Nachdem anläßlich des Erscheinens von Bd. 1 in IFB 97-1/2-085 die Grundzüge der BE20 vorgestellt und einige kritische Anmerkungen v.a. zu den Aktualisierungen - deren Notwendigkeit und große Zahl vom Verlag für die rasche Neuauflage genannt wird und die 20 % des Lemmabestandes betreffen sollen - gemacht wurden, stehen auch in dieser Zwischenbilanz wiederum die Änderungen im Mittelpunkt. Bei der geplanten Größenordnung (ca. 260.000 Lemmata) wird es immer Desiderate bei der Stichwortauswahl sowohl bei den Grundlagenbegriffen bestimmter Fachgebiete als auch die Lexikonwürdigkeit allgemein betreffend geben. Daran, daß die BE20 trotz der akzentuierten Bezeichnung als "die Enzyklopädie" und des enzyklopädischen Touchs, den die Schlüsselbegriffe vermitteln, dem Typus Lexikon zuzurechen ist, sei noch einmal ausdrücklich erinnert.
Geleitet von der Fragestellung "Wie steht es tatsächlich um die
Überarbeitung?" wurden Stichprobenvergleiche mit der BE19[3] und ihrem
Ergänzungsband[4] vorgenommen.
Auf den ersten Blick scheint kaum etwas verändert - dieser Eindruck
wird vor allem dadurch verstärkt, daß die Abbildungen weitgehend
identisch geblieben sind -, erst genauere Vergleiche machen die
durchgängige Überarbeitung sichtbar, die jedoch oft so marginal ist,
daß man zu Recht nach deren Zweck fragen muß.
Viele der Einträge wurden lediglich umformuliert: insgesamt wurde eine
kompaktere, z.T. knappere Formulierung vorgezogen. Die Bevorzugung
einer neuen Wendung ist nicht immer einsichtig, auch kann es durch
diese eher oberflächliche Umarbeitung zu Druckfehlern kommen. So z.B.
beim Schlüsselbegriff Lärm im Abschnitt Schienenverkehrs-Lärm: BE19,
Bd. 13, S. 90 "Das Streckennetz der Dt. Bundesbahn und ihr Bestand an
Schienenfahrzeugen sind sehr viel kleiner als das Straßennetz und der
Bestand an Kraftfahrzeugen. Infolgedessen ist die Zahl der Bürger, die
sich durch Schienenverkehrs-L. beeinträchtigt fühlen, auch geringer
(14 %)"; demgegenüber BE20, Bd. 13, S. 96 "Da das Streckennetz der Dt.
Bahn AG und ihr Bestand an Schienenfahrzeugen sehr viel kleiner sind
als das Straßennetz und der Bestand an Kraftfahrzeugen, ist die Anahl
[!] der Bürger (17 Mio.), die sich durch Schienenverkehrs-L.
beeinträchtigt fühlen, geringer." In diesem Beispiel ist zugleich eine
weitere der häufiger auffallenden Änderungen enthalten. Oftmals werden
nun die absoluten Zahlen angegeben, wodurch die Anschaulichkeit und
z.T. die Vergleichbarkeit vermindert werden. In dem vorliegenden Fall
kann man immerhin noch einer beigegebenen Graphik entnehmen, daß sich
1994 22 % der deutschen Bevölkerung durch Schienenverkehrs-Lärm
gestört fühlten.
Die Artikel für Städte und Länder wurden grundsätzlich fortgeschrieben
(oft bis Herbst 1997) oder, wenn von der Wende und dem politischen
Umbruch in Osteuropa betroffen oder anderweitig in den Blickpunkt des
Tagesinteresses geraten (z.B. Dayton; Maastricht), völlig
überarbeitet. Leider sind bei der Nennung von
Einwohner-/Bevölkerungszahlen die Jahresangaben entfallen. Anscheinend
wurden die Zahlenangaben generell überprüft, denn auch die Höhenlage
oder Fläche ist z.T. verändert (verbessert?).
