Zu vielen Bereichen der antiken Philosophie gibt es ausgezeichnete Spezialbibliographien aus neuerer Zeit. Als Bibliographie, die die antike Philosophie insgesamt umfaßt, ist der Totok jedoch konkurrenzlos. Vor allem der Nichtfachmann wird daher gerne zu ihm greifen. Leider sind die Informationen, die er erhält, nicht so zuverlässig, wie dies zu wünschen wäre. Vor allem zwei Mängel mindern den Wert des Werkes erheblich. Der erste besteht darin, daß die 'großen' Philosophen gegenüber den 'kleinen' deutlich bevorzugt sind. Was die letzteren betrifft, so ist es häufig nicht einfach, überhaupt etwas zu ihnen zu finden. Das liegt nicht nur daran, daß sie, wie schon angedeutet, stiefmütterlich behandelt worden sind; hinzu kommt, daß die sie betreffende Literatur nur schwer auffindbar ist, weil in das kärgliche Sachregister (S. 631 - 633) nur solche Namen von Philosophen und Titel von Schriften aufgenommen sind, die in Überschriften erscheinen. Philosophen wie z.B. Arkesilaos, Eukleides aus Megara, Hippias aus Elis, Menedemos aus Eretria, Prodikos und Theodoros Atheos wird man daher im Sachregister vergeblich suchen. Im Sachregister der 1. Aufl. waren alle diese Philosophen noch verzeichnet.
Noch gravierender scheint mir der zweite Mangel zu sein. Jede
intensivere Beschäftigung mit einem Philosophen beginnt mit dem
Studium der Texte, die er hinterlassen hat bzw. die über ihn und seine
Ansichten berichten, je nach Vermögen im Originalwortlaut oder in
einer Übersetzung. Gerade in diesem Punkt ist der Totok völlig
unzureichend. Aus mir unerfindlichen Gründen hat er durchgehend darauf
verzichtet, den Benutzer darüber zu informieren, wo er Ausgaben des
Originaltextes findet. Nehmen wir als Beispiel den ersten Fall, in dem
Totok die Rubrik Textausgaben einführt, den des Diogenes Laertios (Nr.
4959 - 4981).[3] Unter der Überschrift Textausgaben finden wir hier die
Unterabschnitte Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch,
Lateinisch, Niederländisch und Spanisch und katalanisch; einen
Abschnitt, in dem die heutzutage gebräuchlichen Ausgaben des
Originaltextes verzeichnet sind, gibt es dagegen nicht. Auch Hinweise
darauf, welche der aufgeführten Textausgaben den Originaltext, sei es
allein, sei es mit Übersetzung, bietet, fehlen. Der Benutzer muß sie
wie in einem Vexierbild suchen, d.h. er muß sie, um sie zu finden,
zuvor schon kennen. Die Ausgabe des griechischen Textes von R. D.
Hicks findet er dann im Abschnitt Englisch (Nr. 4963 Lives of eminent
philosophers. Trad.: R. D. Hicks. London 1925. 2 Bde.; daß es sich um
eine zweisprachige Ausgabe handelt, wird nicht vermerkt) und die von
H. S. Long im Abschnitt Lateinisch (Nr. 4969 Diogenis Laertii. Vitae
philosophorum. Oxf. 1964. 2 Bde.; der Herausgeber H. S. Long wird
nicht genannt, der Punkt zwischen Laertii und Vitae ist sinnlos; in
den Abschnitt Lateinisch ist die Ausgabe offenbar deshalb geraten,
weil der Werktitel wie bei wissenschaftlichen Ausgaben antiker Texte
üblich in lateinischer Form erscheint). Im Abschnitt Lateinisch ist
des weiteren die griechisch-deutsche Ausgabe des 10. Buches (Epikur)
verzeichnet, die K. Reich und H. Zekl 1968 in der Philosophischen
Bibliothek herausgegeben haben (Nr. 4970 Vitae et sententiae
philosophorum. Hbg. 1968. 164 S.; daß es sich allein um das 10. Buch
handelt, ist nicht erkennbar, da der entsprechende Zusatz im Titel
weggefallen ist) sowie die alte Textausgabe von H. G. Huebner (Nr.
