichte und einer Tanne oft kläglich scheitern läßt.
Die Auswahl der Stichwörter erscheint doch recht zufällig. Es werden zwar erfreulicherweise auch moderne Begriffe wie Prionen oder Cistron erklärt, dafür vermißt man aus dem Bereich der Molekularbiologie z.B. Ribozym oder Telomer.
Die Fachtermini sind in ihrer kompakten und mit einer Fülle von Zusatzinformationen versehenen Erläuterung eher für den biologisch vorgebildeten Leser verständlich als für den eingangs erwähnten "Menschen mit Interesse an allem Lebendigen", wenn man beispielsweise beim Stichwort Translation erfährt: "Dann wird die tRNA unter Mitwirkung von Elongationsfaktoren und GTP-Verbrauch zusammen mit der mRNA an den P-Ort verschoben, wo die Initiator-tRNA freigesetzt wird."
Leider sind viele Begriffe, die einen eigenen Eintrag verdienten, nur an versteckter Stelle zu finden. So sucht man vergeblich nach dem in den letzten Jahren Schlagzeilen verursachenden Stichwort BSE. Einen Hinweis auf BSE mit der Auflösung Bovine spongiforme Encephalopathie findet man erst im Stichwort Prionen, wobei die Ableitung dieses Wortes (Proteinaceous infectious agent) leider nicht erklärt wird.
Die Gebiete der allgemeinen Botanik und Zoologie, Umwelt oder Ökologie, sind hingegen eher spärlich vertreten. Man findet z.B. keinen Eintrag für Wald, Waldschäden saurer Regen oder Ozon. Auch entspricht die Länge der Artikel nicht immer ihrer Wichtigkeit. Das Stichwort Bennettitopsida, eine z.Zt. der Dinosaurier existierende Pflanzenart, beansprucht mehr Zeilen wie beispielsweise der Darwinismus.
Als mißlungen muß leider der Anhang zum Tier- und Pflanzenreich bezeichnet werden. Die gewählte Darstellung orientiert sich an traditionellen Vorstellungen und entspricht nicht unbedingt neueren Erkenntnissen taxonomischer Forschung. Zudem fehlen, wenn man schon im Tierreich die Ebene der Stämme angibt, bei den Einzellern die Actinopoda (Heliozoa und Radiolarien) und Foraminifera, bei den Metazoa die Echiurida und Onychophora. Es ist auch nicht verständlich, warum bei einigen Stämmen der deutsche Name angegeben ist, bei anderen aber nicht. Beim Stamm Mesoza handelt es sich wohl um die Mesozoa. Bei den Abteilungen des Pflanzenreiches, dem taxonomischen Äquivalent der Tierstämme, fehlen bei den Algen z.B. die Phaeophyta, Bacillariophyta (Diatomeen) oder Chrysophyta; letzteren werden eigentlich die Haptophyta zugeordnet, die hier als eigene Abteilung fungieren. Behält man die Gliederung auf der Ebene der Abteilungen bei, müßten bei den Landpflanzen mehr als die nur angegebenen drei Abteilungen aufgeführt sein.
Die Literaturliste, geteilt in Allgemeine Biologie und Teilgebiete ist
stellenweise nicht mehr aktuell: Der Nultsch,[3] ein Klassiker in der
Botanik, erscheint schon in der 10. Aufl., zitiert ist die 9. Aufl.
von 1991. - Den Czihak[4] gibt es in der 6. unveränderten Aufl.,
angegeben ist die 5. Aufl. mit falschem Erscheinungsjahr. -
Biochemisch gesehen ist die 13. Aufl. 1988 des Karlson[5] ein Greis,
ebenso der Penzlin,[6] angegeben in der 5. Aufl. 1991. - Offensichtlich
ist es der Autorin auch entgangen, daß das hervorragende Werk von
Stryer[7] - erwähnt ist die englische Ausgabe von 1988 - längst in der
4. deutschen Aufl. vorliegt. - Leider fehlen auch wichtige
Literaturangaben zur Biochemie der Pflanzen. Hier sollte zumindest der
Richter[8] angeführt werden. - Vermißt hat der Rezensent das
herausragende Werk Biology von Campbell,[9] das nun auch in deutscher
Übersetzung vorliegt. - Auf die Angabe von Schulbuchtiteln hingegen
hätte man getrost verzichten können.
Fazit: Das hochgesteckte Ziel, mit etwa 4500 Artikel die wichtigsten
Fachbegriffe aus dem angegebenen großen Fächerspektrum abzudecken, ist
schon aufgrund der Fülle des Stoffes nicht möglich. Eine Eingrenzung
auf weniger Gebiete wäre sicher sinnvoller gewesen. Bei aller
geäußerter Kritik ist das Wörterbuch Biologie jedoch für Studierende
ein brauchbares, durchaus empfehlenswertes und dazu noch preiswertes
Nachschlagewerk, dem man allerdings eine überarbeitete Neuauflage nur
wünschen kann.
Joachim Ringelb
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