Zum ersten Mal werden in der BE20 schutzwürdige Kulturgüter mit Status
als UNESCO-Weltkulturerbe prinzipiell als solche gekennzeichnet,
obwohl die Konvention bereits seit über zwanzig Jahren (!) in Kraft
ist. Der Grund dafür, dieser Kennzeichnung erst jetzt den Status der
Lexikonwürdigkeit zu verleihen, ist sicher auch damit zu erklären, daß
inzwischen mehr Objekte in Deutschland ausgezeichnet wurden (ein Indiz
für dieses - den Denkmälern abträgliche - Publikumsinteresse sind auch
die ihnen gewidmeten Sonderbriefmarken). Nicht mehr aufgenommen sind
Einträge ausgewählter Vornamen, deren Etymologie und Verbreitung in
der BE19 noch in knappster Form angegeben wurde (z.B. Lajos,
Lambert).
Fachliche Schwerpunkte bei der inhaltlichen Fortschreibung und
Überarbeitung lassen sich ebenso feststellen. Auf die Länder- und
Städteeinträge wurde bereits eingegangen, daneben stachen im
überprüften Bereich besonders Lemmata (Personen- und Sacheinträge) zu
neuen Technologien sowie aus der Medizin, der Kunst[5] und der Theologie
als überdurchschnittlich häufig bearbeitet hervor. Für die anderen
Disziplinen war anscheinend das gegenwärtige allgemeine Interesse (das
sich durch Behandlung in der Presse und den Medien äußerte)
ausschlaggebend: auf aktuellem Stand sind demnach die Artikel für
aktive Politiker oder Sacheinträge wie z.B. Luftschiff, das durch die
Friedrichshafener Neuentwicklung in die Schlagzeilen gekommen war
(verzeichnet sind auch der Jungfernflug des Prototyps 18.09.97 und die
weiteren Pläne für 1998). Nicht nur die Erläuterungen, sondern auch
die weiterführenden Literaturangaben wurden vor allem für die
genannten Gebiete auf den neuesten Stand gebracht. Sonst gilt für die
Angabe der Sekundärliteratur weiterhin das in der o.g. Rez. des ersten
Bandes beklagte Defizit: v.a. bei kürzeren Einträgen häufig veralteter
Stand oder sogar Streichungen.
Die Schlüsselbegriffe - ein Konzept, das die BE mit der 19. Aufl.
einführte und das ursprünglich aus Meyers enzyklopädischem Lexikon
entlehnt war - sollen auch der BE einen enzyklopädischen Anstrich
geben. An der Auswahl dieser Schlüsselbegriffe läßt sich am
leichtesten die den gesellschaftlichen Wandlungen angepaßte
Aktualisierung der BE20 ablesen. War vor acht Jahren noch die
Leistungsgesellschaft im Brennpunkt des Interesses, so wurde diese nun
von 5 Sp. auf 3 Sp. reduziert und zu einem Normaleintrag degradiert,
statt dessen wird die heutige Gesellschaft durch den (im 10. Bd. der
BE20 enthaltenen) Schlüsselbegriff Informationsgesellschaft
beschrieben. Die angesichts der neuen Medien ausgebrochene Diskussion
über den Wert des Buches spiegelt der neue Schlüsselbegriff Lesen
wider. Beruhigend für manchen Bibliothekar mag folgende Aussage
innerhalb des nun 5 1/2 Spalten (vorher 2) langen Eintrages sein (S.
318): "Die qualifizierte Lesekompetenz ist eine unabdingbare
Basis-Qualifikation auch für den Umgang mit anderen Medien, regelmäßig
Lesende können die audiovisuellen Medien besser nutzen ... So ist L.
heute in die Mediennutzung als Ganzes eingebettet, es gibt keinen
Gegensatz zw. L. und Fernsehen bzw. neuen Medien." Weitere z.T. nur
leicht überarbeitete Schlüsselbegriffe von Bd. 13 der BE20 sind: Lärm,
Leben,[6] Lebensqualität, Lernen, Luftverschmutzung[7] und Macht.
Mit seiner 20. Auflage steht der Brockhaus wieder im Spannungsfeld
zwischen Generationenanspruch und Gegenwartsbezug durch aktuelle,
manchmal lediglich kurzlebige Information.[8] Auch die Anwendung der
neuen Rechtschreibung ist diesem unterworfen, denn noch ist nicht
sicher, ob die Entscheidung tatsächlich voraussehend oder doch
übereilt war. Die oben gemachten Anmerkungen versuchen, diese
Situation zu beleuchten und den pauschal anpreisenden Presse-Texten
eine Überprüfung entgegenzusetzen.
Saskia Hedrich
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