4971 De vitis, dogmatis et apophthegmatis clarorum philosophorum libri
decem. Nachdr. der Ausg. Lpz 1828 - 1833. Hildesheim 1981. 4 Bde; daß
zwei der 4 Bände Kommentare enthalten, bleibt unerwähnt). Die Ausgabe
von Huebner taucht im übrigen ohne Angabe eines Titels auch in dem
Abschnitt Deutsch auf, vielleicht deshalb, weil sie ursprünglich in
Leipzig erschienen ist (Nr. 4959 Diogenes Laertius. Lpz 1828 - 1833. 4
Bde.). Dubletten gibt es auch sonst. Von O. Apelts Übersetzung des
Diogenes Laertios ist die 2. Aufl. unter Nr. 4960 (ohne Angabe des
Übersetzers) und die 3. unter Nr. 4962 (mit Angabe des Übersetzers)
verzeichnet.
Das angeführte Beispiel ist symptomatisch, die angeführten Mängel
tauchen in gleicher oder ähnlicher Form auch sonst auf. Etwas besser
wäre die Situation und etwas leichter die Orientierung, wenn bei
Textausgaben, zweisprachigen Ausgaben und Übersetzungen wenigstens
immer der Herausgeber und/oder der Übersetzer genannt wären. Das ist
indessen eher die Ausnahme als die Regel. Um ein zufällig
herausgegriffenes Beispiel zu nehmen: Zu Platons Kriton sind 27
Textausgaben verzeichnet (Nr. 8561 - 8587), nur in zwei Fällen ist ein
Übersetzer genannt. Viele der Angaben lesen sich wie die folgende: Nr.
8561 K. Bln 1934. 73 S. Der Kenner weiß, daß sich hinter dieser
Kurzangabe die zu Recht hochgeschätzte Ausgabe des Kriton mit
Übersetzung und Nachwort von Richard Harder verbirgt. Welchen Nutzen
ein Laie von einer Angabe wie dieser haben soll, ist mir rätselhaft.
Im übrigen ist es auch sonst mit den Angaben zu den Textausgaben nicht
immer zum besten bestellt: Eine der wichtigsten Textausgaben zu den
Vorsokratikern, nämlich G. S. Kirk, J. E. Raven, M. Schofield, The
presocratic philosophers (Cambridge, 1983), fehlt völlig; ihre
Vorgängerin, herausgegeben von G. S. Kirk und J. E. Raven (Cambridge,
1957) findet sich, mit falscher Jahresangabe (1983), als Nr. 5305
unter den Allgemeinen Monographien. Bei den Sophisten sind unter der
Rubrik Fragmente, die hier die Rubrik Textausgaben ersetzt, zwei
vermeintliche Ausgaben verzeichnet, die keine sind: Bei den beiden
unter Nr. 6854 und Nr. 6859 verzeichneten, von C. J. Classen und B.
Cassin herausgegebenen Bänden handelt es sich um Sammlungen von
Aufsätzen zur Sophistik; der von B. Cassin herausgegebene Band
erscheint im übrigen unter Nr. 6893 noch einmal und hier an der
richtigen Stelle. Im Falle des Sokrates findet man die Textsammlungen
teils im Sokrates-Kapitel unter der Überschrift Überlieferung (Nr.
7512 - 7543), teils im Kapitel über die Sokratiker (Nr. 7544 - 7558);
hier allerdings sind in irreführender Weise auch einige Textsammlungen
verzeichnet, die weit über die Sokratiker hinausgehen und Texte aus
der gesamten Antike seit Sokrates (z.B. Nr. 7555 Socrate: Tutte le
testimonianze: da Aristofane e Senofonte ai Padri cristiani), ja bis
zur Gegenwart enthalten (Nr. 7547 The Socratic enigma. A collection of
testimonies throught twenty-four centuries). Von F. Wehrlis Sammlung
Die Schule des Aristoteles ist unter Nr. 16168 nur die 2. Aufl.
verzeichnet,[4] wo Einzelbände aufgeführt werden (Nr. 16253 unter
Textausgaben; Nr. 16410 - 16412 unter Sekundärliteratur), ist stets
nur die 1. Aufl. genannt. Die für jeden, der sich mit der
hellenistischen Philosophie befaßt, unentbehrliche zweisprachige
kommentierte Textsammlung The Hellenistic philosophers von A. A. Long
und D. N. Sedley ist unter Allgemeine Monographien verzeichnet (Nr
16441; anders als angegeben sind beide Bände 1987 erschienen). Die
Sammlung der Hermetica von W. Scott (1924 - 1936, Nachdr. 1968) hat es
- wohl durch eine Panne - unter die Textausgaben zur Stoa verschlagen
(Nr. 16590);[5] unter Nr. 19422 ist sie mit ausführlicheren
bibliographischen Angaben nochmals an der richtigen Stelle
verzeichnet.
In den Abschnitten mit der Sekundärliteratur sieht es besser aus,
schon deshalb, weil hier im Normalfall wenigstens vollständige Titel
genannt werden, der Benutzer also einen genaueren Eindruck davon
erhält, worum es überhaupt geht. Im allgemeinen scheint hier auch das
Wichtigste einigermaßen vollständig berücksichtigt zu sein. Daß bei
einer solchen Menge des Materials hier und da Schnitzer unterlaufen,
ist gewiß unvermeidlich; eine zusätzliche Kontrolle hätte dem Werk
jedoch auch hier gutgetan. Ein Beispiel: In dem nicht sehr
umfangreichen Abschnitt Megariker und die elisch-eretrische Schule
(Nr. 7801 - 7831) finden sich z.B. folgende Versehen: Nr. 7806 B. A.
Kyrkos, Menedemos und die eretrische Schule gehört zu den
Textausgaben, nicht zu den Studien; Nr. 7810 und Nr. 7812 sind
identisch; Nr. 7818 muß es heißen: Time and modality (nicht morality)
in Diodorus Cronus; Nr. 7823 Diodorus (nicht Diudurus); in dem unter
Nr. 7825 verzeichneten Buch von W. Spoerri geht es nicht um Diodoros
Kronos, sondern um den Historiker Diodorus Siculus, das Buch ist also
fehl am Platz.
Mehr Sorgfalt hätte man sich schließlich auch bei der Angabe der Namen
innerhalb des Bibliographie und im Index gewünscht. Daß gleiche
Personen in Indizes mehrfach erscheinen, weil sie in ihren
Publikationen bei der Angabe ihres Namens manchmal einen, manchmal
mehrere Vornamen nennen und diese bald abkürzen, bald nicht abkürzen,
hat man hinzunehmen gelernt. Bei Totok kommt es jedoch bisweilen vor,
daß der Vor- oder Nachname eines Autors innerhalb der Bibliographie
zwar richtig, im Index aber falsch angegeben ist: Nr. 6579 J. B. statt
J. Bollack; Nr. 13754 K. statt T. Ebert; Nr. 13238 G. E. statt G. F.
Else; Nr. 13940 Moreaux statt Moreau. Schlimmer ist es, wenn der
Nachname oder auch Vor- und Nachname hier wie dort in entstellter Form
erscheinen: A. Patzer erscheint auch als A. Platzer (Nr. 7106), A.
Dihle auch als A. Diehle (Nr. 5447), K. Döring auch als K. Dörring
(Nr. 7289) und K. Doring (Nr. 19717), F. Longo Auricchio auch als L.
Longon Auricchio (Nr. 17346).
Eine solche Auflistung mag pedantisch erscheinen, doch ist zu
bedenken, daß der Wert einer Bibliographie nicht zum wenigsten von
ihrer Zuverlässigkeit abhängt. Was dies betrifft, ist es mit dem 1.
Band der Neuauflage des Totok leider nicht zum besten bestellt.
Natürlich kann der Band trotz aller Schwächen als Fundgrube dennoch
nützlich sein; jede größere Bibliothek wird nicht darum herumkommen,
ihn anzuschaffen. Doch steht der Benutzer ständig vor der Aufgabe,
unzureichende Angaben ergänzen, falsche verbessern und kryptische
enträtseln zu müssen. Der Experte wird sich dieser Mühe mit Verdruß
unterziehen und kann dann von der Fülle des beigebrachten Materials
durchaus profitieren. Schwieriger hat es der Nichtexperte. Ihm kann
die Neuauflage des Totok kaum empfohlen werden.
Klaus Döring
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